Fachliche Kenntnisse

Fachliche Kenntnisse - Zwar steht es dem Richter grundsätzlich frei, sich Kenntnisse auf einem ihm von Haus aus fremden Fachgebiet auch aus einschlägiger Fachliteratur zu verschaffen und daher auf Sachverständigenbeweis zu verzichten. Dies muss aber dort seine Grenze finden, wo sich das gesuchte Ergebnis nicht unmittelbar aus der Literatur entnehmen lässt, sondern einer Auswertung bedarf, die ihrerseits wieder fachliche Kenntnisse voraussetzt. Die Abwägung, welche der in der Antibiotikafibel allgemein geschilderten Wirkungen und Nebenwirkungen schließlich im konkreten Fall des Kläger den Ausschlag für die Wahl der Therapie geben musste, war eine solche ärztliche Entscheidung. Die dafür über die Angaben des Buches hinaus erforderlichen Fachkenntnisse hat das Berufsgericht jedenfalls nicht ausgewiesen.

Dies wäre allerdings unschädlich, wenn das Gutachten aus dem Ermittlungsverfahren für sich allein eine tragfähige Grundlage für die Entscheidung hätte bilden können. Insoweit hat aber der Kläger mehrfach zu Recht auf Lücken und Zweifel hingewiesen, und daher um die Erhebung eines Sachverständigenbeweises im gegenwärtigen Verfahren gebeten. Die Revision rügt mit Erfolg, dass das Berufsgericht dem durch Bestellung des früheren oder eines anderen Gutachters zum Sachverständigen nach der Sachlage hätte nachkommen müssen. Wenn die Revisionsbeantwortung in diesem Zusammenhang meint, der Kläger hätte, wenn er das Ergebnis des Gutachtens bezweifelte, die mündliche Anhörung des Sachverständigen rechtzeitig beantragen müssen, dann verkennt sie schon, dass die einschlägige Rechtsprechung des BGH sich auf Fälle bezieht, in denen im Verfahren selbst Sachverständigenbeweis erhoben worden ist. Dass das Gutachten in der Tat Zweifel nicht ausschließt, ergibt sich aus folgendem: Dem Gutachten und damit auch dem Berufungsurteil ist zwar unbedenklich in seinem Ausgangspunkt zu folgen, dass die schwere, lebensbedrohliche Erkrankung des Kläger auch eine sehr riskante Therapie rechtfertigen konnte. Das enthob den Beklagten aber nicht der Prüfung, welche Medikation im jeweiligen Zeitpunkt bei voraussichtlich gleichwertigem therapeutischen Erfolg die noch tragbarste Gefahr schädlicher Nebenwirkungen mit sich brachte; auch das Berufsgericht verkennt diesen Grundsatz an sich nicht. Nun führt aber das Gutachten aus, dass nach einem ausdrücklichen Hinweis der Herstellerfirma durch dieses Antibiotikum Erreger der Pyocyaneus-Stämme in der Regel durch therapeutisch erreichbare Konzentrationen nicht mehr gehemmt werden. Dies wird durch einen Erfahrungsbericht in der ärztlichen Literatur bestätigt. Ob trotzdem die anfängliche Wahl von Kanamycin vertretbar war angesichts der Tatsache, dass der in der Kultur in Erscheinung getretene Erreger in vitro auf dieses Mittel empfindlich erschien und die Anwendung beim Kläger alsbald einen Fieberabfall bewirkte, mag dahinstehen. Auf jeden Fall war - dieses Bedenken muss sich jedenfalls dem medizinisch in diesem besonderen Punkt nicht beratenen oder sachkundigen Richter aufdrängen - offenbar zu gewärtigen, dass Kanamycin möglicherweise nur bei besonders hoher Dosierung einen vollen Erfolg versprechen konnte. Nun lag die Gesamtgabe an den Kläger nach der Feststellung des Sachverständigen über den in der Weltliteratur bekannten Höchstsätzen. Dabei geht der Sachverständige, was im Ermittlungsverfahren geboten gewesen sein mag, nur von der vom Beklagten selbst eingeräumten Gesamtmenge von insgesamt 48 g aus, während das RevGer., weil das Berufsgericht insoweit keine Feststellung trifft, sogar von der vom Kläger - wenn auch vielleicht weniger überzeugend behaupteten Gesamtmenge von 58 g auszugehen hat. Angesichts dessen halten die Erwägungen, aus denen das Berufsgericht die von ihm selbst als solche erkannte Überdosis von Kanamycin für gerechtfertigt erachtet, den Verfahrensrügen der Revision nicht stand. Selbst wenn nämlich der Beklagten das Mittel wählen durfte, obwohl er gewärtigen musste, dass es nur in einer Überdosis wirksam war, dann wird jedenfalls aus dem Gutachten und dem darauf beruhenden Berufungsurteil nicht einsichtig, ob der Beklagten die Behandlung mit Kanamycin noch fortsetzen durfte, als klar wurde, dass eine in der Weltliteratur bisher nicht bekannte Gesamtdosis erforderlich sein würde, oder ob es nicht möglich, daher geboten war, die Behandlung mit einem anderen Mittel fortzusetzen, auf das der Erreger in vitro ebenfalls angesprochen hatte, dessen spezifische Risiken sich aber vielleicht für die kurze Restzeit weniger verderblich auswirken konnten. Das Gutachten gibt zumindest auf diese Frage, die sich dem medizinischen Laien aufdrängt, keine Antwort. Dass es darauf deshalb nicht eingegangen wäre, weil es eine dem Beklagten günstige Antwort als selbstverständlich betrachtete, konnte aus der Schlussfolgerung, dass der Beklagten die schädlichen Folgen habe in Kauf nehmen können, nicht ohne weiteres entnommen werden; dies insbesondere deshalb, weil das Gutachten die Bedenken, die gegen die Therapie des Beklagten immerhin bestehen konnten, an anderer, Stelle möglicherweise nicht ohne Anlaß deutlich hervorhebt.

Das angefochtene Urteil hat somit jedenfalls deshalb keinen Bestand, weil das Berufsgericht durch den Verzicht auf eine eingehende Klärung dieser umstrittenen Frage gegen seine Aufklärungspflicht verstoßen hat.

Sollte das Berufsgericht nach weiteren Feststellungen seine Ansicht bestätigt finden, dass die vom Beklagten gewählte Therapie entgegen den soeben erörterten Zweifeln gerechtfertigt war, dann wird es allerdings - sofern nicht weitere Feststellungen das verhindern - nicht davon ausgehen müssen, dass der Beklagten dennoch hafte, weil er es schuldhaft versäumt habe, dem Kläger über die spezifischen Gefahren des Kanamycin aufzuklären. Dem Kläger musste als Arzt - soweit er nach seinem Befinden solchen Erwägungen überhaupt zugänglich war - klar sein, dass sein Zustand den Einsatz gefährlicher Antibiotika notwendig machte, und hätte - falls er auf ihre Auswahl Einfluss nehmen wollte - fragen müssen.

Schließlich wird die erneute Verhandlung vor dem Berufsgericht dem Kläger Gelegenheit geben, auf den Vortrag seiner Verfahrensrügen zurückzukommen, die sich gegen den Standpunkt des Berufsgericht richten, dass der Beklagten auch hinsichtlich der rechtzeitigen Erkennung und Verhinderung des sich anbahnenden Gehörschadens nichts versäumt habe. Damit kann sich das RevGer. ein Eingehen auf diese Fragen versagen.