Gewerkschaft

Zur Frage, ob ein Mitglied aus der Gewerkschaft ausgeschlossen werden kann, das bei der Betriebsratswahl auf einer nicht von der Gewerkschaft unterstützten Liste kandidiert.

Zum Sachverhalt: Die fünf Kläger wenden sich mit ihrer Feststellungsklage gegen den Ausschluss aus der Beklagten Gewerkschaft. Am 14. 4. 1978 hatten Betriebsratswahlen stattgefunden. Im Betrieb, in dem die Kläger beschäftigt waren, stellten die Vertrauensleute der Beklagten zwei Wahllisten mit insgesamt 32 Kandidaten für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte der Beklagten Gewerkschaft auf. Die Kläger kandidierten trotz ihrer Mitgliedschaft bei der Beklagten auf anderen Listen, die sie - ebenfalls getrennt nach Arbeitern und Angestellten - zusammen mit nicht organisierten Betriebsangehörigen aufgestellt hatten. Von den insgesamt 27 Kandidaten dieser Listen waren 19 Mitglieder der Beklagten Wegen dieser Kandidatur leitete die Beklagten am 17. 4. 1978 das Ausschlussverfahren gegen die Kläger ein. Am 12. 7. 1978 beschloss der Hauptvorstand der Beklagten, die Kläger aus der Gewerkschaft auszuschließen, weil sie durch ihre Kandidatur auf nicht vom gewerkschaftlichen Vertrauensleutekörper aufgestellten Listen gegen § 7 Nr. 1 a und b der Satzung und Nr. 16 der vom Hauptvorstand der Beklagten erlassenen Richtlinien für Betriebsrätewahlen verstoßen hätten. § 7 Nr. 1 der Satzung der Beklagten lautet: Ein Mitglied kann ausgeschlossen werden, wenn es

a) die Gewerkschaft oder die Interessen der Mitglieder gröblich geschädigt hat;

b) den Anordnungen des Hauptvorstandes, soweit diese auf der Satzung oder auf Beschlüssen der zuständigen Organe beruhen, nicht folgt. In Nr. 16 der genannten Richtlinien heißt es: Mitglieder der... kandidieren nur auf Listen, die von der Organisation bestätigt wurden. Sie dürfen keine andere Liste unterstützen. Das Kandidieren auf anderen oder gegnerischen Listen ist gewerkschaftsschädigendes Verhalten i. S. des § 7 der Satzung und zieht das Ausschlussverfahren nach sich. Der Klage auf Feststellung, dass die Ausschließungsbeschlüsse unwirksam und die Kläger weiterhin Mitglieder der Beklagten seien, hat das Landgericht stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Revision der Kläger führte zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Aus den Gründen: Gegen die Zulässigkeit der Revision bestehen keine Bedenken. Insbesondere kann die Ansicht der Beklagten nicht gebilligt werden, das vorliegende Verfahren sei eine nicht vermögensrechtliche Angelegenheit, weshalb die Revision vom Berufungsgericht hätte zugelassen werden müssen, um statthaft zu sein. Der Senat hat in seinem Urteil vom 27. 2. 1978 dargelegt, dass ein Gewerkschaftsmitglied durch den Ausschluss aus der Gewerkschaft ideell betroffen und wirtschaftlich durch den Verlust sozialer Schutzrechte und erworbener Anwartschaften erheblich beeinträchtigt wird. Das Interesse der Kläger an der Mitgliedschaft bei der Beklagten ist daher auch vermögensrechtlicher Art. Es handelt sich deshalb im vorliegenden Falle um eine vermögensrechtliche Streitigkeit. Da die Beschwerde der Kläger 40000 DM übersteigt, ist ihre Revision statthaft.

