Flug
Kann ein Fluggast wegen Überbuchung einer Maschine mit dieser nicht mitfliegen, so handelt es sich nicht um einen Verspätungsfall im Sinne der genannten Bestimmungen.
Zur Frage, ob § 254 BGB eingreift, wenn ein wegen Überbuchung der Maschine nicht mitgenommener Fluggast ein privates Flugzeug chartert, um noch am selben Tag ans Ziel zu kommen.
Zum Sachverhalt: Die Kläger, eine Filmproduzentin, buchte im Juli 1973 für ihren Geschäftsführer S bei der Beklagten Fluggesellschaft einen Flug von München über Zagreb nach Dubrovnik. Die Maschine sollte am 14. 7. 1973 um 17.40 Uhr starten. Am Tage vorher erhielt die Kläger den Flugschein mit ok-Vermerk und bezahlte den Flugpreis von 235 DM. Die Maschine verkehrte planmäßig. S konnte jedoch nicht mitfliegen, weil das Flugzeug bereits besetzt war. Die Beklagte bot ihm einen Flug für den folgenden Tag an. S ließ sich jedoch darauf nicht ein, sondern flog mit einer von ihm im Namen der Kläger gecharterten Privatmaschine noch am selben Tage nach Dubrovnik. Er nahm dabei zwei Personen seiner Begleitung mit, die ebenfalls in der Maschine der Beklagten nicht hatten mitfliegen können. Die Klägerin zahlte für den Charterflug 5600 DM. Diese Aufwendung nebst Zinsen verlangt sie von der Beklagten als Schadensersatz. Sie behauptet, S habe unbedingt noch am Abend des 14. 7. 1973 in Dubrovnik sein müssen. Die Beklagte meint, nach Nr. 9 ihrer Vertragsbedingungen hafte sie nicht für Verzögerungen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr stattgegeben. Die - zugelassene - Revision der Beklagten führte zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Aus den Gründen: Das Berufsgericht beurteilt den Beförderungsvertrag nach Werkvertragsrecht und bejaht einen unverjährten Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung gemäß § 325 I BGB. Nr. 9 der Vertragsbedingungen stehe dem nicht entgegen, weil sie den hier gegebenen Fall einer Überbuchung nicht erfasse. Da der Geschäftsführer der Kläger sich auch rechtzeitig vor dem Flug am Abfertigungsschalter eingefunden habe, müsse die Beklagten, die für die fahrlässige Sorgfaltsverletzung ihrer Mitarbeiter einzustehen habe, der Kläger die zur Durchführung des hier aus geschäftlichen Gründen dringend erforderlichen Charterflugs aufgewendeten Kosten - Zug um Zug gegen Herausgabe des erworbenen Flugscheines - voll ersetzen. Ein mitwirkendes Verschulden des Geschäftsführers der Kläger scheide aus.
Soweit die Ausführungen des Berufsgerichts die rechtliche Grundlage des Anspruchs betreffen, sind sie aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Das angefochten Urteil kann aber nicht bestehen bleiben, weil die Kläger für die Charterflugkosten gemäß § 254 BGB selbst aufzukommen hat.
Das Berufsgericht legt seiner Entscheidung nicht die Bestimmungen des Warschauer Abkommens, sondern die Vorschriften des BGB zugrunde. Das ist richtig und wird auch von der Revision nicht beanstandet. Allerdings findet das Warschauer Abkommen bei internationalen Beförderungen gemäß § 51 LuftVG an sich Anwendung. Seine Haftungsbestimmungen regeln aber nur die Schadensersatzansprüche, die sich aus den dem Luftverkehr eigentümlichen Gefahren ergeben können. Dazu gehören auch die im Art. 19 WarschAbk geregelten Verspätungsschäden; denn die Verspätung stellt ein typisches Risiko des Flugverkehrs dar, dessen reibungsloser Ablauf von vielen Unwägbarkeiten beeinflusst wird. Anders ist die Rechtslage aber bei Schäden, die - wie hier - durch die Nichterfüllung des Beförderungsvertrages entstehen. Die Nichtbeförderung eines Passagiers wegen Überbuchung ist schon nach dem Wortsinn keine Verspätung i. S. des Art. 19 WarschAbk; denn der Flug findet planmäßig und damit gerade nicht verspätet statt. Aber auch sachlich stellt eine Überbuchung kein typisches Risiko des Flugverkehrs dar; sie ist vielmehr organisatorisch bedingt und damit beherrschbar. Liegt demnach der hier vorliegende Schaden außerhalb des vom Warschauer Abkommen erfassten Regelungsbereiches, kann das Abkommen auf einen derartigen Sachverhalt keine Anwendung finden. Der hier gegebene Tatbestand ist vielmehr nach dem Recht des betreffenden Staates zu beurteilen.
