Grenzverlauf

Zur Anwendung der Grundsätze über das Fehlen der Geschäftsgrundlage auf einen so genannten Grenzfeststellungsvertrag bei grobem Vermessungsfehler.

Zum Sachverhalt: Die Parteien sind Grundstücksnachbarn. Sie streiten über den Grenzverlauf ihrer Grundstücke.

Auf die zur Anlage des Berufungsurteils gemachte Skizze wird verwiesen. Der Kläger gehören seit je her die drei Parzellen Flur 1 Nr. 2975, 201 und 1070/206. Die Beklagte sind Eigentümer der in Flur 2 gelegenen Parzellen Nr. 200 und 376. Das Gelände ist Erdrutschgebiet, auf dem außerdem Abraum von Steinbrucharbeiten gelagert war. Der richtige Grenzverlauf war deshalb in der Natur teilweise unklar 1973 vermaß der Landmesser F in der Flur 1 und 2 eine Reihe von Flurstücken zum Zwecke der Teilung und markte die festgestellten Grundstücksgrenzen in der Natur ab. Insbesondere wurde die Grenze zwischen den Parzellen Nr. 2975 und 1070/206 einerseits und der Parzelle Nr. 376 andererseits durch die Grenzpunkte K 7 und K 8 in der Natur bestimmt. Nicht besonders abgemarkt wurde die Lage der vier Eckpunkte HJKG der Parzelle Nr. 200; diese gehörte damals noch dem Provinzialverband, der sie 1953 an einen Rechtsvorgänger der Beklagte veräußerte. Die Lage dieser Parzelle in der Natur ergab sich aber aus den umliegenden Parzellen Nr. 2975, 201, 1070/206 und 376.

Der damals noch lebende Ehemann der Kläger, der für sie auftrat unterschrieb 1953 das amtliche Protokoll des Landmessers F über die Grenzverhandlung. Dort heißt es.

Bei der Untersuchung, ob die vorbeschriebenen Grenzen mit dem Nachweise der Katasterkarte und den für die Herstellung der katastermäßigen Grenzen maßgeblichen Messungsunterlagen übereinstimmen, ergab sich folgendes: fast überall ganz unzulässige Unterschiede, die auf die starken Erdverschiebungen zurückzuführen sind und in diesem früheren Steinbruchgelände besonders in ost-westlicher Richtung auftreten. Demzufolge kann auch von einwandfreier Grenzwiederherstellung, die in Anlehnung an die Katasterunterlagen erfolgte oder Übereinstimmung mit dem Katasternachweis keine Rede mehr sein.

Auf die Bedeutung und verbindliche Kraft der Grenzverhandlung hingewiesen, erklären hierauf die Beteiligten: Wir erkennen die vorbeschriebenen, an der Hand des Feldbuchs der beigehefteten Skizze eingehend erläuterten Grenzen unseren Nachbarn gegenüber rechtsverbindlich an.... Gegen das Einrücken neuer Zwischensteine in unsere Eigentumsgrenzen erheben wir keinen Einspruch....

Durch Vermessung in den Jahren 1969 und 1971 ergab sich, dass die Grenze zwischen den Punkten A und F weiter nordöstlich verläuft.

Die Kläger verlangt die Feststellung, dass die Grenze zwischen ihren Parzellen Nr. 2975, 201 und 1070/206 einerseits und den Parzellen Nr. 200 und 376 andererseits 15 m weiter nordöstlich parallel zur derzeitigen Abmarkung verlaufe und Zustimmung der Beklagte zur neuen Abmarkung der Grenze in der Natur. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Oberlandesgericht hat ihr teilweise stattgegeben und festgestellt, dass die Grenze AH und GF zwischen den Parzellen Nr. 2975 und 1070/206 einerseits und 376 andererseits 14 m weiter nordöstlich parallel zur bisherigen Abmarkung AF des Landmessers F von 1953 verlaufe, während die bisherige Grenze HJKG der Parzelle Nr. 200 unverändert bleibe. Gleichzeitig hat es die Beklagte verurteilt, einer entsprechenden Neuabmarkung zuzustimmen. Die Revision der Beklagte hat keinen Erfolg.

Aus den Gründen: 1. Das Berufungsgericht führt aus, dass die Kläger seit jeher Eigentümerin der streitigen Grundstücksflächen gewesen sei. Ihr Eigentum habe sie nicht durch den Grenzfeststellungsvertrag von 1973 verloren. Dieser Vertrag sei formlos wirksam. Er hindere sie nicht, ihr Eigentum gegenüber den Beklagten geltend zu machen. Ob sich aus ihm eine widerlegliche oder unwiderlegliche Vermutung der Richtigkeit der anerkannten Grenzen ergebe, könne dahinstehen; denn eine widerlegliche Vermutung habe die Kläger widerlegt. Gehe man von einer unwiderleglichen Vermutung aus, so sei die Kläger an den Vertrag wegen Fehlens der Geschäftsgrundlage nicht gebunden. Geschäftsgrundlage des Vertrages sei es gewesen, dass Landmesser F keine wesentlichen Vermessungsfehler begangen habe. Er habe in eklatanter Weise einen Fehler im Umfang von etwa 177,5 qm zu Ungunsten der Kläger gemacht. Auch bei einem Grenzfeststellungsvertrag mit Vergleichscharakter sei es mit Treu und Glauben nicht zu vereinbaren, die Kläger an diesem Vermessungsfehler festzuhalten. Unbegründet sei die Klage insoweit, als sie eine Änderung der Grenze HJKG der Parzelle Nr. 200 zum Inhalt habe, denn insoweit habe die Kläger ihr Eigentum durch gutgläubigen Erwerb eines Rechtsvorgängers der Beklagte verloren.

