Kapitalentschädigung und Rente

Gegen einen Entschädigungsanspruch kann die Behörde nicht mit einer Schadensersatzforderung aus einer leicht fahrlässig begangenen unerlaubten Handlung des Entschädigungsberechtigten aufrechnen.

Zum Sachverhalt: Das beklagte Land gewährte der Kläger für Schaden an Leben nach ihrem aus Verfolgungsgründen ermordeten Ehemann 1960 Kapitalentschädigung und Rente. Die Eheleute B und ihre Tochter E legten 1962 in ihrem Entschädigungsverfahren wegen Schadens an Freiheit je eine von der Kläger und dem Notar B in Tel-Aviv unterzeichnete eidesstattliche Erklärung vor. Darin heißt es jeweils, dass die Kläger bis zu ihrer Flucht im Oktober 1942 die Familie B im Ghetto Warschau fast täglich gesehen habe. Der Beklagte gewährte im Dezember 1962 dem B der Tochter E und der Mutter B für Schaden an Freiheit Kapitalentschädigung. Durch Bescheide vom 7. 3. 1969 und 17. 4. 1969 widerrief der Beklagte diese gewährten Entschädigungen und forderte sie zurück, weil die Familie B sich während des Zweiten Weltkriegs in den von deutschen Truppen nicht besetzten Gebieten der Sowjetunion befunden habe (§ 7 BEG). Keiner der Bescheide wurde angefochten; die Schuldner zahlten nichts zurück. Darauf verfügte der Beklagte durch Änderungsbescheid vom 19. 7. 1971, dass die bis 30. 9. 1971 aufgelaufenen Rückstände der Lebensschadensrente der Kläger zur Verrechnung mit den Gegenforderungen einbehalten werden, die dem Beklagten gegen B, dessen Tochter E und die Kläger wegen falscher Angaben zustünden.

Das Landgericht verurteilte den Beklagten antragsgemäß, weil nicht nachgewiesen sei, dass sie die von B vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen wissentlich falsch abgegeben habe. Das Oberlandesgericht wies die Berufung zurück. Die Revision des beklagte Landes hat keinen Erfolg.

Aus den Gründen: Das Berufungsgericht hält die Aufrechnung des Beklagten mit einer allenfalls aus leichter Fahrlässigkeit herzuleitenden Schadensersatzforderung gegen die Entschädigungsansprüche der Kläger für unzulässig und deshalb die Klage für begründet. Das ist richtig.

1. Der Anspruch auf die laufende Landesschadensrente ist nicht übertragbar (§ 26 BEG) und kann daher nicht durch Aufrechnung mit einer Forderung des Entschädigungspflichtigen getilgt werden (§ 851 I ZPO; § 394 S. 1 BGB). Zur laufenden Rente gehören nicht nur die in der Zukunft fällig werdenen Rentenbeträge, sondern auch die für den laufenden Monat geschuldete Rente (BGH, RzW 1963, 361 Nr. 11 = LM § 39 BEG 1956 Nr. 4; BGH, LM vorstehend Nr. 4). Danach war die Rente für Juli 1971 noch für den laufenden Monat geschuldet, als der Bescheid vom 19. 7. 1971, mit dem der Beklagte die Aufrechnung gegen künftige Rentenansprüche erklärte, am 26. 7. 1971 zugestellt und wirksam wurde. Die Aufrechnung gegen laufende Rentenansprüche der Kläger aus der Zeit von Juli 1971 bis Februar 1974 war mithin gemäß § 394 S. 1 BGB unzulässig. Diese Rechtsfolge verletzt entgegen der Auffassung des Beklagten nicht Treu und Glauben. Der BGH (in BGHZ 30, 36 = NJW 1959, 1275 = LM § 394 BGB Nr. 1 = MDR 1959, 559 = BB 1959, 575) und das BAG (in NJW 1960, 1589) haben die Voraussetzungen einer rechtsmißbräuchlichen Anwendung des Sozialschutzes des § 394 S. 1 BGB eng gezogen und nur in Fällen bejaht, in denen der Gläubiger der unpfändbaren Forderung im Rahmen eines einheitlichen Unterhalts-, Dienst- oder Arbeitsverhältnisses dem Schuldner schadensersatzpflichtig geworden ist. Hier fehlt es schon an dem einheitlichen Lebensverhältnis, aus dessen Besonderheiten sich die Treuwidrigkeit der Berufung auf das Aufrechnungsverbot ergeben könnte. Denn der Entschädigungsanspruch der Kläger ist auf die Ermordung ihres Ehemannes während der Herrschaft des Nationalsozialismus gegründet, der Ersatzanspruch des Beklagten dagegen auf falsche Angaben der Kläger in den Entschädigungsverfahren Dritter.

2. Aus den vom Berufungsgericht erörterten Gründen ist die Aufrechnung gegen den Anspruch auf die laufende Rente und den Rückstand nicht zulässig.

