Haftungseinheit

Für den Ausgleichsanspruch eines Nebentäters gegen den anderen ist auch insoweit kein Raum, als jener in einem Vorprozess in Verkennung einer diesen mit dem Geschädigten verbindenden Zurechnungseinheit (Haftungseinheit) mit einer zu hohen Quote belastet worden ist.

Dagegen ist in diesem Fall ein Bereicherungsanspruch des ersten gegen den zweiten Nebentäter grundsätzlich möglich.

Zum Sachverhalt: Die zehnjährige B wurde durch den Pkw des beim Kläger-haftpflichtversicherten S angefahren und erheblich verletzt. Das Kind war in Begleitung der Beklagte, seiner Großmutter nach Einbruch der Dunkelheit und bei regnerischem Wetter spazieren gegangen. Beide hatten nach Überschreiten eines Grünstreifens die Fahrbahn der Straße betreten und bereits deren erste Hälfte überquert, als die Beklagte angesichts des auf der zweiten Fahrbahnhälfte von rechts herankommenden Kraftwagens des S wieder zurücktrat, während das Kind weiterlief, so dass es von dem Kraftwagen erfasst wurde. In einem Vorprozess wurden auf Klage des Kindes S und der jetzige Kläger auf der Grundlage eines 20%igen Mitverschuldens des Kindes zu Schadensersatz verurteilt. Bei der Abwägung ließ das Gericht das Verhalten der jetzigen Beklagte ausdrücklich außer Betracht, weil dieses dem Kind im Rahmen der Deliktshaftung nicht nach § 2541 BGB angerechnet werden dürfe (BGHZ 1, 248 = LM § 254 [Ea] BGB Nr. 1 = NJW 1951, 477). Mit der gegenwärtigen Klage begehrt der Kläger, gestützt auf § 426 BGB, von der Beklagte hälftige Erstattung seiner bisherigen Leistungen aufgrund des früheren Urteils und Feststellung, dass ihm die Beklagte in demselben Umfang auch künftige Leistungen an die - inzwischen allerdings ohne ersichtlichen Zusammenhang mit dem Unfall verstorbene - Verletzte zu erstatten habe.

Das Berufungsgericht hat die Klage, der das Landgericht teilweise stattgegeben hatte, ganz abgewiesen. Die - zugelassene - Revision führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen: I. Das Berufungsgericht verneint eine Ausgleichungspflicht der Beklagte gegenüber dem Versicherungsnehmer des Klägers Es kommt zu dem Ergebnis, dass zwischen dem geschädigten Kind und der Beklagte eine Haftungseinheit oder besser Zurechnungseinheit bestanden habe. Denn die Verursachungsbeiträge beider seien vor dem eigentlichen Unfallgeschehen in dem gefährlichen Umstand verschmolzen, dass das Kind trotz dem herannahenden Kraftwagen die Straße überschritten habe. Damit sei der Beklagte nur vorzuwerfen, dass sie durch Vernachlässigung ihrer Obhuts- und Sorgfaltspflicht denjenigen Umstand (mit) verursacht habe, für den auch das Kind einstehen müsse. Hinsichtlich dieses Tatbeitrags seien daher die Beklagte und das Kind wie eine einzige Person zu behandeln. Der Versuch des Richters im Vorprozess, diesen Verursachungsbeitrag (gegenüber dem Versicherungsnehmer, der einen anderen Verursachungsbeitrag zu vertreten hat) wieder aufzulösen, sei nicht richtig gewesen. Falls indessen der Kläger damals durch eine unrichtige Entscheidung mit einer zu hohen Haftungsquote belastet worden sei, könne er hinsichtlich des Mehrbetrags von der Belcl. keinen Ausgleich nach § 426 BGB fordern, da es gegenüber der Verletzten an einer Schuldverpflichtung gefehlt habe. Aus § 840 BGB folge nichts anderes. Denn soweit der Geschädigte im Rahmen einer Haftungseinheit für seinen Schaden mitverantwortlich sei, fehle es für eine gesamtschuldnerische Haftung an der Identität des Leistungsinhaltes.

II. Diese Ausführungen des Berufungsgerichts geben jedenfalls in ihren tragenden Erwägungen keinen Anlass zu rechtlicher Beanstandung. Sie befinden sich im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH, wie sie zuletzt in dem Senatsurteil vom 18. 9. 1973 (BGHZ 61, 213 = NJW 1973, 2022 m. w. Nachw.) zum Ausdruck gekommen ist (vgl. RGRK, 12. Aufl., § 426 Rdnrn. 18 ff.).