Die Revision ist auch begründet und führt zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts verstößt der Ausschluss der Kläger gegen § 20II BetrVG und ist deshalb gemäß § 134 BGB nichtig. Nach § 20II BetrVG darf niemand die Wahl des Betriebsrats dadurch beeinflussen, dass er Nachteile androht oder zufügt. Die Beklagten hat eine solche Beeinflussung zumindest versucht, indem sie ihren Mitgliedern unter Androhung des Ausschlusses verbot, auf anderen als von ihr unterstützten Listen zu kandidieren. Der als Sanktion gegen die Missachtung dieses Verbots in Nr. 16 der Richtlinien für Betriebsrätewahlen vom 15. 7. 1977 angedrohte und später gegen die Kläger verhängte Ausschluss ist aus den oben dargelegten Gründen für diese ein Nachteil. Der Tatbestand des § 20 II BetrVG ist daher erfüllt.

Dennoch hält das Berufungsgericht den Ausschluss der Kläger für berechtigt. Ihr Verhalten sei allein wegen ihrer Kandidatur auf der unabhängigen Liste geeignet gewesen, der Beklagten zu schaden. Dagegen dürfe sich diese zur Wehr setzen. Zu dem durch Art. 9 III GG geschützten Kernbereich der Betätigung der Gewerkschaften im Betriebsverfassungswesen gehöre grundsätzlich auch die Möglichkeit, sich mit den vereinsrechtlich zur Verfügung stehenden Mitteln gegen Störungen und Gefahren zu wenden, die der Koalition aus den Reihen der eigenen Mitglieder drohten. Der Verband müsse daher auch gegen solche Mitglieder vorgehen können, die durch ihre Kandidatur eine Liste unterstützen, deren Ziel es sei, den Einfluss der Gewerkschaft auf die Angelegenheiten des Betriebs zu verringern. Nicht nur die Kandidatur auf einer gegnerischen Liste richte sich im Wahlkampf gegen die eigene Organisation, sondern auch die Kandidatur auf einer anderen Liste, wenn sie in Konkurrenz zur gewerkschaftlich unterstützten Liste stehe und darauf abziele, dieser Stimmen zu entziehen und damit die Repräsentanz der Gewerkschaft im Betrieb zu schwächen. Deshalb sei auch die Kandidatur eines Gewerkschaftsmitgliedes auf einer anderen Liste im Regelfall mit der Treue- und Loyalitätspflicht des Mitglieds gegenüber seiner Gewerkschaft nicht vereinbar. Diese einschränkende Auslegung des Verbots der unzulässigen Wahlbeeinflussung durch § 20 II BetrVG zugunsten der Disziplinargewalt der Gewerkschaften findet im Gesetz keine Stütze. Der Senat hat sich bereits in den Urteilen vom 13. 6. 1966 und vom 27. 2. 1978 mit der Frage befasst, ob eine Gewerkschaft ihren Mitgliedern unter Androhung des Ausschlusses verbieten kann, bei Betriebsratswahlen auf anderen als von der Gewerkschaft bestätigten Listen zu kandidieren. Er hat dies verneint, wenn die andere Liste zwar mit einer gewerkschaftlich unterstützten Liste konkurriert, aber über den Wettbewerb um die Stimmen hinaus keine gegnerische Tendenz hat. Daran wird festgehalten.

Das BVerfG geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Art. 9III GG die Koalitionsfreiheit nur in ihrem Kernbereich schützt. Das Grundrecht räumt den geschützten Personen und Vereinigungen nicht mit Verfassungsrang einen inhaltlich unbegrenzten und unbegrenzbaren Handlungsspielraum ein; es ist vielmehr Sache des Gesetzgebers, die Tragweite der Koalitionsfreiheit dadurch zu bestimmen, dass er die Befugnisse der Koalition im Einzelnen gestaltet und näher regelt. Dabei kann er den besonderen Erfordernissen des jeweils zu gestaltenden Sachverhalts Rechnung tragen. Allerdings dürfen dem Betätigungsrecht der Koalition nur solche Schranken gezogen werden, die zum Schutz anderer Rechtsgüter von der Sache her geboten sind. Regelungen, die nicht in dieser Weise gerechtfertigt sind, tasten den durch Art. 9 III GG geschützten Kerngehalt der Koalitionsbetätigung an. Diese Grundsätze gelten auch für die Bestätigung der Koalitionen im Bereich des Betriebsverfassungsrechts.