Das Berufungsgericht hält die durch einen Zeugen bestätigte Darstellung der Kläger, wie ihre von der Familie B vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen zustande gekommen seien, für glaubhaft. Danach hat die Kläger dem Notar B mündlich erklärt, dass sie die Eheleute B in Warschau vor und kurz nach Errichtung des Ghettos gesehen habe. Auf Verlangen des Notars hat sie dann drei Blankounterschriften geleistet. Diese hat der Notar benutzt, seine falsche Darstellung, nämlich dass die Kläger die Familie B bis Oktober 1942 im Ghetto Warschau gesehen habe, einzufügen und als Inhalt eidesstattlicher Erklärungen der Kläger erscheinen zu lassen. Der Tatrichter hat nicht feststellen können, dass die mündlichen Angaben der Kläger gegenüber dem Notar unrichtig seien. Es sei nicht zu widerlegen, dass die Eheleute B und ihre Tochter E aus dem Warschauer Ghetto vor dessen Schließung im November 1940 oder bis zum Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges geflohen und in die Sowjetunion gelangt, also vor der Flucht von der Kläger noch gesehen worden seien. Das Berufungsgericht wirft der Kläger nur leichte Fahrlässigkeit bei der Leistung der Blankounterschriften vor. Denn es sei auch in Israel selten, dass ein Notar einen Zeugen zur Blankounterzeichnung von Formularen veranlasse und dann über der Unterschrift einen Text einfüge, der das mündlich Erklärte bewusst verfälsche.

Die Revision greift diese Feststellungen und Wertungen nicht an. Sie mögen ergeben, dass dem Beklagten gegen die Kläger wegen fahrlässiger falscher Versicherungen an Eides Statt (§ 163 StGB), mithin wegen Verstoßes gegen ein Schutzgesetz i. S. des § 823 II BGB, ein Ersatzanspruch insoweit zusteht, als aus der Verwertung der falschen Versicherungen an Eides Statt dem Beklagten ein Schaden erwachsen ist. Die Aufrechnung mit dieser Schadensersatzforderung aus einer fahrlässig begangenen unerlaubten Handlung der Kläger gegen ihren Entschädigungsanspruch ist mit dem Rechtsgedanken des § 393 BGB unvereinbar. Es verbietet die Aufrechnung gegen eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung. Dem durch die vorsätzliche Tat Geschädigten soll die Ersatzleistung nicht gegen seinen Willen entzogen werden (BGH, RzW 1974, 139). § 393 BGB kann allerdings nicht unmittelbar zum Nachteil des Schuldners einer Entschädigungsforderung angewendet werden. Denn die Entschädigungspflicht eines Landes beruht darauf, dass das BEG gegen die Länder der Bundesrepublik neue öffentlich-rechtliche Ansprüche geschaffen hat, die an die Stelle der untergegangenen oder neben die nicht mehr oder nur schwer durchsetzbaren Ansprüche der Verfolgten aus § 839 BGB, Art. 131 WRV, §§ 823, 826 BGB getreten sind. Ausgehend von dieser Rechtslage hat der BGH in RzW 1974, 139 = LM vorstehend Nr. 4 entschieden, dass gegen einen Entschädigungsanspruch mit einer Schadensersatzforderung des Entschädigungspflichtigen aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung des Entschädigungsberechtigten aufgerechnet werden kann, weil jedenfalls unter solchen Umständen der Rechtsgedanke des § 393 BGB die Aufrechnung nicht ausschließt. Ob er dann durchgreift, wenn die Forderung des Landes, mit der es aufrechnen will, ohne Verschulden oder aus einer Fahrlässigkeit des Entschädigungsberechtigten erwachsen ist, blieb in jenem Urteil offen. Der BFH (RzW 1966, 219) hat eine Aufrechnung gegen Entschädigungsansprüche ohne Rücksicht auf den Rechtsgrund der Gegenforderung nicht für zulässig erachtet. Der Senat hält unter Aufgabe von BGH, RzW 1965, 225 = LM § 14 BEG 1956 Nr. 4 eine Aufrechnung mit einer Schadensersatzforderung des Entschädigungspflichtigen aus einer leicht fahrlässig begangenen unerlaubten Handlung des Entschädigungsberechtigten ebenfalls für unzulässig: Unerlaubte Handlungen, die als nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen die Voraussetzungen der §§ 1, 2 BEG erfüllen, sind wie hier die Tötung des Ehemannes der Kläger im Warschauer Ghetto in aller Regel vorsätzlich begangen worden. Vorsätzliche Amtspflichtverletzungen der Repräsentanten des Unrechtsstaats oder vorsätzliche und rechtswidrige Taten von Amtsträgern der NSDAP sind der Grund der Haftung nach dem BEG. Deshalb und weil die Länder diese Haftung für die Bundesrepublik als Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reichs übernommen haben, muss der Rechtsgedanke des § 393 BGB im Entschädigungsrecht beachtet werden. Es gilt allerdings wegen der Verschiedenartigkeit der ursprünglichen und der durch das BEG geschaffenen Ansprüche nur eingeschränkt. Dafür, wie weit er reicht, gibt § 7 BEG einen Anhalt. Die Vorschrift lässt die Versagung oder Entziehung eines bestehenden Entschädigungsanspruchs nicht zu, wenn der Berechtigte zu diesem oder einem anderen seiner Ansprüche leicht fahrlässig unrichtige Angaben gemacht hat. Da eine solche Handlungsweise im eigenen Verfahren keine Beeinträchtigung gesetzlich begründeter Ansprüche nach sich zieht, ist es angemessen, die Tilgung eines Entschädigungsanspruchs durch Aufrechnung und damit die Entziehung sonst zu erbringender Entschädigungsleistungen nicht zuzulassen, wenn die Gegenforderung auf einer unerlaubten Handlung beruht, die der Entschädigungsberechtigte leicht fahrlässig durch falsche Angaben im Verfahren eines anderen Ast. begangen hat.