Von diesem Ausgangspunkt her hat das Berufsgericht einen Schadensersatzanspruch der Kläger dem Grunde nach rechtsfehlerfrei bejaht, da die Beklagten es zu vertreten hat, dass die Erfüllung des nach den Bestimmungen des Werkvertrags zu beurteilenden Beförderungsvertrags, der hier ein Fixgeschäft darstellt, infolge der Überbuchung unmöglich wurde.
Die Revision ist demgegenüber der Ansicht, dass die Beklagten nicht hafte, da sie gemäß Nr. 9 der auf dem Flugschein abgedruckten Vertragsbedingungen nicht verpflichtet gewesen sei, ihre Passagiere zu einer bestimmten Zeit zu befördern. Damit dringt sie jedoch nicht durch. Die Klausel, die als Bestandteil international verwendeter AGB auch im Revisionsverfahren frei ausgelegt werden kann, hat vielmehr erkennbar zur Voraussetzung, dass ein bestimmter Flug zur vorgesehenen Zeit nicht stattfindet. Kann dagegen ein Passagier mit der planmäßig startenden Maschine wegen Überbuchung nicht mitfliegen, ist - wie das Berufsgericht zutreffend dargelegt hat - für die Anwendung dieser Bestimmung kein Raum. Dementsprechend wird auch in den Allgemeinen Beförderungsbedingungen für Fluggäste und Gepäck der International Air Transport Association vom 18. 11. 1953 - ABB klar zwischen dem in Nr. 9 auf dem Flugschein geregelten Verspätungsfall und dem hier vorliegenden Sachverhalt unterschieden. Während in Art. X ABB - wie in Nr. 9 der Vertragsbedingungen, die diese Bestimmung gemäß Art. III Nr. 1 a ABB lediglich zusammenfassend wiedergibt - festgelegt wird, dass die im Flugschein, Flugplan oder andernorts angegebenen Verkehrszeiten nicht garantiert werden und nicht Bestandteil des Beförderungsvertrages sind, so dass gemäß Art. XVII Nr. 2 c grundsätzlich jede Haftung für Verspätungsschäden ausgeschlossen ist, haftet der Luftfrachtführer bestimmten Umfang, wenn er es zu vertreten hat, dass ein Passagier trotz ordnungsgemäßer Platzbuchung nicht befördert wird. Damit gehen auch die ABB, auf die Nr. 9 der auf dem Flugschein abgedruckten Vertragsbedingungen zurückgeht, davon aus, dass eine Fluggesellschaft, deren Flüge planmäßig stattfinden, verpflichtet ist, Passagiere, die einen bestimmten Flug gebucht haben, mit diesem Flug zu befördern. Ist sie dazu wegen Überbuchung nicht in der Lage, liegt ein Fall verschuldeter Unmöglichkeit vor, der die Fluggesellschaft schadensersatzpflichtig macht.
Dennoch hält das angefochtene Urteil der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, da es auf einer Verkennung des § 254 BGB beruht.
