Hirnverletzung

Ist der Verletzte zwar noch empfindungsfähig, leidet er aber infolge erheblicher, durch eine schwere Hirnverletzung verursachter Ausfälle weder körperlich noch seelisch unter seiner Beeinträchtigung, so ist der weitgehende Wegfall der Funktionen des Schmerzensgeldes bei der Bemessung seiner Höhe mindernd zu berücksichtigen (Fortentwicklung von BGH, LM vorstehend Nr. 55).

Zum Sachverhalt: Im Januar 1977 überfuhr der Beklagte mit seinem Pkw den damals VA Jahre alten Kl., der plötzlich vom Bürgersteig aus vor ihm auf die Fahrbahn gelaufen war, und verletzte ihn schwer. Nach dem inzwischen rechtskräftig gewordenen Grund- und Teilurteil des Berufungsgerichts ist der Beklagte zur Zahlung eines Teilschmerzensgeldes von 10000 DM verpflichtet; der weitergehende Schmerzensgeldanspruch des Klägers ist dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt worden. Die Parteien streiten nunmehr noch um die Höhe des weiter geschuldeten Schmerzensgeldes. Der Kläger hält mit Rücksicht auf seine schweren, nicht reversiblen Körperschäden ein Schmerzensgeld von mehr als 100000 DM sowie eine Schmerzensgeldrente von monatlich mindestens 500 DM fur angemessen. Neben verschiedenen Frakturen und anderen, inzwischen verheilten Verletzungen hat er bei dem Unfall eine Hirnstammquetschung erlitten. Diese hat u.a. eine komplette motorische Aphasie, eine Stuhl- und Urin-Inkontinenz, eine rechtsbetonte spastische Tetraparese und gelegentliche epileptische Absencen zur Folge. Der Kläger kann sich nur mühsam im Rollstuhl bewegen, kann nicht sprechen und ist Zeit seines Lebens auf fremde Hilfe und Betreuung angewiesen. Im einzelnen ist das Ausmaß seiner Behinderungen umstritten.

Das Berufungsgericht hat den Beklagten zur Zahlung weiterer 100000 DM an Schmerzensgeldkapital und einer Schmerzensgeldrente von 500 DM verurteilt. Die Revision des Beklagten führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen: I. Das Berufungsgericht legt seiner Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes das von ihm eingeholte Sachverständigengutachten des Professors P zugrunde, der aufgrund der Krankenunterlagen, eigener Untersuchungen und der Angaben der Begleitperson des Klägers dessen Zustand beschrieben hat. Es kommt danach zu dem Ergebnis, der Kläger habe schwerste körperliche Schäden davongetragen, die irreversibel seien. Der Kläger sei aber - so meint das Berufungsgericht - nicht etwa empfindungsunfähig, so dass nicht nur ein symbolisches Schmerzensgeld in Betracht komme. Das ergebe sich schon aus dem schriftlichen Gutachten, ohne dass es einer - vom Beklagten beantragten - Ergänzung bedürfe. Danach sei der Kläger im Wesentlichen orientiert. Er verstehe alles und neige zur Aggressivität. Das beweise, dass er durchaus Empfindungen zugänglich sei. Ein erhebliches Schmerzensgeld - auch in Form einer Rente - könne zur Genugtuung und zum Ausgleich entgangener Lebensfreude beitragen, indem dem Kläger je nach Lebensalter Annehmlichkeiten verschafft werden könnten, zu deren Leistung das Rehabilitationszentrum, in dem er untergebracht sei, von sich aus nicht in der Lage sei, die aber von dem Kläger durchaus als solche empfunden werden könnten.

Sodann macht das Berufungsgericht Ausfuhrungen zum Verschulden des Beklagten das es entgegen dessen Ansicht nicht als sehr gering ansieht, und führt aus, dass es die zugesprochenen Beträge insgesamt für angemessen halte.

II. Das hält den Revisionsangriffen nicht stand.

1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass das Schmerzensgeld des § 847 BGB dem Verletzten einen Ausgleich für die erlittenen immateriellen Schäden und weiter Genugtuung für die zugefugten Leiden geben soll. Das alles entspricht gefestigter Rechtsprechung des Senats Das Berufungsgericht verkennt auch nicht, dass Ausgleichung und Genugtuung dann ihre Funktionen nicht mehr erfüllen können, wenn infolge schwerster Hirnverletzungen der Geschädigte sie nicht mehr wahrnehmen kann, so dass die Zubilligung eines Schmerzensgeldes nur symbolische Wiedergutmachung sein kann, was sich auf dessen Bemessung auswirken muß (Senat, NJW 1976, 1147 = LM vorstehend Nr. 55 = VersR 1976, 660).

