Gasrohre

Mangels Beachtlichkeit der Stellungnahmen des Gaswärmeinstituts und des TÜV sind auch weder grobe Fehler des erstatteten Gutachtens ersichtlich, noch kann die Sachkunde des ersten Gutachters, der für das Gebiet des Raffinerie- und Petrochemiewesens öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger ist, ernstlich bezweifelt werden. Soweit die Revision dies dennoch mit der Begründung versucht, der Sachverständige habe unrichtige Ausführungen über die Verteilung von Gas im Erdreich gemacht, könnte daraus selbst bei Berechtigung dieser Behauptung für die ganz andere Frage der Lösungsmittelexplosion nichts hergeleitet werden.

Gegen die weitere Feststellung des Berufsgericht, auch andere innerhalb des Hauses gelegene Explosionsursachen seien auszuschließen, erhebt die Revision keine Einwendungen. Für die Revisionsinstanz ist deshalb von dieser Feststellung auszugehen.

Im Hinblick auf das Ausscheiden anderer Explosionsursachen bestehen nach Auffassung des Berufsgericht bei Würdigung aller Umstände keine vernünftigen Zweifel daran, dass aus der schadhaften Muffe vor dem Haus Gas ausgetreten ist; welches von dort in den Keller gelangte und beim Einschalten des elektrischen Nachtspeicherofens entzündet wurde. Zumindest, so führt das Berufsgericht aus, spreche für einen derartigen Hergang der Beweis des ersten Anscheins. Es stelle einen typischen Geschehensablauf und eine Erfahrenstatsache dar, dass ausströmendes Stadtgas zu einer Explosion und eine undichte Gewindemuffe zu einem Ausströmen von Gas führen kann. Nach dem Beweisergebnis sei Gas aus der undichten Muffe ausgetreten, wie die unstreitig einige Stunden nach der Explosion getroffene Feststellung über Gaskonzentration im Erdreich ergeben habe. Berücksichtige man, dass an den beiden Tagen vor der Explosion der Schacht verfüllt worden sei, den die Gasleitung zuvor unabgestützt auf eine Länge von 1,5 m durchquert habe, so dränge sich ein Zusammenhang mischen der undichten Muffe, einem Ausströmen von Gas an dieser Stelle und der Explosion geradezu auf. Hinzu komme, dass nach dem Gutachten des Sachverständigen sich selbst bei einer geringen Spaltbreite zwischen den Rohrenden an der schadhaften Muffe in 10 Stunden eine erhebliche Menge zündfähigen Gasgemisches habe bilden können. Durfte das Berufsgericht danach als voll bewiesen ansehen, dass die Explosion durch das aus der Muffe ausgetretene Stadtgas verursacht worden ist, so kommt es nicht mehr darauf an, ob auch die Grundsätze über den Beweis des ersten Anscheins anwendbar wären.

Das Berufungsgericht hält die Beklagten für schadensersatzpflichig, weil sie es unterlassen hat, vor dem Beginn der sog. Spartenverlegungsarbeiten die Gasleitungen zu überprüfen und gegebenenfalls teilweise durch neue Rohre zu ersetzen. Die Notwendigkeit dieser Sicherungsmaßnahmen habe sich aus der Gefährlichkeit von Stadtgas und aus den mit schwerem Gerät auszuführenden, mit Erschütterungen verbundenen Bauarbeiten nicht nur an den Schlitzwänden, sondern auch an den übrigen Anlagen wie z. B. dem Kanalisationsprovisorium ergeben, zumal der Erhaltungszustand der schon über 36 Jahre alten Gasleitung nicht bekannt gewesen sei. Die Beklagten habe mit dem eingetretenen Schaden auch rechnen müssen, weil dieser nach den ihr bekannten Umständen nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit gelegen habe. Durch das Koordinierungsverfahren habe sie gewußt, dass eine provisorische Abwasserleitung vorgesehen war. Bei konsequentem Durchdenken der Sicherheitsrisiken für die Gasrohre habe sie erkennen können, dass nicht nur durch die Schlitzwandarbeiten, sondern generell bei den Spartenverlegungsarbeiten Gefahren z. B. für undichte Verbindungsmuffen auftreten konnten. Die Beklagten habe deshalb auf der Umlegung oder der Freilegung der Gasleitungen vor Beginn der übrigen Arbeiten bestehen, mindestens aber die Bundesbahn darauf hinweisen müssen, dass freigelegte Gasleitungen bis zu deren Auswechslung nicht unterfangen werden durften. Auf die sorgfältige Ausführung der Arbeiten seitens der von der Bundesbahn beauftragten Baufirmen habe sich der Beklagten nicht verlassen dürfen. Die gegen diese Ausführungen gerichteten Angriffe der Revision haben keinen Erfolg.