Diese Ausführungen halten den Angriffen der Revision stand. Ob und unter welchen Voraussetzungen ein so genannter Grenzfeststellungsvertrag formlos möglich ist und welche Rechtswirkungen er entfaltet, mag hier offen bleiben, denn entgegen der Auffassung der Revision ist die Kläger hier wegen Fehlens der Geschäftsgrundlage an einen solchen Vertrag jedenfalls nicht gebunden. Dazu kann auch dahinstehen, ob der Grenzfeststellungsvertrag Vergleichscharakter hatte. Nach feststehender Rechtsprechung sind die Regeln über das Fehlen der Geschäftsgrundlage auch auf einen Vergleich anzuwenden, wenn die Voraussetzungen von § 779 BGB nicht vorliegen. Das zieht die Revision wohl auch nicht in Zweifel.

Sie verweist auf die Protokollfeststellung über die Unmöglichkeit einer einwandfreien Grenzwiederherstellung, worauf die Beteiligten hingewiesen worden seien. Danach könne Geschäftsgrundlage weder die Annahme gewesen sein, der Landmesser F habe die Grenze richtig ermittelt, noch, er habe keine wesentlichen Vermessungsfehler begangen. Weil die Unterzeichner des Protokolls in Kenntnis der bestehenden Grenzverwirrung Grenzunklarheiten endgültig beseitigen wollten, hätten sie beträchtliche Abweichungen von der früheren Wirklichkeit in Kauf genommen. Der Grenzfeststellungsvertrag sei deshalb dahin auszulegen, dass die Parteien die vorhandenen Unklarheiten ein für allemal ausräumen und gerade einen Rechtsstreit der vorliegenden Art verhindern wollten.

Im Ergebnis erfolglos wendet sich die Revision damit gegen die Vertragsauslegung des Berufungsgerichts Offenbleiben kann, ob und bis zu welchem Ausmaß nach dem Inhalt des Protokolls von 1953 die Möglichkeit einer unrichtigen Grenzfeststellung zum Vertragsinhalt erhoben wurde. Revisionsrechtlich nicht zu beanstanden ist jedenfalls die Feststellung des Berufungsgerichts, es sei Geschäftsgrundlage des Grenzfeststellungsvertrages gewesen, Landmesser F habe bei der Neuvermessung im März 1973 keine wesentlichen Vermessungsfehler begangen. Im genannten Protokoll ist zwar davon die Rede, dass wegen verschiedener Umstände eine einwandfreie Grenzwiederherstellung nicht möglich sei. Das lässt aber gerade Raum für die Annahme des Berufungsgerichts, Landmesser F habe nach der übereinstimmenden Vorstellung der Parteien seine Beurteilungsgrundlage fachlich einwandfrei gewonnen und nicht unter Verstoß gegen die Regeln der Vermessungstechnik angenommen, eine objektiv richtige Vermessung sei nicht mehr möglich. Demgegenüber ließen sich die streitigen Grundstücksgrenzen hier aber zuverlässig vermessen, wie das Berufungsgericht auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens feststellt. Von diesem Ausgangspunkt aus kann die Revision auch nicht geltend machen, die Parteien hätten die Möglichkeit des jetzt zutage getretenen Fehlers in ihre Überlegungen mit einbezogen, mindestens diesen Fehler voraussehen können. Wie ausgeführt, lässt sich dem Protokoll von 1953 gerade nicht entnehmen, dass die Unterzeichner dieses Protokolls von einer fachlich fehlerhaften Vermessung ausgingen oder damit rechneten. Auch unter dem Gesichtspunkt der Risikoverteilung ist deshalb der aufgedeckte Vermessungsfehler erheblich. Zutreffend meint das Berufungsgericht auf der Grundlage eines Vermessungsfehlers von 14 m, dass es Treu und Glauben widersprechen würde, die Kläger an einem Fehler dieses Ausmaßes festzuhalten. Entgegen der Auffassung der Revision ist darauf ohne Einfluß, dass durch die Grenzfeststellung des Berufungsgerichts, insbesondere wegen der unverändert bleibenden Grenzen der Parzelle Nr. 200, ein Grenzverlauf entsteht, bei dem die Grenze der Parzelle Nr. 376 korridorartig in den Grundbesitz der Kläger hineinragt.