Kündigungsmöglichkeiten
1. Zur Abgrenzung der Kündigungsmöglichkeiten des Reisenden nach den §§ 651e und 651j BGB.
2. Die Kündigung des Reisevertrages nach § 651e BGB begründet ein beiderseitiges Rückgewährschuldverhältnis. Hat der Reisende den Reisepreis vorweg entrichtet, kann der Reiseveranstalter nicht einwenden, er sei nicht mehr bereichert.
Anmerkung: In seinem ersten Urteil zum am 1. 10. 1979 in Kraft getretenen Reisevertragsgesetz (§ 651 a ff. BGB) hatte der BGH über zwei im Schrifttum umstrittene Fragen zu befinden: über die Abgrenzung der Kündigungsmöglichkeiten für den Reisenden nach § 651 e und § 651j BGB (I) sowie über die Rechtsfolgen einer Kündigung des Reisevertrags (II).
Der Kläger hatte bei einem Pauschalreiseveranstalter eine Flugpauschalreise für zwei Personen auf die im Indischen Ozean gelegene Insel Mauritius gebucht und den Reisepreis vor Antritt der Reise gezahlt. Während des Hinflugs tobte auf Mauritius ein Zyklon, der schwere Verwüstungen auf der Insel anrichtete. In dem gebuchten Hotel gab es weder Strom noch Wasser; die Verpflegung entsprach nicht dem hausüblichen Niveau. Der Swimmingpool konnte wegen Verschmutzung nicht benutzt werden. Der Kläger und seine Begleitung flogen daher nach einer Woche zurück. Die Beklagte erstattete ihm nur ersparte Unterbringungs- und Verpflegungskosten. Der Kläger verlangte u. a. die übrigen Reisekosten zurück, von denen Landgericht und Oberlandesgericht ihm nur einen geringfügigen Betrag zuerkannten. Die Revision führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
I. Das Berufungsgericht war der Auffassung, der Klägerhabe den Vertrag nur nach § 651j BGB kündigen können. Diese Spezialvorschrift für die Fälle höherer Gewalt schließe die Anwendung des sonstige Leistungstörungen erfassenden § 651 e BGB aus. Die Kündigung nach § 651j BGB habe zur Folge, dass der Reiseveranstalter zwar den Anspruch auf die vereinbarte Vergütung verliere, statt dessen aber eine angemessene Entschädigung für die von ihm erbrachten Leistungen verlangen könne, ohne dass es darauf ankomme, ob diese Leistungen für den Reisenden von Interesse gewesen seien. Demgemäß müsse der Kläger die Flugreisekosten voll und die Hotelkosten zur Hälfte tragen. Dies hat der BGH nicht gebilligt.
Er ist davon ausgegangen, dass die vom Kläger gebuchte Pauschalreise infolge sturmbedingter Mängel der in § 651 c BGB bezeichneten Art erheblich beeinträchtigt gewesen sei, so dass der Kläger den Reisevertrag nach § 651 e BGB habe kündigen dürfen und auch gekündigt habe. Er sei nicht auf die Kündigungsmöglichkeit nach § 651j BGB beschränkt gewesen. Die Kündigung nach § 651 e BGB sei wegen der Rechtsfolgen für den Reisenden immer günstiger. Der Meinung des Berufungsgerichts (und Teichmanns, in: JZ 1979, 737 [741]), die Spezialvorschrift des § 651j BGB verdränge die Kündigungsmöglichkeit nach § 651 e BGB, sei nicht zu folgen.
Der BGH sieht in dieser Meinung eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Verschlechterung der Stellung des Reisenden gegenüber der früheren Rechtslage und eine zu enge Anwendung des § 651j BGB;
a) Solange sich die Gewährleistungspflicht des Reiseveranstalters allein an der Regelung der §§ 633 ff. BGB ausrichtete, konnte der Reisende wegen nicht unerheblicher Reisemängel die Wandlung des Vertrages erklären und schuldete dann dem Veranstalter eine Entschädigung nur, soweit dessen Leistung für den Reisenden noch von Wert war. Ebenso konnte eine Minderung bei schwerwiegenden Mängeln zu einem vollständigen Wegfall des Vergütungsanspruchs des Veranstalters führen. Bei alldem kam es nicht darauf an, worauf die Mängel der Unterbringung zurückzuführen waren. Auch wenn sie allein auf Unwetter oder anderer höherer Gewalt beruhten und vorbeugende Maßnahmen ausgeschlossen waren, berührte das die Gewährleistungspflicht des Veranstalters nicht (anders bei verschuldensbedingten Schadensersatzansprüchen).
b) An dem Grundsatz, dass der Reiseveranstalters für Mängel der Reiseleistung einzustehen hat (Erfolgshaftung), hält das neue Reisevertragsrecht fest. Der Gesetzgeber hatte erklärtermaßen nicht die Absicht, diesen verschuldensunabhängigen Grundsatz zu durchbrechen. § 651j BGB stellt lediglich eine Sonderregelung für den Wegfall der Geschäftsgrundlage dar. Dass Kündigungsmöglichkeiten nach § 651 e und j BGB miteinander konkurrieren könnten, hat der Gesetzgeber nicht angenommen.
