Nachbarrecht

Die rechtsdogmatische Begründung des öffentlich-rechtlichen Baunachbarschutz wird überwiegend dem Art.19 Abs.4 GG entnommen. Die Baugenehmigung wird dabei als Verwaltungsakt mit Doppelwirkung verstanden, der zugleich den Bauherrn begünstigt und den Nachbarn belastet; letzterer müsse daher die Möglichkeit des gerichtlichen Rechtsschutzes haben. Diese Argumentation ist von Schwertfeger mit der These in Frage gestellt worden, der vom Nachbarn abzuwehrende Eingriff in sein Eigentumsrecht erfolgte nicht durch die Baugenehmigung, sondern durch die Verwirklichung des Bauvorhabens; Eingreifer sei damit der Bauherr und nicht der Staat. Schwabe hat demgegenüber zu Recht eingewandt, bereits in der Ermächtigung zu einem Eingriff liege eine Rechtsverletzung, nicht erst in dem Eingriff selbst; als Beispiel führt er an, dass bereits der Haftrichter und nicht erst der Strafvollzugsbeamte in das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG eingreife. Dem ist durchaus zuzustimmen. Mit der Baugenehmigung macht die Verwaltung den Weg frei für die von dem Bauvorhaben ausgehende Beeinträchtigung des Nachbarn. Es handelt sich somit um einen zweistufigen Eingriff. Durch die Erteilung der Baugenehmigung wird festgestellt, dass keine öffentlich-rechtlichen Hindernisse für das Bauvorhaben bestehen. Die Prüfung der Frage, ob privatrechtliche Hinderungsgründe vorhanden sind, spielt dagegen im Baugenehmigungsverfahren keine Rolle. Diese Frage stellt sich erst in einer vom Nachbarn anzustrengenden zivilrechtlichen Klage; eine präventive Kontrolle des Bauvorhabens auf etwaige privatrechtliche Hindernisse gibt es nicht. Aus dieser Zweiteilung ergibt sich zwangsläufig, dass der Nachbar nur dann gegen die Baugenehmigung vorgehen kann, wenn er materiell-rechtliche Abwehrrechte geltend machen kann, die dem öffentlichen Baurecht zugeordnet sind. Die Zulässigkeit einer öffentlich-rechtlichen Nachbarklage hängt deshalb davon ab, ob dem Nachbarn öffentlich-rechtliche Rechtspositionen zustehen, die Gegenstand des Baugenehmigungsverfahrens sind. Dies ist der Fall. Denn das öffentliche Baurecht und insbesondere das Bauplanungsrecht dienen, wie §1 Abs. 6 zeigt, auch dem Ausgleich der privaten Belange der verschiedenen Grundstückseigentümer. Wenn aber bei der Aufstellung von Bauleitplänen private Interessen zu berücksichtigen sind, dann gilt gleiches auch für die Erteilung einer Baugenehmigung nach §§30ff; dies ist mit dem Gebot der Würdigung nachbarlicher Belange in §31 Abs. 2 zumindest andeutungsweise zum Ausdruck gebracht worden.

c) Verhältnis zwischen öffentlichem und privatem Nachbarrecht - Die Rechte des Nachbarn werden nicht nur durch das öffentliche Nachbarrecht, insbesondere das Baurecht und das Immissionsschutzrecht geschützt, sondern auch durch das private Nachbarrecht, insbesondere die §§906ff. BGB sowie die Nachbarrechtsgesetze der Länder. Beide Rechtsschutzmöglichkeiten stehen grundsätzlich selbständig und gleichrangig nebeneinander - so genannte Doppelspurigkeit des Nachbarschutzes. Einige Autoren haben sich für einen prinzipiellen Vorrang des zivilrechtlichen Nachbarschutzes oder aber des öffentlich-rechtlichen Nachbarschutzes ausgesprochen. Für ein derartiges Vorrangverhältnis des einen oder anderen Rechtsgebiets finden sich weder normative Ansätze noch überzeugende teleologische Gründe. Es trifft zwar zu, dass der öffentlich-rechtliche Nachbarschutz auch gegenüber Beeinträchtigungen Schutz gewährt, die zivilrechtlich nicht abgewehrt werden können, etwa dem Entzug der Belichtung und Besonnung, Immissionen durch erhöhtes Verkehrsaufkommen, Beeinträchtigung der Aussicht durch Überschreiten der zulässigen Geschoßzahl, eine Störung der Wohnqualität durch zu geringe Abstände zwischen den Gebäuden oder die Erhöhung der Brandgefahr wegen fehlender Brandwände. Andererseits ist zu bedenken, dass der zivilrechtliche Nachbarschutz einen unmittelbaren und auch gegenüber dem Bauherrn gerichtlich durchsetzbaren Anspruch gewährt, während im öffentlichen Baunachbarrecht ein Dreiecksverhältnis zwischen Bauherr, Baugenehmigungsbehörde und Nachbar besteht; der Nachbar kann bei einer Beeinträchtigung seiner Rechte nur gegen die Baugenehmigungsbehörde vorgehen, und dieser steht jedenfalls bezüglich des Einschreitens gegen eine rechtswidrige Beeinträchtigung des Nachbarn in der Regel ein Ermessensspielraum zu.