Haftungsquote

Haftungsquote - Zur Anwendung dieser Grundsätze beim Spiel zweier elfjähriger Kinder auf der Fahrbahn, von denen eines durch ein Kraftfahrzeug verletzt worden ist.

Zum Sachverhalt: Der damals 11 Jahre alte Beklagte und der gerade 11 Jahre alt gewordene, körperlich kleinere F waren auf dem Weg zu einer Spielwiese. F hatte sich nach Art eines Pferdchen-Spiels ein Seil um den Leib geschlungen, an dessen anderem Ende ihn der Beklagte zog. Als sie so verbunden die innerhalb der geschlossenen Ortschaft verlaufende, 12,85 m breite B-Straße überqueren wollten, nahte sich ihnen von links der Versicherungsnehmer der Kläger, N. mit seinem Pkw. Er hupte, als er den Beklagten sah, schon aus größerer Entfernung, bremste den Wagen aber nicht ab. Als der Beklagte die Fahrbahn bereits überquert hatte, wurde F etwa auf der Mitte der Fahrbahn von der vorderen rechten Ecke des Fahrzeugs erfasst. Er erlitt sehr schwere Verletzungen und ist u. a. querschnittgelähmt. Das Kraftfahrzeug hinterließ eine bogenförmig nach links verlaufende Spur von 30,95 m Länge. In einem Rechtsstreit, den die für den Verletzten aufkommende AOK gegen den Kraftfahrer N und dessen Haftpflichtversicherer führte, wurden die im damaligen Verfahren Beklagte nach einer Haftungsquote von 80% verurteilt. Dem Verletzten und damit der klagende AOK wurde ein Mitverschulden von 20% angelastet. Diese Haftungsquote von 4/s hat die Kläger auch ihren dem Verletzten aufgrund einer außergerichtlichen Einigung erbrachten Leistungen zugrunde gelegt. Nunmehr begehrt sie von dem Beklagten durch Geltendmachung eines Teilbetrages von 50000 DM und Erhebung der Feststellungsklage zu 40% einen Ausgleich in Höhe der Hälfte ihrer Aufwendungen. Sie ist der Meinung, der Beklagte habe dadurch, dass er F auf die Fahrbahn gezogen habe, einen eigenen Verursachungsbeitrag gesetzt, für den er einzustehen habe. Der Beklagte hat behauptet, er habe das Seil losgelassen, als er den Pkw bemerkte. Zudem hat er sich auf Schuldunfähigkeit berufen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Oberlandesgericht hat ihr teilweise stattgegeben und die Berufung im übrigen zurückgewiesen. Die Revision der Kläger hatte keinen Erfolg, die Anschlussrevision des Beklagten führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen: Das Berufungsgericht hält einen Ausgleichungsanspruch der Kläger nach §§ 421, 426, 840 BGB für gegeben. Nach seiner Ansicht hat im Zeitpunkt des Unfalls keine Zurechnungseinheit zwischen dem Verletzten und dem Beklagten bestanden. Die anfangs durch das gemeinsame Spiel auf der Fahrbahn begründete Zurechnungseinheit zwischen beiden Kindern sei dadurch beendet worden, dass F beim Herannahen des Pkw sich aus dem gemeinsamen Pferdchen-Spiel habe befreien und zurücklaufen wollen, indem er - gewarnt durch das Hupsignal - gegen das gespannte Seil Widerstand leistete. Als der körperlich Schwächere sei er aber dadurch, dass der Beklagte das Seil festgehalten habe, gezwungen gewesen auch seinerseits die Überquerung der Fahrbahn vor dem Pkw fortzusetzen. Von diesem Zeitpunkt des Widerstandes ab habe ein weiteres, durch den Beklagten verursachtes schädigendes Ereignis auf ihn eingewirkt, welches eine deckungsgleiche Zurechnungseinheit zwischen dem Beklagten und ihm ausschließe. Der Beklagte sei für sein Verhalten auch verantwortlich. Sein Mitverursachungsbeitrag betrage, da derjenige des Kraftfahrers erheblich schwerer wiege und sich das gemeinsame gefährliche Spiel ohnehin schon in der Mitverschuldensquote des Verletzten von 20% ausgewirkt habe, im Rahmen der auszugleichenden deckungsgleichen Gesamtschuldquote von 80% nur 10%.

Das Berufungsgericht geht zutreffend davon aus, dass, soweit mehrere Schädiger einem i. S. des § 254 BGB selbst mitschuldigen Geschädigten gegenüberstehen, diese innerhalb der Einzel- und Gesamtabwägung zu einer Haftungs- bzw. Zurechnungseinheit zusammengefasst sein können. Dies kann sich nicht nur aus einer besonderen rechtlichen Verbindung, sondern auch allein aus der tatsächlichen Gestaltung ergeben, wie der Senat insbesondere in den Entscheidungen BGHZ 54 klargestellt hat. Demnach bilden eine solche Einheit immer diejenigen, deren Verhalten sich in einem und demselben unfallbedingten Ursachenbeitrag ausgewirkt hat, bevor der von einem anderen Beteiligten zu vertretende Kausalverlauf hinzutritt; auch der Geschädigte selbst kann in dieser Weise in eine Zurechnungseinheit eingebunden sein. Entgegen der Kritik im Schrifttum hält der Senat an dieser Rechtsprechung fest. Denn nur auf diese Weise ist es möglich, den Verursachungsablauf, den ein Abwägungspartner im Verhältnis zum anderen zu vertreten hat, rational zu bewerten.