c) Der Wortlaut des § 651j BGB erfasst auch Fälle, in denen die vom Reiseveranstalter geschuldete Leistung mangelfrei erbracht wird und lediglich die Geschäftsgrundlage des Reisevertrages betroffen ist, etwa wenn Unterbringung und Verpflegung nicht zu beanstanden, Urlaubsort und Umgebung aber infolge Verwüstung nicht zur Erholung genutzt werden können und diese Nutzung nicht zum Vertragsangebot gehört.
d) Nach der Gesetzesauslegung durch den BGH läuft also § 651j BGB keineswegs leer, wird aber auf die Fälle beschränkt, in denen es nicht zu einer Leistungsstörung kommt. Andernfalls geht § 651 e BGB als speziellere Vorschrift vor und erlaubt dem Reisenden die Kündigung des Vertrages, wenn der Veranstalter, sei es auch nur infolge unvorhersehbarer höherer Gewalt, seinen Leistungspflichten nicht (voll) nachkommt. Das erscheint allein sach- und interessengerecht, weil der Reiseveranstalter die versprochene Leistung (§ 651 c BGB) mangelfrei schuldet und es - nicht anders als bei sonstigen Werkunternehmern - in seinem Risikobereich liegt, ob er dazu imstande ist. Er trägt grundsätzlich die Gefahr des Nichtgelingens seiner Reiseveranstaltung. Es wäre daher verfehlt, die durch höhere Gewalt verursachten Mehrkosten stets dem Reisenden zur Last zu legen, wie es § 651j II 3 BGB im Grundsatz vorsieht. Auch dass der Veranstalter sich nach Abs. 2 S. 1 für seine Leistungen unabhängig davon entschädigen lassen kann, ob sie für den Reisenden von Interesse sind, würde das Risiko von Leistungsstörungen aufgrund höherer Gewalt gerade bei Reisen in ferne Länder (mit hohen Flugkästen) unangemessen auf den Reisenden verlagern, wollte man der Auffassung des Berufungsgerichts folgen.
Schon aus dieser ersten Entscheidung des BGH zum Reisevertragsgesetz wird deutlich, dass er betont am werkvertraglichen Charakter des Reisevertrages festhält, wie auch der Gesetzgeber die im Regierungsentwurf vorgesehene Schaffung eines besonderen Vertragstyps nicht übernommen hat. Ungeachtet der missverständlichen Überschrift des 7. Titels ist der Reisevertrag kein dem Werkvertrag ähnlicher Vertrag, sondern ein besonderer Typ des Werkvertragsrechts. Dementsprechend bleibt es bei der Gefahrtragung und Erfolgshaftung des Reiseveranstalters zugunsten des Reisenden.
II. Hatte demnach der Kläger den Vertrag wirksam nach § 651 e BGB gekündigt, so konnte der Veranstalter für Leistungen, welche für den Kläger kein Interesse hatten, keine Entschädigung verlangen. Da der Kläger den Reisepreis vorweg gezahlt hatte, stellte sich die Frage, nach welchen Rechtsregeln die Rückerstattung vorzunehmen war.
Der BGH hat auch insoweit seine Rechtsprechung (BGHZ 77, 310 [320] = LM § 631 BGB Nr. 41 = NJW 1980, 2192) bekräftigt, dass die Abwicklung des Vertrages nicht nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen vorzunehmen ist, sondern dass die Kündigung ein Rückgewährschuldverhältnis i. S. des § 346 BGB begründet. Die Kündigung beseitigt nicht den Rechtsgrund für zuvor erbrachte Leistungen, sondern gestaltet die beiderseitigen Vertragspflichten um, wie sich aus den Regelungen der Abs. 3 u. 4 des § 561 e BGB ergibt. Der Reiseveranstalter erhält statt der vertraglichen Vergütung eine nach § 471 BGB zu bemessende Entschädigung, wie es für das allgemeine Werkvertragsrecht der Verweisung in § 634 IV BGB entspricht. Er bleibt verpflichtet, weiter für den Reisenden zu sorgen, bis dessen Rückbeförderung durchgeführt ist, und muss deren Mehrkosten tragen. Es bleibt also ein Geflecht gegenseitiger Rechtsbeziehungen bis zur völligen Abwicklung des gescheiterten Vertrages. Die Interessen des Reiseveranstalters würden unangemessen bevorzugt, wenn er den vorweg gezahlten Reisepreis allein nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen zurückzugewähren hätte und es ihm offen stünde, den Wegfall der Bereicherung geltend zu machen. Hat er als der an sich Vorleistungspflichtige die Vorleistung des Reisenden durchgesetzt, daraus wirtschaftlichen Nutzen gezogen und auch seinen eigenen Entschädigungsanspruch abgesichert, so darf dem Reisenden nicht der zusätzliche Nachteil erwachsen, der sich aus einem bloßen Bereicherungsanspruch ergeben kann.
Zum Problem der (Teil-)Unmöglichkeit der Reiseleistung und der Abgrenzung zu Reisemängeln brauchte der BGH sich in diesem Fall nicht zu äußern. Dazu gab erst das Urteil vom 18. 11. 1982- VII ZR 25/82 (BGHZ 85, 301 = NJW 1983, 448 = LM § 651 c BGB Nr. 2) Anlass.