Geschützten Personen

Auch wenn die baurechtliche Norm grundsätzlich dem Interessenausgleich der normunterworfenen Grundstückseigentümer im Sinn des unter Rn. 44, 47 dargestellten Austauschverhältnisses dient, wurde ihr vom BVerwG nur dann eine nachbarschützende Wirkung zuerkannt, wenn der Kreis der geschützten Personen hinreichend bestimmt und abgrenzbar ist. Dies hat dazu geführt, dass das BVerwG bei §11 RGarO, bei §35 Abs.2 und schließlich auch bei §34 BBauG 1960 sowie §15 BauNVO eine nachbarschützende Wirkung grundsätzlich verneint hat, weil bei diesen Vorschriften der geschützte Personenkreis nicht hinreichend konkretisiert sei. Diese jahrelang praktizierte und überwiegend auch in der Literatur gebilligte Rechtsprechung hat das BVerwG im Urteil vom 19.9. 1986 aufgegeben. Das BVerwG hat darin unter Hinweis auf Marburger ausgeführt: Es kommt weder darauf an, ob die Norm einen geschützten Personenkreis räumlich, etwa durch die Bezeichnung eines Gebiets, abgrenzt, noch darauf, ob sie in ihrer vollen Reichweite auch dem Schutz individueller Interessen zu dienen bestimmt ist. So gebietet z. B. § 34 Abs. 1 das Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung sowohl aus Gründen des nachbarlichen Interessenausgleichs, also der Rücksichtnahme auf individuelle Belange, als auch darüber hinausgreifend aus Gründen der objektiven städtebaulichen Ordnung. Worauf es ankommt ist, dass sich aus individualisierenden Tatbestandsmerkmalen der Norm ein Personenkreis entnehmen lässt, der sich von der Allgemeinheit unterscheidet. Die eindeutige räumliche Abgrenzung eines geschützten Personenkreises erweist sich ohnehin, soweit es etwa um Immissionsbelastungen geht, als praktisch nicht normierbar; allerdings gilt, dass z.B. die Erwähnung der Würdigung der Interessen der Nachbarn oder das Ziel, in einem Baugebiet oder in dessen Umgebung unzumutbare Belästigungen oder Störungen zu vermeiden wichtige Indizien dafür sein können, dass eine Norm dem individuellen Schutz der Nachbarn zu dienen bestimmt ist. Freilich ist der Drittschutz nicht in jedem Fall ohne Rücksicht auf den Grad der Beeinträchtigung zu gewähren. Denn die Auslegung einer Vorschrift, die im Grundsatz Drittschutz vermitteln will, kann durchaus zu dem Ergebnis führen, dass Drittschutz nur zu gewähren ist, wenn eine bestimmte Schwelle der Beeinträchtigung erreicht wird. Der Senat hat deshalb die §§34, 35 Abs.2, 15 Abs. 1 BauNVO nur bei qualifizierten Verstößen, die zu unzumutbaren Beeinträchtigungen führen, als drittschützend angesehen. Auch für die Festsetzungen eines Bebauungsplans ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, ob und inwieweit die Festsetzung Drittschutz vermitteln will. Diese Änderung der Rechtsprechung ist zu begrüßen, denn sie vermeidet das kuriose Ergebnis, dass ein Nachbarschutz gegeben ist, wenn nur wenige Personen beeinträchtigt werden, dagegen ein Nachbarschutz entfällt, wenn eine große Zahl betroffen wird. Es kommt somit für die nachbarschützende Wirkung einer baurechtlichen Vorschrift grundsätzlich nicht mehr auf die Überschaubarkeit des geschützten Personenkreises an, sondern allein auf den Schutzzweck der jeweiligen Norm. Dient die Norm zumindest auch dem Schutz privater Belange, kann sich der durch die Baugenehmigung in seinen rechtlichen Interessen Betroffene dagegen zur Wehr setzen.

Nachbarschutz aus Art.14 GG. Neben der Ableitung des Nachbarschutzes aus einzelnen baurechtlichen Vorschriften kommt auch ein Nachbarschutz wegen Verletzung des Eigentumsrechts des Nachbarn in Betracht. Das BVerwG hat bereits im Urteil vom 13.6. 1969 einen Nachbarschutz unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 GG abgeleitet. Das BVerwG führt dabei aus: Das Eigentum des Nachbarn wird verletzt, wenn die Baugenehmigung bzw. ihre Ausnutzung die vorgegebene Grundstückssituation nachhaltig verändert und dadurch den Nachbarn schwer und unerträglich trifft. Im praktischen Ergebnis läuft dies darauf hinaus, dass grobe Missgriffe der Genehmigungsbehörden, die als solche regelmäßig auch dem Bauherrn erkennbar sein werden, für einen kleinen, übersehbaren Kreis von Klägern dann angreifbar sind, wenn die durch diesen Missgriff schwer und unerträglich getroffen werden. Diese Auffangklausel des Baunachbarrechts hat allerdings keine große praktische Bedeutung erlangt, weil die Schwelle des schweren und unerträglichen Eingriffs in das Eigentumsrecht des Nachbarn nur in seltenen Ausnahmefällen überschritten wird. Sendler hat den Anwendungsbereich des Art. 14 Abs. 1 im Baunachbarrecht zutreffend als schmal bezeichnet, es spreche sogar vieles dafür, dass es einen solchen Abwehranspruch nicht gebe. Ein Verstoß gegen Art. 14 Abs. I GG wurde z.B. bejaht, wenn durch eine an sich im Bauwich zulässige Grenzgarage ein Fenster des Nachbarhauses vollständig verbaut wird, in einem reinen Wohngebiet ein Kongreßzentrum genehmigt wird, in einem durchweg mit Einfamilienhäusern bebauten Gebiet ein viergeschossiger Wohnblock mit Wohnungen errichtet werden soll oder in einem reinen Wohngebiet in unmittelbarer Nachbarschaft eines Altersheims eine Stellplatzanlage mit Einstellplätzen zugelassen wird oder dem Nachbarn ein Zumauern von Fenstern eines an der Grenze stehenden Gebäudes gestattet wird. Ein gegen Art.14 Abs.! GG verstoßender Eingriff wurde dagegen verneint, wenn die Belastung für den Nachbarn zwar schwer, aber gleichwohl nicht unerträglich war, weil sie letztlich auf eigene bauliche Maßnahmen des Nachbarn zurückzuführen war. Ebenso ist eine schwere Beeinträchtigung nicht unzumutbar, wenn der Nachbar mit der Errichtung der ihn belastenden Anlage beim Bau seines Hauses rechnen musste.