Güternahverkehr

Zu den Voraussetzungen, unter denen dem Anspruch des Güternahverkehrsunternehmens auf Zahlung des Differenzbetrages zwischen dem tarifmäßigen und dem vereinbarten Entgelt ausnahmsweise der Einwand der Arglist entgegengehalten werden kann.

Zum Sachverhalt: Der Kläger war als Subunternehmer der Firma B für die Beklagte tätig. Nach dem Vertrag der Firma B mit der Beklagten waren 300000 to Frostschutzmaterial über eine Strecke von 4,7 km auf eine Halde zu transportieren. Neben der Transportleistung hatte die Firma B das Einplanieren der Haldenoberfläche, die Unterhaltung und Instandhaltung der Abfuhrwege und sonstige Nebenleistungen entsprechend der VOB übernommen. Als Vergütung für den Transport zur Einbaustelle war ein Betrag von 1,30 DM je to vereinbart worden; hiervon sollten 0,30 DM je to als Rücklage bis zum Bauende bei der Beklagte verbleiben. Die Frachtberechnung erfolgte ohne Heranziehung des Tarifs für den Güternahverkehr mit Kraftfahrzeugen. Für die geleisteten Arbeiten trat der Inhaber der Firma B alle Frachtnachforderungen wegen nicht tarifgerechter Berechung an den Kläger ab. Der Kläger berechnet die Forderung nach dem Mindestsatz der Tafel V Abt. A GNT und verlangt von der Beklagte Zahlung des Differenzbetrages zwischen dem tarifmäßigen und dem tatsächlich gezahlten Entgelt. Bis zu diesem Betrag hat der Kläger seine Forderung an die Firma M abgetreten, die ihn ihrerseits zur Prozessführung im eigenen Namen ermächtigt hat. Die Beklagte vertritt die Auffassung, bei dem Vertrag mit B habe es sich nicht um einen Beförderungsvertrag, sondern um einen Werkvertrag gehandelt, der nicht dem Tarif unterliege. Davon abgesehen sei die Nachforderung des Klägers arglistig. Denn der Inhaber der Firma B habe bei Vertragsabschluss nicht auf die Anwendbarkeit des GNT hingewiesen; ihr, der Beklagte, seien die Tarifvorschriften nicht bekannt gewesen, da sie mit Fragen des Güternahverkehrs bislang nur nebenbei in Berührung gekommen sei. Entscheidend sei der Umstand, dass sie der Firma B den Auftrag nur erteilt habe, um deren im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestehende wirtschaftliche Schwierigkeiten zu mildern. Die Firma B habe nämlich ungenutzte Kapazitäten gehabt und sei daher auf die Erteilung von Aufträgen angewiesen gewesen; sie, die Beklagte habe deshalb auf die Durchführung der Arbeiten mit eigenen Fahrzeugen verzichtet, die auch nur kalkulatorische Kosten von 1,30 DM je to erfordert hätten. Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Differenzbetrag zwischen vereinbarter und gezahlter Vergütung sei nicht an den Kläger abgetreten worden; dem Begehren auf Zahlung der Differenz von tariflichem und vereinbartem Entgelt stehe der Einwand der Arglist entgegen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen: Beide Vorinstanzen beurteilen den zwischen B und der Beklagte geschlossenen Vertrag als Beförderungsvertrag, der dem Tarif für den Güternahverkehr mit Kraftfahrzeugen i. d. F. der VO TSN Nr. 4/ 74 vom 2. 9. 74 unterliegt. Diese Ausführungen werden von der Revision als ihr günstig nicht angegriffen. Sie lassen auch keinen Rechtsfehler erkennen.

Soweit der Kläger den Differenzbetrag zwischen der nach dem Vertrag vereinbarten und der gezahlten Vergütung verlangt, steht ihm dieser nach der Auffassung des Berufsgericht deshalb nicht zu, weil dieser Unterschiedsbetrag ihm von der Firma B nicht abgetreten worden sei. Das Berufsgericht führt aus, die Formulierung der Abtretungsurkunde lasse eindeutig erkennen, dass der Zeuge B an den Kläger nur die Differenzbeträge zwischen dem von der Beklagten geschuldeten Entgelt und dem tariflichen Mindestsatz abgetreten habe. Dass B als Zeuge vor dem Landgericht eine andere Meinung vertreten habe, sei rechtlich nicht erheblich; denn der Wortlaut der Abtretungserklärung sei eindeutig und damit einer Auslegung durch außerhalb der Urkunde liegende Umstände nicht zugänglich.

Diese Ausführungen werden von der Revision mit Recht angegriffen. Das Berufsgericht hat nicht beachtet, dass es bei der Auslegung von Verträgen auch darauf ankommt, welche Bedeutung die Vertragschließenden selbst den von ihnen gewählten Formulierungen beilegen z. B. durch ihr Verhalten nach Abschluss und bei der Durchführung des Vertrages; ist unter Heranziehung dieser Umstände ein übereinstimmender Inhalt festzustellen, dann kommt es auf den Wortlaut der Erklärung nicht an. Das Berufungsurteil kann daher in diesem Umfang keinen Bestand haben.