In einem Gasversorgungsverhältnis wie dem zwischen den Parteien hat der Versorgungsträger die Pflicht seine Abnehmer vor Schäden zu bewahren, deren Ursache in der Anlage oder im Betrieb der Gasversorgungseinrichtungen liegt. Das zieht auch die Revision grundsätzlich nicht in Zweifel. Inhalt und Ausmaß der sich daraus ergeben- den Schutzpflichten sowie der aufzuwendenden Sorgfalt bestimmen sich nach dem Maß der den Abnehmern drohenden Schäden. Was der erkennende Senat insoweit für die allgemeine Verkehrssicherungspflicht gegenüber jedem Dritten ausgesprochen hat, gilt in gleicher Weise für die vertragliche Haftung. Steigern sich die Gefahren gegenüber den allgemein zu erwartenden, so rechtfertigen sich auch besonders strenge Anforderungen an die Schutz- und Sorgfaltspflicht, für deren schuldhafte Verletzung der Versorgungsträger aus positiver Vertragsverletzung haftet.

Die Lieferung von Stadtgas in der im Jahre 1968 verwendeten Zusammensetzung erforderte mit Rücksicht auf die Vergiftungs- und Explosionsgefahren schon allgemein ein hohes Maß an Sorgfalt bei der Überwachung des Gasrohrnetzes. Ob die Beklagten dem Rechnung getragen hat, indem sie vor dem Bau der S-Bahn in Abständen von 4 Jahren das Rohrnetz mit hochempfindlichen Spürgeräten überprüfen ließ, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn die Arbeiten am Bau der S-Bahn hatten die Gefahren für die Gasleitungen derartig erhöht, dass ihnen nur mit außerordentlichen, über das allgemeine Maß hinausgehenden Sicherungsmaßnahmen begegnet werden konnte. Der Grund für die Gefahrenerhöhung lag in der Vielfalt der Arbeiten, die teilweise mit schwerem Gerät in unmittelbarer Nähe der Gasleitungen ausgeführt werden mussten. In erster Linie, galt das für die Schlitzwandarbeiten, deren Gefährlichkeit die Beklagten durch die vor der Explosion nicht mehr ausgeführte Auswechslung der Leitungsrohre hatte berücksichtigen wollen. Aber auch die Herstellung der provisorischen Abwasserleitung wirkte sich gefahrenerhöhend aus. Die erforderlichen Bohrungen, Aufgrabungen von Schächten und deren Wiederverfüllung brachten auch dem von den Vorinstanzen verwerteten Gutachten des Sachverständigen auch bei ordnungsgemäßer Ausführung Erschütterungen und zusätzliche Zug- oder Druckspannungen für die in der Nähe liegenden und - wie sich herausgestellt hat - mindestens an der abgerosteten Muffe bereits schadhaften Gasrohre mit sich. Entgegen der Auffassung der Revision ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanzen in diesem Zusammenhang auch das Alter der Gasleitung als gefahrerhöhenden Umstand berücksichtigt haben. Die unstreitig durch altersbedingte Korrosion undicht gewordene Verbindungsmuffe beweist, dass die Lebensdauer der Gasrohre nicht - wie die Beklagten behauptet hat - einhundert Jahre beträgt und deshalb nach 36 Jahren mit Verschleiß oder ähnlichen Defekten nicht gerechnet werden musste. Dann aber gab auch das Alter der Leitung objektiv Veranlassung zu größerer Sorgfalt, als dies bei einer neuen Anlage erforderlich gewesen wäre.

