Einholung des Gutachtens
Ist in einem Schiedsgutachtenvertrag der Einholung des Gutachtens ein obligatorisches Sühneverfahren vorgeschaltet und lehnt der Vermittler es ab, einen Vergleichsvorschlag zu machen, so ist die Leistung durch Urteil zu bestimmen.
Zum Sachverhalt: Zur Nutzung eines auf ihrem Grundstück liegenden Abstellgleises ist die Beklagte auf die Mitbenutzung von Anschlussgleisen bis zum Netz der Deutschen Bundesbahn angewiesen, die auf dem Grundstück der Kläger liegen. Im dem Nutzungsvertrag ist die Anwendung der Allgemeinen Bedingungen für Privatgleisanschlüsse i. d. F. vom 1. 1. 1955 (PAB) vereinbart, in deren § 4 bestimmt ist, dass auf Verlangen des Anschließers die Mitbenutzung zu vergüten ist, und dass dann, wenn bei Meinungsverschiedenheiten ein Vermittlungsvorschlag der Bundesbahn abgelehnt wird, die zuständige Industrie- und Handelskammer nach den §§ 317 bis 319 BGB zu entscheiden hat. Die Bundesbahn teilte nach Unterrichtung von Meinungsverschiedenheiten der Parteien über Berechnung und Höhe der Mitbenutzungsvergütung u. a. mit: ... halten wir einen Vermittlungsvorschlag der Bundesbahn über die Höhe der Vergütungen für aussichtslos. Und weiter: ... sehen wir keine Möglichkeit, die Firma ... für den Gleisanschluss verkehr wiederzugewinnen.
LG und Oberlandesgericht haben die Zahlungsklage als zur Zeit unbegründet abgewiesen, weil nach § 4 PAB zuerst der dort vorgesehene Weg beschritten werden müsse. Die Revision der Kläger führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Aus den Gründen: ... II. Das Berufungsgericht hat sich der Auffassung des Landgerichts angeschlossen, § 4 III PAB sei als Schiedsgutachtenklausel zu werten. Solange die Parteien den darin vorgesehenen Weg (Vermittlungsvorschlag der Deutschen Bundesbahn, Entscheidung der Industrie- und Handelskammer) nicht beschritten hätten, sei für eine gerichtliche Entscheidung über die geschuldete Vergütung für die Mitbenutzung der Gleisanlagen kein Raum. Die Behauptung der Kläger, die Deutsche Bundesbahn habe einen Vermittlungsvorschlag abgelehnt, sei unzutreffend. Eine Beweiserhebung über die ablehnende Haltung der Deutschen Bundesbahn durch Zeugenvernehmung erübrige sich, weil eine inzwischen eingeholte Auskunft ergebe, dass die Deutsche Bundesbahn bereit sei, einen Vermittlungsvorschlag auszuarbeiten. Die Berufung auf die Schiedsgutachtenklausel sei der Beklagte nicht verwehrt. Da gegenwärtig noch nicht feststehe, ob nach dem Vermittlungsvorschlag der Deutschen Bundesbahn und nach Bestimmung der Leistung durch die Industrie- und Handelskammer überhaupt noch eine gerichtliche Entscheidung notwendig sei, müsse die Klage als zurzeit unbegründet abgewiesen werden. Der 1C1. in entsprechender Anwendung des § 356 ZPO eine Frist zur Beibringung des Schiedsgutachtens zu setzen, komme nicht in Betracht.
III. Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
1. Die Revision macht allerdings zu Unrecht geltend, der Streitgegenstand des Prozesses betreffe keinen Fall des § 4111 PAB. Die Klageforderung resultiert aus Meinungsverschiedenheiten der Parteien über anteilige Unterhalts- und Bedienungskosten (§ 4 II PAB), sowie über andere Bedingungen der Mitbenutzung (§ 4 III PAB).
2. Die Bedenken, die die Revision gegen den Inhalt des § 4 III PAB vorbringt, liegen neben der Sache. Es handelt sich um den typischen Fall einer Schiedsgutachtenklausel. Der Schiedsgutachter hat außer der Feststellung, dass Meinungsverschiedenheiten über die Mitbenutzungsvergütung bestehen, keinerlei rechtliche Vorfragen zu entscheiden, ganz abgesehen davon, dass das der Annahme einer Schiedsgutachtenklausel noch nicht einmal in jedem Falle entgegenstehen würde (vgl. Senat, LM vorstehend Nr. 18 = NJW 1975, 1556 = WM 1975, 770).
