Gemeinschaftsverhältnis

Nachbarliche Ansprüche können durch Verwirkung untergehen. Dabei ist nach der Rechtsprechung des BVerwG zu unterscheiden zwischen der Verwirkung von materiellen Nachbarrechten und der Verwirkung von Verfahrensvorschriften. Die Verwirkung materiell-rechtlicher Nachbarrechte leitet das BVerwG aus dem nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnis ab, das dem Nachbarn die Obliegenheit auferlegt, die Einlegung eines Rechtsmittels nicht länger als notwendig hinauszuschieben und dadurch dem Nachbarn unangemessenen Schaden zuzufügen. Kommt der Nachbar dieser Obliegenheit nicht nach, kann der Baubewerber nach Ablauf einer angemessenen Frist darauf vertrauen, dass der Nachbar gegen das Bauvorhaben nichts einzuwenden habe bzw. zumindest kein Rechtsmittel einlegen werde. Da die Verwirkung die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen Treu und Glauben ist, können nachbarliche Abwehransprüche nur verwirkt werden, wenn der Nachbar die Verletzung seiner Rechte durch das Bauvorhaben erkennen konnte. Der Nachbar muss nach Ablauf einer bestimmten Frist, von der an er hinreichend sichere Kenntnis von dem Bauvorhaben hatte oder aber zumindest haben konnte, sich so behandeln lassen, als sei ihm die Baugenehmigung amtlich bekannt gegeben worden. Nur eine amtliche Bekanntgabe setzt nämlich die Widerspruchsfrist des § 70 VwGO in Lauf, eine Bekanntgabe durch den Bauherrn oder durch sonstige Umstände reicht hierfür nicht aus. In der Regel kann der Nachbar in entsprechender Anwendung des §58 Abs. 1 VwGO nur innerhalb eines Jahres nach Kenntnis von dem Bauvorhaben bzw. der Möglichkeit einer solchen Kenntnis Widerspruch gegen die Baugenehmigung einlegen, danach ist sein nachbarlicher Abwehranspruch verwirkt. Das BVerwG hat im Beschluss vom 28.8. 1987 klargestellt, dass diese Grundsätze nicht nur für die Eigentümer der angrenzenden Grundstücke gelten, sondern generell für alle Nachbarn, also auch für weiter entfernt wohnende Personen, deren Grundstücke sich aber noch im Einwirkungsübereich des Bauvorhabens befinden. Der vom BVerwG im Urteil vom 25. 1. 1974 angeführte Zeitraum von einem Jahr für die Verwirklichung eines nachbarlichen Abwehranspruchs ist aber kein fester Grenzwert, sondern nur ein Anhaltspunkt. Der VGH BaWü hat z.B. bei einer Garage bereits nach 8 Monaten eine Verwirkung der Rechte des Nachbarn bejaht, wobei er maßgeblich darauf abgestellt hat, dass der Baubewerber die Baugenehmigung dem Nachbarn vor Baubeginn zur Kenntnis gebracht hatte und bei Einlegung des Widerspruchs die Garage bereits fertig gestellt war. Grundsätzlich ist eine Verwirkung des nachbarlichen Abwehrrechts anzunehmen, wenn dieser der Errichtung des Bauvorhabens widerspruchslos zusieht und erst nach der Fertigstellung Rechtsmittel einlegt. Etwas anderes hat freilich zu gelten, wenn der Bauherr gar nicht auf das Verhalten des Nachbarn vertraut, sondern ungeachtet eines noch möglichen Nachbarwiderspruchs das Bauvorhaben durchführt, was etwa bei einem Fertighaus innerhalb weniger Tage geschehen kann. Bei dieser Sachlage ist der Bauherr nicht schutzbedürftig gegenüber einem nachfolgenden Rechtsmittel des Nachbarn, so dass dieser auch noch längere Zeit nach der Fertigstellung des Gebäudes seine nachbarlichen Abwehrrechte geltend machen kann. Im Übrigen sollte aber daran festgehalten werden, dass erst nach Ablauf eines Jahres seit Kenntnis vom Bauvorhaben bzw. seit der Möglichkeit der Kenntnisnahme die Verwirkung eintritt. Bei einer kürzeren Frist würde nämlich der Nachbar, dem die Baugenehmigung nicht amtlich bekannt gemacht wurde, schlechter gestellt als der Nachbar, der eine Baugenehmigung ohne Rechtsmittelbelehrung erhalten hat. In jedem Fall kann die Verwirkung nicht vor Ablauf der normalen Rechtsmittelfrist von einem Monat eintreten. Der Tatbestand der Verwirkung wird nicht nur dadurch erfüllt, dass der Nachbar gegenüber einem Bauvorhaben auf dem benachbarten Grundstück über längere Zeit hinweg untätig bleibt. Wenn der Nachbar durch sein Verhalten, insbesondere durch entsprechende Erklärungen gegenüber dem Baubewerber den Eindruck erweckt, er sei mit dem Bauvorhaben einverstanden bzw. er werde dagegen nichts unternehmen, ist auch ohne einen längeren Zeitablauf eine Verwirkung des nachbarlichen Abwehrrechts anzunehmen. Besonders klar zeigt dies das Urteil des OVG Lüneburg vom 26.3 1987. In diesem Fall hatte der Nachbar mit dem Bauherrn wiederholt über das Bauvorhaben gesprochen, seine Zustimmung zum Ausdruck gebracht und sogar den Bauherrn und den Bauunternehmer zu zügigeren Bauarbeiten aufgefordert, ehe er dann später Widerspruch gegen die Baugenehmigung einlegte. Es liegt auf der Hand, dass ein solches Verhalten gegen Treu und Glauben verstößt. Die materiell-rechtliche Verwirkung tritt nicht ein, wenn der Nachbar eindeutig zu erkennen gibt, dass er seine nachbarlichen Abwehrrechte noch geltend machen will; dabei kann auch eine mündliche Erklärung ausreichend sein. Die materiell-rechtliche Verwirkung nachbarlicher Abwehrrechte setzt nicht voraus, dass die bauliche Anlage genehmigt wurde. Auch bei einem nicht genehmigten Vorhaben kann nach den oben angeführten Grundsätzen eine Verwirkung eintreten.