1. Nach dieser Rechtsprechung, an der auch gegenüber der jüngsten, kaum näher begründeten Kritik von Eibner festzuhalten ist, kamen im Streitfall als Gegenstand der primären Verursachungsabwägung in Frage einerseits das unachtsam gesteuerte und daher nicht rechtzeitig abgebremste Fahrzeug des S und andererseits das verkehrswidrig die Fahrbahn oder doch deren zweite Hälfte trotz dem herannahenden Fahrzeug betretende Kind. In dem letzteren Verursachungsbeitrag, den S gegenüber dem verletzten Kind zu vertreten hatte, war schon vor dem eigentlichen Unfallgeschehen ein - nach dem feststehenden Sachverhalt naheliegendes - Verschulden der jetzigen Beklagte durch Verletzung ihrer Obhutspflicht aufgegangen. Daher konnten Ansprüche des verletzten Kindes gegen die Beklagte allenfalls im Rahmen einer zweistufigen Abwägung hinsichtlich dieses Verursachungsbeitrags zum Tragen kommen, an der S indes nicht mehr zu beteiligen war. Dabei machte es, wie das Senatsurteil (BGHZ 61, 213 (218) = NJW 1973, 2022 = LM § 254 [F] BGB) klargestellt, grundsätzlich keinen Unterschied, ob ein Schädiger mit einem zweiten, oder aber mit dem Geschädigten selbst in einer Haftungseinheit bzw., wie man hier besser sagen sollte, Zurechnungseinheit zusammengeschlossen ist (so schon Senat, NJW 1966, 1262 = LM vorstehend Nr. 25a; s. dazu auch NJW 1966, 1810).

2. Auch die Revision zweifelt diese Grundsätze an sich nicht an. Wenn sie glaubt, dass im Streitfall aus tatsächlichen Gründen nicht von einer Zurechnungseinheit auszugehen sei, dann kann ihr aus den bereits dargelegten Erwägungen nicht gefolgt werden. Auch im übrigen erweisen sich die Rügen der Revision nicht als stichhaltig:

a) Allerdings trifft es zu, dass das Urteil im Vorprozess die Mitverantwortung der jetzigen Beklagte ausdrücklich ausgeklammert hat, weil es glaubte, den Verursachungsbeitrag des verletzten Kindes auch so bemessen zu können. Das hat indessen das Berufungsgericht nicht verkannt; es bezeichnet diese Ausführungen des früheren Urteils ausdrücklich als unrichtig. Diese Unrichtigkeit kann sich aber, wenn überhaupt, im Ergebnis nur dahin ausgewirkt haben, dass der Verletzten damals mehr zugesprochen worden ist, als angesichts des von ihr selbst zu vertretenden Verursachungsbeitrags, in den derjenige der jetzigen Beklagte eingegangen war, gerechtfertigt sein konnte. Das berührt die Beklagte nicht, weil sich die Rechtskraft des Urteils im Vorprozess nicht auf sie erstreckt (vgl. RGRK, § 426 Rdnr. 9); auch die Revision erkennt dies an. Der Kläger - damals Beklagte - hätte eine Verbindlichkeit der damaligen Entscheidung, die seiner allerdings nur im Ergebnis richtigen Einlassung widersprach, nur durch eine Streitverkündung an die jetzige Beklagte sicherstellen können, die aber unterblieben ist.

b) Zuzugeben ist der Revision, dass das Urteil im Vorprozess hier auch insoweit keine Rechtskraft wirkt, als dem verletzten Kind immerhin 20% des Schadens wegen seines eigenen Mitverschuldens angelastet worden sind. Diese Mitverschuldungsquote bewegte sich aber bei einem zehnjährigen Großstadtkind, das achtlos in die Fahrbahn eines Kraftwagens lief, offensichtlich mindestens an der Untergrenze des noch Vertretbaren. Daher hatte das Berufungsgericht keinen Anlass zu näheren Ausführungen darüber, dass die objektiv angemessene Haftungsquote des jetzigen Kläger mindestens nicht höher sein konnte als die, die ihm das frühere Urteil auferlegt hat.