3. Unbegründet ist schließlich auch die Revisionsrüge, § 4 III PAB stelle die Einholung eines Schiedsgutachtens in das freie Belieben der Vertragspartner.
4. Mit Erfolg wendet sich die Revision jedoch gegen die Auffassung der Vorinstanz, die Voraussetzungen einer Entscheidung durch Urteil eines ordentlichen Gerichts (§ 319 I 2 BGB) lägen deshalb nicht vor, weil die Kläger einen Vermittlungsvorschlag der Deutschen Bundesbahn nicht ausdrücklich beantragt habe. Deren Schreiben könne nicht als Ablehnung eines Vermittlungsvorschlags gewertet werden. Diese tatrichterliche Wertung des Schreibens der Deutschen Bundesbahn ist unmöglich und deshalb in der Revisionsinstanz korrigierbar. Richtig ist, dass die Kläger - jedenfalls nach ihrem Vortrag in den Tatsacheninstanzen - nicht formell um einen Vermittlungsvorschlag gebeten hat. Der Bundesbahn war indessen auch ohne ausdrücklichen Antrag klar, dass es der Kläger um einen Vermittlungsvorschlag zu tun war. Sie hat nämlich klar und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, nicht in der Lage zu sein, einen solchen Vermittlungsvorschlag zu machen. Die Ablehnung des Ansinnens kann kaum deutlicher als durch die Worte, halten wir einen Vermittlungsvorschlag ... für aussichtslos, ausgedrückt werden. Die sich unmittelbar anschließende Formulierung, bei diesem Sachstand sehen wir keine Möglichkeit, die Firma F (Bekl.) für den Gleisanschluss verkehr wiederzugewinnen, unterstreicht sinnfällig, dass die Bundesbahn von unüberbrückbaren Gegensätzen zwischen den Parteien ausgegangen ist.
Das Vorhandensein des von einer Vertragspartei abgelehnten Vermittlungsvorschlags der Deutschen Bundesbahn ist nach § 4I1I PAB Voraussetzung für die Einholung des Schiedsgutachtens der Industrie- und Handelskammer. Was zu geschehen hat, wenn es in dem der Einholung des Schiedsgutachtens vorgeschalteten Sühne-Verfahren nicht zu einem Vermittlungsvorschlag kommt, weil der Vermittler sich weigert, einen Vorschlag zu erarbeiten, ist vertraglich nicht ausdrücklich geregelt, lässt sich aber im Wege der Auslegung ermitteln. Dazu ist der erkennende Senat befugt. Die Allgemeinen Bedingungen für Privatgleisanschlüsse werden von der Deutschen Bundesbahn im gesamten Bundesgebiet verwandt. Wegen der der Deutschen Bundesbahn bei Streitfällen der vorliegenden Art eigenen umfassenden Sachkunde ist ihr Vermittlungsvorschlag, auch wenn er nicht zur Streitbeilegung führt, ein unerlässlicher Anknüpfungspunkt für die Tätigkeit des Schiedsgutachters. Fehlt er, so ist das Schiedsgutachten von vornherein mit Risiken belastet, die einen Streit darüber, ob es offenbar unbillig ist, heraufbeschwören. Auf diese Art und Weise wird die Schiedsgutachtenklausel ihres wesentlichen Sinns, einen Streit nicht nur sachgerecht, sondern zeitsparend auszuräumen, beraubt. Deshalb kann die Ablehnung, einen Vermittlungsvorschlag auszuarbeiten, in ihrer Rechtsfolge nicht dem Fall gleichgestellt werden, dass eine der beteiligten Parteien einen vorgelegten Vermittlungsvorschlag ablehnt. Vielmehr führt die Ablehnung des Vermittlers, überhaupt tätig zu werden, dazu, dass die geschuldete Leistung gemäß § 319 I 2 BGB durch Urteil bestimmt wird.
5. Durch die nachträglich erklärte Bereitschaft der Deutschen Bundesbahn, nunmehr doch einen Vermittlungsvorschlag zu machen, kann dem nach § 319 12, 2. Halbs. BGB eingeleiteten Verfahren nicht die Grundlage wieder entzogen werden.