2. Das Berufungsgericht meint aber zu Unrecht, ein nur symbolisches Schmerzensgeld komme im Streitfall nicht in Betracht. Die Revision rügt mit Recht, dass es im Ergebnis dem Kläger ein Schmerzensgeld in einer Größenordnung zuspricht, wie es bei schwersten Dauerschäden zugebilligt wird, jedoch nicht näher begründet, inwiefern dem Kläger mit derart hohen Beträgen ein Ausgleich für körperliche und seelische Leiden verschafft werden könnte, darüber hinaus auch nicht darlegt, inwiefern dem Kläger eine von ihm als solche empfundene Genugtuung verschafft werden kann.

a) Möglicherweise meint das Berufungsgericht, immer dann, wenn ein Verletzter nicht ganz empfindungsunfähig ist (genauer wohl: wenn über die Aufrechterhaltung rein vegetativer Funktionen hinaus er nichts mehr wahrnehmen und in irgendeiner Form intellektuell verarbeiten kann), komme eine Differenzierung bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes nicht mehr in Betracht, vielmehr sei dann ein Betrag zuzubilligen, wie er einem geistig aufnahmefähigen, seine Verletzungen und deren Ursache intellektuell erfassenden und unter ihnen leidenden Geschädigten zuzusprechen wäre. Ein solcher Standpunkt wäre rechtlich nicht zu billigen. Vielmehr ist in Grenzfällen zu einem lediglich als körperliche Hülle hinvegetierenden Verletzten, dem eine symbolische Wiedergutmachung geschuldet wird, stets zu prüfen, inwiefern darüber hinaus das Schmerzensgeld seine Funktionen noch erfüllen kann. Ist das nur stark eingeschränkt möglich, muss sich dieser Umstand auf die Höhe des zuzusprechenden Betrages auswirken.

aa) Im Hinblick auf die sogenannte Ausgleichsfunktion bedeutet das: Auszugleichen ist die Beeinträchtigung des Verletzten, die in seinem körperlichen Leiden, etwa Schmerz- und anderen Missempfindungen, und in seinem seelischen Leiden, etwa im Empfinden der Beeinträchtigung gegenüber anderen, gesunden Menschen und dem Gefühl der Abhängigkeit von fremder Hilfe liegt. Die Zubilligung eines hohen Kapitalbetrages kann dazu nichts beitragen, wenn der Verletzte gerade solche Beeinträchtigung nicht empfindet und wahrnimmt. Kann er darüber hinaus mit einer hohen Entschädigung nichts Sinnvolles anfangen, und können auch andere ihm damit seine Leiden letztlich nicht erleichtern, läuft die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes leer. Erst recht besteht dann kein Sachgrund für die Zubilligung einer Schmerzensgeld, wenn der Verletzte nicht dauernd und immer wieder fühlbar unter den Folgen seiner Verletzungen leidet. Im Streitfall hätte sich daher das Berufungsgericht nicht mit der Feststellung begnügen dürfen, der Kläger sei generell Empfindungen körperlicher und seelischer Art zugänglich, um allein auf dieser Grundlage die von ihm angesetzten Beträge zuzusprechen. Ist vielmehr gerade im Hinblick auf die erlittenen Verletzungen ein Ausgleich der sogenannten immateriellen Schäden gar nicht oder nur in ganz geringem Maße möglich, muss die dem Kläger zustehende billige Entschädigung in Geld hinter den vom Berufungsgericht für angemessen gehaltenen Beträgen erheblich zurückbleiben.

bb) Im Hinblick auf die sogenannte Genugtuung fehlt es an einer Begründung im Berufungsurteil, inwiefern sie hier über eine symbolische Wiedergutmachung hinaus bei der Bemessung des Schmerzensgeldes eine Funktion haben könnte. Für die Revisionsinstanz ist davon auszugehen, dass der Kläger sehr schwere Hirnverletzungen davongetragen hat, die ihn daran hindern, seine Beeinträchtigungen in ihrer ganzen Schwere wahrzunehmen und sie in Verbindung mit dem schädigenden Ereignis und der Beteiligung des Beklagten daran zu setzen. Dieser Umstand ist, wie der Senat in seinem angeführten Urteil vom 16. 12. 1975 (NJW 1976, 1147 = LM vorstehend Nr. 55) schon ausgesprochen hat, bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen. Da, wo der Verletzte Genugtuung in Wahrheit nicht empfinden kann, muss der zum Ausgleich des immateriellen Schadens erforderliche und angemessene Betrag gegenüber der sonst üblichen Größenordnung zurückbleiben.

3. Nach allem kann das angefochtene Urteil derzeit nicht bestehen bleiben. Das Berufungsgericht wird vielmehr unter Berücksichtigung der aufgezeigten Rechtsgrundsätze den Sachverhalt weiter aufzuklären und das Schmerzensgeld sodann neu festzusetzen haben, wobei eine sogenannte symbolische Wiedergutmachung die untere und ein volles Schmerzensgeld dann, wenn dessen Funktionen zum Tragen kommen, die obere Grenze darstellen müssten.