Die Beklagte, die in entsprechender Anwendung der §§ 282, 285 BGB die Erfüllung ihrer Sorgfaltspflicht beweisen müsste hat weder dargelegt, dass sie alle notwendigen Sicherungsmaßnahmen ergriffen hat noch dass die Unterlassung der gebotenen Maßnahmen nicht schuldhaft war.

Als notwendige und für die Abwendung des Schadens geeignete, von der Beklagten aber unterlassene Maßnahmen haben Landgericht und Oberlandesgericht die Auswechslung der Gasleitungen vor Beginn der sonstigen Spartenverlegungsarbeiten oder mindestens die vorherige Freilegung und Überprüfung dieser Leitungen als erforderlich angesehen. Diese tatrichterliche, eine Würdigung der tatsächlichen Umstände des Falles enthaltende Inhaltsbestimmung und Eingrenzung der Sorgfaltspflicht ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Sie stellt insbesondere keine Überspannung der an die Beklagten zu stellenden Anforderungen dar. Dass die routinemäßige, etwa eineinhalb Jahre früher veranlasste Prüfung mit Spürgeräten angesichts der vielfältigen Bauarbeiten an der S-Bahn nicht ausreichen konnte, ist bereits ausgeführt. Dann aber musste die Beklagte, auch wenn sie nicht selbst Auftraggeberin der Bauarbeiten war, so wirksame Vorsichtsmaßnahmen treffen, dass eine Gefährdung der Rechtsgüter ihrer Gasabnehmer ausgeschlossen war. Mit der bloßen Beteiligung an dem Koordinierungsverfahren, der dabei erfolgten genauen Bezeichnung der einzelnen Leitungen und der Auflage an die Baubeteiligten, Leitungsaufgrabungen an die Gaswerke mitzuteilen, war das nicht zu erreichen. Nach dem Gutachten des Sachverständigen konnte es zu dem hier eingetretenen Schaden an einem bereits schadhaften Rohr auch bei Einhaltung aller von der Beklagten in ihrer Aufgrabungsordnung und in ihren Merkblättern für die Baufirmen vorgesehenen Verhaltensregeln kommen. Die notwendigen Maßnahmen waren technisch möglich. Sie waren auch nicht unzumutbar, weil die Beklagten die Auswechslung der Rohre für die Zeit kurz vor Beginn der Schlitzwandarbeiten ohnehin geplant hatte. Schon aus diesem Grunde ist der Einwand der Revision, der Beklagten werde für alle künftigen Fälle von Aufgrabungen eine unzumutbare Last aufgebürdet, nicht gerechtfertigt. Im Übrigen beruhen die besonders strengen Sorgfaltsanforderungen im vorliegenden Fall auf der außerordentlichen, durch die schwer übersehbaren und zu überwachenden Arbeiten begründeten Gefahrenlage beim Bau einer unterirdischen S-Bahn. Inwieweit bei anderen Bauvorhaben ähnliche oder geringere Anforderungen zu stellen wären, kann nur nach den dann gegebenen tatsächlichen Verhältnissen beurteilt werden.

Den Vorwurf des Verschuldens hat die Beklagten nicht entkräften können. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen hatte sie durch das Koordinierungsverfahren Kenntnis auch von der geplanten provisorischen Abwasserleitung. Die im Bereich der Straße infolge der dort besonders dicht beieinander liegenden Leitungen erhöhten Gefahren waren ebenfalls bekannt. Dann aber hätte die Beklagten auch erkennen können und müssen, dass die geplante Rohrauswechslung erst unmittelbar vor den Schlitzwandarbeiten nicht ausreichte. Hätte sie die Sicherungsmaßnahmen nicht selbst ausführen wollen, so hätte sie jedenfalls für deren rechtzeitige Vornahme durch die Bundesbahn sorgen müssen und können.