Indessen hat das Berufungsgericht diese Grundsätze im vorliegenden Fall nicht richtig angewandt.

Ohne Rechtfehler geht das Berufungsgericht davon aus, dass sowohl der Verletzte selbst als auch der Beklagte ein unfallursächliches Verhalten zu vertreten haben. Worin das Berufungsgericht dieses jeweilige Verhalten erblickt, lässt sich aus seinen Ausführungen allerdings nur unvollständig und allenfalls durch Zusammenhalt mit der erstinstanzlichen Entscheidung und derjenigen im Vorprozess erschließen. Demnach fällt dem Verletzten zur Last, dass er das Pferdchenspiel nicht nur veranlasst, sondern - was sicher fahrlässiger war - auch noch im Bereich der Fahrbahn zunächst freiwillig fortgesetzt hat. Insoweit war auch der Beklagte an der Verursachung beteiligt, aber das angefochtene Urteil lässt nicht erkennen, ob es ihm auch insoweit schon einen haftungsbegründenden Vorwurf machen will; das könnte bedenklich sein, weil kein allgemeines Gebot besteht, andere vor Selbstgefährdung zu bewahren, und für eine Garantenpflicht des kaum älteren Beklagte nichts ersichtlich ist. Indessen wirft das Berufungsgericht dem Beklagten insbesondere vor, dass er bei Herannahen des Kraftfahrzeugs das Seil nicht losgelassen, sondern den später Verletzten unvernünftigerweise weiter gezogen habe. Dieser Schuldvorwurf ist tatrichterlich mindestens möglich.

Wovon das Berufungsgericht im einzelnen ausgegangen ist, kann aber dahinstehen. Bei jeder Betrachtungsweise wäre der Unfall schließlich durch zwei aufeinander treffende Gefahrenmomente ausgelöst worden, nämlich einerseits durch das zu schnell fahrende und leichtfertig gesteuerte Kraftfahrzeug und andererseits durch den Umstand, dass das alsbald verletzte Kind durch ein angezogenes Seil beim Ausweichen behindert war. Damit hat sich im zweiten Punkt gerade diejenige Gefahr verwirklicht, die es durch Unterlassen des auf der Fahrbahn gefährlichen Pferdchenspiels zu vermeiden gegolten hätte. Das dabei nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ein unbesonnenes Verhalten des am Seil ziehenden Spielgefährten den Ausschlag gegeben hat, ändert daran nichts, denn mit einem solchen Verlauf war sogar in besonderem Maße zu rechnen. Damit waren die Verursachungsbeiträge des Beklagten und des Verletzten in einem einheitlichen Gefahrenmoment zusammengeflossen, ehe die durch Betriebsgefahr und Fahrerverschulden bestimmte zweite Kausalkette hinzutrat.

Eine Zurechnungseinheit zwischen dem Beklagten und dem Verletzten muss damit angenommen werden. Wenn das Berufungsgericht meint, der Verletzte habe sich durch seinen letztlichen Widerstand gegen den Zug des Beklagten am Seil aus dem gemeinsamen Spiel gelöst, liegt das neben der Sache. Denn die Voraussetzungen für eine tatsächliche Zurechnungseinheit sind nicht von einer Willensübereinstimmung abhängig. Vielmehr hat im Rahmen der Hauptabwägung jeder Beteiligte die Umstände zu vertreten, die sich an seinen Kausalbeitrag bis zum Zusammentreffen der Kausalketten an- geheftet haben. Dabei sind, wenn nicht - wie hier nicht - ausnahmsweise besondere Umstände dem Zurechnungszusammenhang entgegenstehen, vom Willen eines Dritten gesteuerte Entwicklungen rein schicksalhaften Verursachungsverläufen grundsätzlich gleichzustellen.

Die unrichtige Beurteilung des Ausgleichungsverhältnisses durch das Berufungsgericht hindert den Senat an einer abschließenden Entscheidung. Es wird zwar deutlich, dass das Berufungsgericht die Verursachungsbeiträge des Geschädigten selbst und des Beklagten bei - verfehlter - Addition auf 28% des Gesamtschadens veranschlagt. Das hat zugunsten des Beklagten rechtlichen Bestand ohne Rücksicht darauf, ob - wie oben ausgeführt - das Berufungsgericht nicht in rechtlich bedenklicher Weise dem Beklagten auch schon seine Beteiligung an dem Spiel überhaupt angelastet hat. Nicht auszuschließen ist indessen, dass das Berufungsgericht durch seine rechtlich verfehlte Meinung, ein Verursachungsbeitrag des Beklagten sei selbständig neben demjenigen des Verletzten selbst in Betracht zu ziehen, den richtigerweise einheitlich zu bewertenden Tatbeitrag der beiden Kinder im Ergebnis zu hoch bewertet hat. Deshalb kann - was jedoch tatrichterlichem Ermessen unterliegt - neben dem von der Kläger eingeräumten Verursachungsbeitrag des Verletzten in Höhe von 20% des Gesamtschadens eine zusätzliche Inanspruchnahme des Beklagten nicht oder nicht in diesem Umfang berechtigt sein. Denn sie setzte voraus, dass bei der erststufigen Abwägung auf die aus dem Beklagten und dem Verletzten bestehende Zurechnungseinheit ein Verursachungsanteil von mehr als 20% entfällt.