Miterben

Die Übertragung des in einem gemeinschaftlichen Testament einem Abkömmling zugewandten Erbteils an seine als Miterben berufenen Geschwister zu Lebzeiten des Erblassers kann einen Erbverzicht zugunsten des Erblassers dieser Geschwister umgedeutet werden, wenn der Erblasser den Erklärungen zugestimmt hat und diese den hierfür bestehenden Formvorschriften genügen.

Verzichtet ein Abkömmling infolge vollständiger Abfindung auf einen ihm zugewandten Erbteil, dann besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass seine Abkömmlinge für diesen Fall nicht als Ersatzbedachte berufen sind.

Die Kläger zu 1 ist die Witwe des 1949 verstorbenen Kaufmanns I. H. B. Die übrigen Parteien sind deren gemeinsame Kinder. In einem notariellen gemeinschaftlichen Testament vom 28. 11. 1944 setzten die Eheleute sich gegenseitig zu alleinigen Erben ein. Zu Nacherben auf das, was beim Tode des Längstlebenden vom beiderseitigen Nachlass noch vorhanden sein sollte, beriefen sie ihre Kinder, die Kläger zu 2 und 3 und die Beklagte. Das Vermögen der Eheleute bestand zur Hauptsache in einem Hausgrundstück, das ihnen je zur ideellen Hälfte gehörte. Dieses Grundstück war zurzeit der Testamentserrichtung durch Flieger- angriffe in Mitleidenschaft gezogen. Es ist inzwischen wieder aufgebaut. Zwischen den Parteien besteht Streit über den Umfang der eingetretenen Beschädigung wie auch über das Ausmaß und die Finanzierung der späteren Aufbauleistungen vor und nach dem Tode des Erblassers. Die Beklagte hat sich an diesen Leistungen unstreitig beteiligt.

Am 27. 4. 1959 schlossen sodann die Parteien mit Zustimmung der Ehemänner der Kläger zu 2 und der Beklagte einen notariell beurkundeten Auseinandersetzungsvertrag über die endgültige Aufgabe jeder Beteiligung der Beklagte an dem elterlichen Nachlass.

In § 1 dieses Vertrages wurde als. Ausgangspunkt und Grundlage für die getroffene Regelung festgehalten: die Kläger zu 1 sei Vorerbin, ihre Kinder, die übrigen Parteien, seien Nacherben des Erblassers; das Vermögen, dem die Kläger zu 1 vorstehe, bestehe im wesentlichen aus dem Hausgrundstück; dieses Grundstück sei aus dem Vermögen der Kläger zu 2 und deren Ehemann sowie des Klägers zu 3 wieder aufgebaut und in den jetzigen Zustand versetzt worden, woraus sich Erstattungsansprüche der Vorgenannten gegen die Beklagte beim Tode der Kläger zu 1 ergeben dürften.

Sodann heißt es: § 2 Mit Rücksicht hierauf und gleichzeitig zur Abgeltung der etwa gegen die Erschienene zu 4 als Miterbin bestehenden Erstattungsansprüche überträgt die Erschienene zu 4 ihren Erbteil als Nacherbin und Erbin hinter ihrer Mutter je zu gleichen Teilen auf die Erschienenen zu 1 und 3. Die Erschienenen zu 1 und 3 nehmen diese Übertragung hiermit an und verpflichten sich, jeder von ihnen je 4000 DM... an die Erschienene zu 4 zu zahlen. Die Zahlung erfolgt in monatlichen Raten von je 50 DM, beginnend mit dem Monatsersten nach dem Tode der Kläger zu 1....

Die Erschienene zu 4 verpflichtet sich weiterhin, den nach dem Tode ihrer Mutter erforderlichen Grundbuchumschreibungsantrag dahingehend zu stellen, dass die Erschienenen zu 1 und 3 allein als Eigentümer... eingetragen werden.

§ 3 Die Erschienene. zu 4 verzichtet ihrer Mutter... gegenüber auf ihr gesetzliches Erbrecht, und zwar sowohl hinter ihr als auch hinter ihrem vorverstorbenen Vater. Die Erschienene zu 6 nimmt diesen Verzicht hiermit ausdrücklich an.

Als die Kläger zu 1 4 Monate nach dem Auseinandersetzungsvertrag, im August 1969, in einem notariellen Vertrag das halb zum Nachlass, halb ihr gehörende Grundstück den Kläger zu 2 und 3 schenkungsweise übertrug, verweigerte die Beklagte mit anwaltlichem Brief vom 20. 10. 1969 die von ihr erbetene Zustimmung dazu mit der Begründung, der sie zur Zustimmung verpflichtende Auseinandersetzungsvertrag sei aus mehreren Gründen rechtsunwirksam. Sie erklärte die Anfechtung des Vertrages wegen arglistiger Täuschung und forderte die Kläger auf, den Vertrag als nichtig zu behandeln.