Das Berufsgericht ist mit dem Landgericht der Auffassung, der Geltungsbereich des Differenzbetrages zwischen dem tarifmäßigen und dem vereinbarten Entgelt stehe der Einwand der Arglist entgegen.

Dazu führt das Berufsgericht aus:

Der Zeuge B habe glaubhaft ausgesagt, dass er an die Beklagte mit der Bitte um Erteilung eines Beförderungsauftrages herangetreten sei, weil seine Transportkapazitäten nicht voll ausgelastet gewesen seien und daher die Überlegung angestanden sei, Kapazitäten stillzulegen und damit Arbeitskräfte entlassen zu müssen. Diese Erwägungen habe er nach seinen Bekundungen der Beklagte zur Kenntnis gebracht. Eine derart motivierte Kontaktaufnahme des Zeugen B mit der Beklagten müsse einer dringenden Bitte im Sinne der Rechtsprechung des BGH gleichgesetzt werden. Denn ohne Erlangung des begehrten Auftrags wäre nach den Bekundungen des Zeugen dessen wirtschaftliche Existenz gefährdet gewesen. Er habe alles daransetzen müssen, seine freien Kapazitäten auszulasten, um Verluste zu vermeiden und Arbeitsplätze erhalten zu können. An der Dringlichkeit der Bitte bestehe nach allem kein Zweifel. Auch die weitere Behauptung der Beklagte, allein wegen der ihr bekannten unternehmerischen Schwierigkeiten der Firma B habe sie dieser den Auftrag erteilt, sei durch die Aussage des Zeugen, die wiederum durch die Bekundungen von 2 weiteren Zeugen bekräftigt worden sei, bestätigt worden. B habe dargelegt, er habe den Eindruck gehabt, die Beklagte habe unter Preisdruck gestanden und deshalb den Einsatz eigener oder angemieteter Fahrzeuge erwogen. Der Umstand, dass er den von der Beklagte kalkulierten Preis je to in Gegenwart des Kläger nachkalkuliert und als ausreichend in dem Sinne erachtet habe, dass bei Auftragsvergabe an ihn noch ein geringer Gewinn zu erzielen gewesen sei, spreche zur Überzeugung des Gerichts für die Richtigkeit der von der Beklagte behaupteten Motivation der Auftragsvergabe, nämlich einer wirtschaftlichen Stützung der Firma B; dem stünden die Behauptungen des Kläger, die Beklagte habe durch die Auftragsvergabe an die Firma B einen Teil ihres Verwaltungsaufwands erspart und die Kalkulation der Beklagte sei unrichtig gewesen, nicht entgegen. Zum einen werde aus dem Vorbringen des Klägers nicht ersichtlich, ob und in welchem Umfang eine Einsparung im Verwaltungsaufwand der Beklagte eingetreten sei. Zum anderen habe der Kläger nicht dargelegt, dass es der Beklagte nur möglich wäre, die Transportleistungen unter Verwendung eigener oder angemieteter Fahrzeuge zu höheren als den vereinbarten Kosten auszuführen. Auch aus der Höhe der Tarifunterschreitung könne nichts zugunsten des Klägers hergeleitet werden; sie sei zwar bedenklich, stehe aber nicht dem Einwand der Arglist entgegen.

Auch die gegen diese Ausführungen gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg. Dem Berufsgericht kann aus Rechtsgründen nicht gefolgt werden. In dem vom Berufsgericht herangezogenen Senatsurteil waren maßgebliche Grundlage die zwischen den Parteien bereits längere Zeit andauernden Geschäftsbeziehungen, die den damaligen Beklagte zu dem auch für den Kläger erkennbaren Vertrauen berechtigen, das bisherige Entgelt werde auch in Zukunft gelten. Nur dieses Vertrauen auf den Fortbestand eines einmal vereinbarten Entgelts, das regelmäßig bei Verstößen gegen die zwingenden Tarife angesichts der Bedeutung der Tarifsicherung nicht gegenüber einem Nachforderungsanspruch mit Erfolg eingewendet werden kann, sollte ausnahmsweise unter den Voraussetzungen des damaligen für die Revisionsinstanz als richtig unterstellten Vortrags der Beklagte den Einwand der Arglist rechtfertigen. Das Berufsgericht hat nicht beachtet, dass es im Streitfall schon an der ersten Voraussetzung, den länger andauernden Geschäftsbeziehungen und damit am Vertrauenstatbestand fehlt, der unerlässliche Voraussetzung für die Rechtsfertigung des Einwands der Arglist ist. Bereits aus diesen Gründen liegt hier ein Ausnahmefall im Sinne der Vor-Entscheidung nicht vor. Aber auch die weitere Voraussetzung, nämlich ein besonderes Entgegenkommen des Auftraggebers mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Lage des Transportunternehmens, ist nach den Feststellungen des Berufsgerichts nicht zu bejahen. Ein solcher Fall liegt hier auch nach den Feststellungen des Berufsgerichts nicht vor. Auf Seiten der Beklagte fehlt es demnach sowohl an einem schätzenswerten Vertrauenstatbestand als auch an einer offenkundigen echten wirtschaftlichen Hilfe für einen Not leidenden Unternehmer. Der Einwand der Arglist kann daher nicht mit Erfolg erhoben werden.