Das Berufsgericht führt aus, dass der Geschäftsführer der Kläger die Privatmaschine gechartert habe, um an einer am Abend des 14.7. 1973 stattfindenden Feier anlässlich des 65. Geburtstages des Regisseurs R teilzunehmen. R habe damals in einer bei Dubrovnik errichteten Goldgräberstadt die Regie des von der Kläger produzierten Films... geführt. Bei der Geburtstagsfeier habe das Fernsehen Aufnahmen für eine Sendung über das Filmschaffen des Regisseurs machen und dabei auch über die Arbeiten an dem gerade produzierten Film der Kläger berichten sollen. Außerdem habe die Kläger mit den Mitarbeitern des Fernsehens ein Interview mit ihrem Geschäftsführer S verabredet. Um die Feier und den Filmbericht besonders einprägsam zu gestalten, habe als Gag im Laufe der Feier eine bayerische Brotzeit serviert werden sollen, welche S in seinem Gepäck mitgeführt habe. Im Hinblick auf alle diese Umstände habe S seine Anwesenheit zur Verstärkung der mit dem Filmbericht erstrebten Werbewirkung für unumgänglich halten und deshalb das Flugzeug chartern dürfen. Ob seine Teilnahme an der Feier tatsächlich so wichtig gewesen sei, spiele dabei keine Rolle, weil es bei der Frage des Mitverschuldens allein auf seine subjektive Auffassung ankomme.
Das beanstandet die Revision zu Recht. Das Berufsgericht durfte bei der Prüfung der Frage, inwieweit hier § 254 BGB anzuwenden ist, nicht allein auf dessen subjektive Vorstellungen abstellen. Entscheidend ist vielmehr, ob der Geschäftsführer der Kläger durch die Charterung des Flugzeuges die Sorgfalt außer acht gelassen hat, mit der ein verständiger Mensch handeln würde, um sich vor Schaden zu bewahren. § 254 BGB beruht auf dem Rechtsgedanken, dass derjenige, der die Sorgfalt außer acht lässt, die nach Lage der Sache erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, den Verlust oder die Kürzung seines Schadensersatzanspruches hinnehmen muss. § 254 ist eine besondere Ausprägung des allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben.
Bei Anwendung dieser Rechtsgrundsätze muss die Klage angesichts des vom Berufsgericht festgestellten Sachverhalts hier abgewiesen werden. Da ergänzende Feststellungen nicht mehr in Betracht kommen, kann der Senat die Sache abschließend entscheiden.
Einem verständigen Menschen musste sich im vorliegenden Fall - auch unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten der Filmbranche - aufdrängen, dass die Abwesenheit des Geschäftsführers der Kläger die geplante Fernsehsendung über das Werk des Regisseurs R nicht in Frage stellen konnte. Die vorgesehenen Aufnahmen, insbesondere der Bericht über die Arbeiten an dem gerade gedrehten Film, wurden davon nicht berührt. Damit war der von der Kläger angestrebte Werbeeffekt der Fernsehsendung auch ohne die Gegenwart von S gesichert Dem geplanten Interview mit dem Geschäftsführer der Kläger kommt in diesem Zusammenhang keine entscheidende Bedeutung zu. Die Kläger hat nichts dafür dargetan, dass das Gespräch mit S nicht noch später hätte aufgenommen werden können. Im übrigen sollte der Fernsehfilm sich ja vor allem mit dem Filmschaffen des R befassen. Das Interview mit S konnte in diesem Zusammenhang nur von untergeordneter Bedeutung sein. Eine beachtliche Steigerung der Werbewirkung der Fernsehsendung war davon nicht zu erwarten. Auch die vorgesehene bayerische Brotzeit konnte den Einsatz eines Charterflugzeugs nicht rechtfertigen. Die Werbewirkung des Fernsehfilms für den von der Kläger produzierten Film hing nicht davon ab, ob im Western-Milieu eine bayerische Brotzeit gereicht wurde oder nicht.
Steht somit fest, dass - vom Standpunkt eines verständig handelnden Fluggastes - kein hinreichender Anlass für den - im Verhältnis zum normalen Flugpreis außerordentlich teueren - Charterflug bestand, muss die Kläger die entstandenen Kosten gemäß § 254 BGB selbst tragen.
Damit kann das Urteil des Berufsgerichts keinen Bestand haben. Die Klage erweist sich vielmehr als unbegründet, ohne dass es einer Entscheidung darüber bedarf, ob der Anspruch auch nach der in Art. XVII Nr. 3i ABB enthaltenen Haftungsbeschränkung abzuweisen gewesen wäre.