Die Kläger begehren deshalb die Feststellung der Wirksamkeit des Auseinandersetzungsvertrages.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat Widerklage erhoben, mit der sie Ansprüche aus der letztwilligen Verfügung ihres Vaters geltend macht.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat das Urteil des Landgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Den Widerklageantrag hatte die Beklagte nur für den Fall des Erfolgs der Klage gestellt. Die Rev. der Kläger führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen: Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Auseinandersetzungsvertrag der Parteien vom 27. 4. 1959 sei unwirksam, weil er gegen die zwingende gesetzliche Vorschrift des § 312 Abs. 1 BGB verstoße. Nach dieser Bestimmung könne die Beklagte ihren testamentarischen Erbanteil am Nachlass ihrer noch lebenden Mutter nicht, wie es in der Auseinandersetzungsvereinbarung ausgesprochen sei, auf die Kläger zu 2 und 3 übertragen. Die Unwirksamkeit dieser Verfügung habe nach § 139 BGB die Nichtigkeit des gesamten Vertrages zur Folge. Es gehe nicht an, nur deshalb, weil die in § 2 des Vertrages getroffene Regelung rechtsunwirksam sei, den in § 3 ausgesprochenen Verzicht auf die gesetzliche Erbfolge dahin auszulegen, dass der Verzicht auch die Zuwendung durch Testament umfasse. Angesichts des erörterten Verhältnisses beider Vertragsbestimmungen zueinander fehle es dazu an jedem Anhaltspunkt, ganz abgesehen von der Frage, ob sich die Wirkung dieses Verzichts auch auf den Sohn der Beklagte erstrecken würde. Derartige Überlegungen liefen auf eine Prüfung hinaus, Welchen Vertrag mit anderem Inhalt die Parteien abgeschlossen haben würden, wenn sie die Nichtigkeit der einen Vertragsbestimmung gekannt hätten. Maßgebend für die Anwendung des § 139 BGB sei aber allein, ob die Parteien den Vertrag in der vorliegenden Form auch ohne den nichtigen Teil abgeschlossen haben würden. Da das zu verneinen sei, sei der ganze Vertrag nichtig.

Das angel. Urteil muss aufgehoben werden, weil das Berufungsgericht nicht geprüft hat, ob die von der Beklagte rechtsunwirksam erklärte Übertragung des ihr durch Testament ihrer noch lebenden Mutter zugewandten Erbanteils auf ihre Geschwister nicht nach § 140 BGB in ein anderes gültiges Rechtsgeschäft umgedeutet werden kann. In Betracht käme ein Verzicht der Beklagte auf ihr testamentarisches Erbrecht zugunsten ihrer Geschwister nach § 2352 BGB. Ebenso wie bei einer Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen § 2302 BGB ist auch bei einem Verstoß gegen § 312 BGB eine Umdeutung nach § 140 BGB möglich. Diese Vorschrift enthält einen Anwendungsfall des Grundsatzes, dem Willen der Vertragschließenden so weit als irgend angängig zum Erfolg zu verhelfen. Nach den Ausführungen des Berufungsgerichts haben die Parteien unstreitig mit der Vereinbarung bezweckt, dass die Beklagte jegliche erbrechtliche Position nach ihren Eltern aufgeben sollte. Um dies zu erreichen, übertrug sie einmal ihren Erbanteil als Nacherbin nach dem Tode ihres Vaters - in der Annahme, dass eine Vor- und Nacherbschaft angeordnet sei - auf ihre Geschwister. Das wäre rechtlich möglich. Die Beklagte hatte nach dem Tode ihres Vaters, wenn sie als Nacherbin berufen war, ein Nacherbenanwartschaftsrecht, das sie übertragen konnte. Dagegen konnte sie über den, ihr von ihrer noch lebenden Mutter in dem gemeinschaftlichen Testament zugewandten Erbteil, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, nach § 312 Abs. 1 BGB nicht wirksam verfügen. Sie konnte diesen Anteil nicht rechtswirksam auf ihre Geschwister übertragen. Das von den Parteien erstrebte Ziel, dass die Geschwister der Bekl: die Mutter allein beerben sollten, hätte aber dadurch erreicht werden können, dass die Beklagte nach § 2352 BGB ihrer Mutter gegenüber zugunsten ihrer Geschwister auf die ihr von der Mutter im gemeinschaftlichen Testament gemachte Zuwendung verzichtete. Ein solcher Verzicht zugunsten bestimmter Personen ist als bedingter Erbverzicht möglich. Er gilt dann nur, wenn der Begünstigte auch Erbe wird. Die Geschwister der Beklagte würden nach dem Tode ihrer Mutter infolge des von der Beklagte erklärten Erbverzichts Alleinerben, wenn der durch den Verzicht freigewordene Erbanteil ihnen nach § 2094 BGB anwachsen würde. Diese Rechtsfolge würde eintreten, wenn keine Abkömmlinge der Beklagte vorhanden sind, die nach § 2069 BGB als Ersatzbedachte an ihre Stelle treten würden. Diese Vorschrift ist eine Auslegungsregel. Dafür, ob Abkömmlinge als Ersatzbedachte berufen sind, kommt es darauf an, aus welchem Grunde der Erbverzicht erklärt worden ist. Ist dies geschehen, weil der Erklärende für sein Erbrecht vollständig abgefunden worden ist, dann spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass eine Ersatzberufung der Abkömmlinge für diesen Fall nicht gewollt ist, und der freigewordene Erbteil könnte die Geschwister der Beklagte anwachsen.