3. Nach allem verbleibt es dabei, dass der Kläger, soweit er im Vorprozess zu Recht verurteilt worden ist, keine Leistung erbracht hat, hinsichtlich derer er von der Beklagte gemäß § 426 BGB Ausgleichung verlangen kann, und dass, soweit ihm zu Unrecht eine höhere Zahlungspflicht auferlegt worden sein sollte, dies die jetzige Beklagte mangels Rechtskrafterstreckung jedenfalls in dieser Hinsicht nicht berührt.

III. Das angefochtene Urteil kann indessen derzeit nicht bestätigt werden, weil es nicht prüft, ob dem Kläger gegen die Beklagte ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 BGB) zusteht.

1. Sollte das Urteil im Vorprozess, was naheliegt, den Kläger zu einer höheren Zahlung an die Verletzte verurteilt haben, als angesichts des Umstandes berechtigt war, dass sich die Verletzte außer dem eigenen Verschulden richtigerweise auch den Verursachungsbeitrag der jetzigen Beklagte hätte anrechnen lassen müssen, dann wurde durch die entsprechende Zahlung des Klägers die Beklagte insoweit der Verletzten gegenüber von ihrer Haftung aus § 823 I BGB befreit. Denn die Verletzte hatte dann jedenfalls keinen Schaden mehr gehabt, den sie der Beklagte gegenüber hätte geltend machen können. Zum gleichen Ergebnis könnte die Anwendung der Vorschriften der §§ 267, 362 BGB führen. Die Zahlung des Klägers hatte zwar gegenüber der Verletzten ihre Rechtfertigung jedenfalls in dem rechtskräftig gewordenen Urteil des Vorprozesses. Das hindert indessen nicht, dass die Entlastung der von der Rechtskraft jener Entscheidung nicht berührten Beklagten ohne Rechtsgrund gegenüber dem Kläger erfolgt ist. Der für einen Bereicherungsanspruch notwendige innere Zusammenhang zwischen Gewinn und Verlust, für den sich freilich eine generelle Typisierung verbietet (BGH, NJW 1977, 38 = LM § 607 BGB Nr. 20 = JZ 1976, 479 [481] m. w. Nachw.), ergibt sich im vorliegenden Fall jedenfalls schon aus der rechtlich allerdings verfehlten, aber offenbar die Entscheidung mitmotivierenden Vorstellung des Urteils im Vorprozess, dass der Beklagte, da ja das Bestehen einer Zurechnungseinheit nicht erkannt wurde, gegebenenfalls ein Ausgleichsanspruch gegen die jetzige Beklagte zustehen könne. Im Allgemeinen gehen zwar die Vorschriften über den Gesamtschuldnerausgleich als Spezialbestimmungen anderen Anspruchsgrundlagen vor (vgl. BGHZ 61, 351 [356] = LM § 839 [K] BGB Nr. 33 = NJW 1974, 360; RGRK, § 426 Rdnr. 2). Soweit es indessen, wie hier, schon an den Voraussetzungen für eine Ausgleichung nach § 426 BGB fehlt, ist bei Zuvielzahlung des einen Schädigers ein Bereicherungsanspruch gegen den anderen nicht grundsätzlich ausgeschlossen (Senat, NJW 1964, 1898 [1899] = LM § 17 StVG Nr. 18). Die Vorschrift des § 814 BGB dürfte hier einem Anspruch aus § 812 BGB jedenfalls schon deshalb nicht entgegenstehen, weil der jetzige Kläger unwiderlegt der Rechtsmeinung des Urteils im Vorprozess vertraut hat und ihm nur eine positive Kenntnis der wirklichen Rechtslage hätte schaden können (Erman-H. P. Westermann, BGB, 6. Aufl., § 814 Rdnr. 7 m. Nachw.).

2. Das Berufungsgericht, an das die Sache deshalb zurückverwiesen werden muss, wird daher zu prüfen haben, inwieweit die Beklagte durch die Zahlung des Klägers von einem Ersatzanspruch ihrer Enkeltochter befreit worden war, und, da nur in diesem Falle eine Bereicherung anerkannt werden kann, ob dieser Anspruch gegebenenfalls auch unbeschadet der verwandtschaftlichen Beziehungen durchgesetzt worden wäre. Dagegen werden die von der Revision zuletzt noch als Anspruchsgrundlage herangezogenen Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677, 683 BGB) schon deshalb zu keiner anderen Beurteilung führen können, weil der Kläger weder hinreichenden Anlass hatte, von einem objektiven Interesse der Beklagte an der Mehrzahlung auszugehen, noch deren leicht erreichbare Entscheidung eingeholt hat.