Kündigungsschutzklage

Kündigungsschutzklage - Ein Rechtsanwalt, der die Vertretung eines Arbeitnehmers in einem Arbeitsgerichtsprozess übernimmt, beachtet nur dann die im Verkehr erforderliche Sorgfalt, wenn er die veröffentlichte höchstrichterliche Rechtsprechung, vornehmlich die in der Entscheidungssammlung des BAG abgedruckten Urteile, berücksichtigt. Der Beklagten musste deshalb auch schon bei der Wahrnehmung der Interessen des Klägers in der Kündigungsschutzangelegenheit an die Möglichkeit denken, dass die Lohnansprüche innerhalb bestimmter Verfallfristen gerichtlich geltend gemacht werden mussten. Er durfte nicht etwa darauf vertrauen, dass das BAG, das in BAGE 22 auf die Gegenmeinung nicht eingegangen war, auf die zu dieser Rechtsprechung geäußerten Kritik - z. B. von Lieb - seine Meinung ändern werde.

Außerdem war der Beklagten entsprechend seiner Pflicht zur Klärung des Sachverhalts aber auch gehalten, im einzelnen - und zwar zunächst durch Befragung seines Mandanten - zu ermitteln, ob dieser mit seinem Arbeitgeber persönlich Ausschlussfristen vereinbart hatte, ob ein Tarifvertrag bestand, welcher derartige Fristen enthielt, und ob gegebenenfalls dieser Tarifvertrag - und wenn auch nur durch betriebliche Übung - auf das Arbeitsverhältnis seines, Mandanten Anwendung finden konnte. Diese Verpflichtung oblag dem Beklagten auch schon im Jahre 1976, als er das Mandat übernahm. Schon damals gab es außer dem hier bedeutsamen RTV auch in anderen Tarifverträgen - etwa in § 9 RTV - Bau - fast gleichlautende Bestimmungen. Auch war es damals bereits allgemein anerkannt, dass nichtorganisierte Arbeitnehmer in ihrem Arbeitsvertrag mit dem Arbeitgeber auf einschlägige Tarifverträge Bezug nehmen können und dann auch hinnehmen müssen, dass ungünstige Regelungen dieses Tarifvertrages, wie z. B. Ausschlussfristen, ihnen gegenüber genau so angewendet werden wie im Verhältnis zwischen den Angehörigen von Tarifvertragsparteien. In gleicher Weise war anerkannt, dass bei fehlender Tarifbindung auch durch Betriebsvereinbarung oder betriebliche Übung derartige Bezugnahmen auf Tarifverträge erfolgen können. Schaub weist in seinem Arbeitsrechtshandbuch bereits seit der 1. Auflage darauf hin, dass die Vertragsauslegung unter Berücksichtigung der Betriebsübung ergeben kann, dass der Arbeitgeber den gesamten Tarif, z. B. auch Verfallfristen, zum Inhalt des Arbeitsvertrages machen will, wenn u. a. Arbeitszeit, Urlaub und Urlaubsentgelt entsprechend dem Tarifvertrag geregelt werden. Auch Putzo hat in dem Handkommentar von Palandt schon in der 35. Aufl. klar und eindeutig die Gefahren aufgezeigt, die Arbeitnehmern durch Ausschlussfristen drohen, selbst wenn sie diese nicht kennen. Er hat dabei ebenfalls darauf hingewiesen, dass sie für das Einzelarbeitsverhältnis auch durch Bezugnahme auf einen Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung gelten können. In dem Lernbuch Arbeitsrecht von Hanau-Adomeit wird überdies bereits seit der im Jahre 1972 erschienenen ersten Auflage besonders hervorgehoben, wegen der oft sehr kurzen tariflichen Ausschlussfristen empfehle sich eine isolierte Kündigungsschutzklage nicht; dies sei schon manchem Arbeitnehmer, der auf die Gehaltsklage verzichtete, weil er sie neben der Kündigungsschutzklage für entbehrlich hielt und/oder Kosten sparen wollte, zum Verhängnis geworden.

Mit Recht führt das Berufsgericht deshalb aus, der Beklagten habe dem Kläger gezielte Fragen zur Sachverhaltsaufklärung stellen müssen, nach denen die faktische Anwendung von Tarifvertragsrecht und damit zugleich von tariflichen Ausschlussfristen auf die Arbeitsverhältnisse der Betriebsangehörigen zu beantworten war. Diese Pflicht entfiel auch nicht bereits deswegen, weil der Beklagten, wie das Berufsgericht weiterhin bemerkt, von dem Kläger erfahren hatte, dieser habe keinen schriftlichen Arbeitsvertrag geschlossen, sei schon lange in einem relativ kleinen Betrieb tätig und seine Bezahlung richte sich nicht nach einem Tarifvertrag, seine Arbeitsbedingungen habe er vielmehr immer mit dem Seniorchef ausgehandelt, mit dem er in einem fast familiären Verhältnis gestanden habe. Der Beklagten durfte allein aus diesen Angaben noch nicht den Schluss ziehen, Ausschlussfristen, die sich aus einem Tarifvertrag bzw. einer Betriebsvereinbarung ergaben oder aufgrund betrieblicher Übung galten, können sich auf das Arbeitsverhältnis des Kläger nicht auswirken. Es musste dem Beklagten damals vor allem klar sein, dass die Nichtanwendung eines Lohntarifvertrages noch keinen Anhaltspunkt dafür gab, dass auch Bestimmungen eines Rahmentarifvertrages keine Anwendung fanden, in dem gewöhnlich Ausschlussfristen vereinbart werden. Die Aufklärungspflicht des Beklagten hatte sich dafür vor allem darauf zu erstrecken, ob hinsichtlich der Anwendung des RTV eine Betriebsvereinbarung oder betriebliche Übung bestand bzw. ob der Arbeitgeber dem Kläger etwa Leistungen gewährte, die ihre Grundlage im RTV hatten; dabei hätte etwa auch von Bedeutung sein können, ob sich u. U. der Urlaubsanspruch des Kläger, seine regelmäßige Arbeitszeit, die Bestimmung seiner Tätigkeitsgrundlagen usw. nach dem RTV richteten.

Der erkennende Senat vermag dem Berufsgericht jedoch nicht darin zu folgen, der Kläger habe die Schadensursächlichkeit der Pflichtverletzung des Beklagten nicht hinreichend dargelegt.

Aus dem Vorbringen des Klägers ist zumindest zu entnehmen, dass der Beklagten bereits von ihm bei ausführlicher Befragung hätte erfahren können, dass er jedenfalls tariflichen Urlaub erhalten hatte. Das hätte den Beklagten schon zu besonderer Vorsicht veranlassen müssen, weil es dann nahe liegen konnte, dass im Rahmen einer Betriebsvereinbarung oder aufgrund betrieblicher Übung sämtliche Bestimmungen des RTV - und zwar auch die den Arbeitnehmern nachteiligen - auf das Arbeitsverhältnis angewendet wurden. Bereits ein solcher Hinweis musste daher für den Beklagten Veranlassung zu weiterer Prüfung geben. Zur sorgfältigen Erfüllung seiner Anwaltspflichten hätte es in diesem Falle gehört, zunächst den Kläger dahingehend zu belehren, dass er bei dieser Sachlage die Anwendbarkeit der Ausschlussklausel des § 14 RTV nicht sicher verneinen könne. Dann musste er aber - entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung - unverzüglich unmittelbar bei dem Arbeitgeber wegen einer entsprechenden Betriebsvereinbarung oder betrieblichen Übung anfragen und, falls dieser sich auf eine solche Vereinbarung oder Übung berief, ihn darauf hinweisen, dass er Zahlungs- oder Feststellungsklage erheben müsse, falls dieser ihm nicht zusichere, er werde den Anspruch des Kläger, wenn er bestehe, ohne Rücksicht auf den Ablauf der Ausschlussfrist erfüllen. Für den Fall, dass der Arbeitgeber wider Erwarten eine derartige Zusicherung verweigert haben sollte, hätte er dem Kläger eindringlich zur Klage raten müssen.

Ein solches Vorgehen des Beklagten hätte einen Schaden des Klägers mit Sicherheit verhindert.

Hätte der Arbeitgeber das Bestehen einer Betriebsvereinbarung oder betrieblichen Übung, wonach der gesamte RTV auf die Arbeitsverhältnisse der Poliere angewendet wird, verneint, hätte er sich gegenüber der späteren Zahlungsklage nicht wie geschehen - wirksam darauf berufen können, gemäß betrieblicher Übung finde die Ausschlussklausel des § 14 RTV auf das Arbeitsverhältnis des Kläger Anwendung.

Hätte der Arbeitgeber dagegen bestätigt, dass eine entsprechende betriebliche Übung bestand, wäre der Kläger durch dessen Zusicherung, er werde den Anspruch auch ohne fristgerechte Geltendmachung erfüllen, gesichert gewesen, da auch die Anwendung einer von Amts wegen zu beachtenden Ausschlussfrist unter dem Grundgedanken des § 242 BGB steht.

Hätte der Arbeitgeber eine derartige Zusicherung nicht abgegeben und der Beklagten den Kläger daraufhin auf die ernste Gefahr des Verlustes seiner Ansprüche hingewiesen, dann muss davon ausgegangen werden, dass sich der Klägereinem Rat, Klage zu erheben, nicht verschlossen hätte denn insofern besteht eine tatsächliche Vermutung für einen erfahrungsmäßigen Ablauf.

Aber selbst wenn der Beklagten von dem Kläger nicht einmal erfahren hätte, dass ihm sein Arbeitgeber tariflichen Urlaub gewährt hatte, lässt sich die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung des Beklagten für den Schaden des Kläger nicht verneinen. Auch dann konnte es einer Übung im Betrieb entsprechen, die Bestimmungen des Rahmentarifvertrages auf alle Arbeitsverhältnisse anzuwenden. Der Beklagten, der als Anwalt verpflichtet war, den sichersten Weg zu gehen, um das von seinem Mandanten erstrebte Ziel zu erreichen, durfte daher auch bei einem solchen Ergebnis seiner Ermittlungen nicht ohne weiteres auf die Sicherungswirkung der Kündigungsschutzklage vertrauen. Auch bei derartiger Gestaltung ergaben sich für ihn die gleichen Erörterungs- bzw. Aufklärungspflichten wie in dem zuvor erörterten Fall.

Bei dieser Sachlage war das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufsgericht zurückzuverweisen, da das Berufsgericht von seinem Rechtsstandpunkt aus keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob dem Kläger infolge der Pflichtverletzung des Beklagten überhaupt ein Schaden entstanden ist und in welchem Ausmaß.