Narbe

Der Kläger verlangte nach § 249 S. 2 BGB die Kosten für die operative Beseitigung einer Narbe aus einem Verkehrsunfall, für den die Beklagten voll einzustehen hatten. Nach den Feststellungen des Tatrichters war die etwa 2,5 cm lange lappenförmige, vor der rech- ten Ohrmuschel verlaufende Narbe selbst bei hochgehobenen Haaren kaum erkennbar; vom medizinischen Standpunkt waren keine störenden Auswirkungen zu befürchten. Der Kläger behauptete allerdings subjektive Beeinträchtigungen. Er wollte die Operation erst nach Zahlung der Kosten von etwa 2600 DM durchführen lassen.

Geltend gemacht war ein immaterieller Schaden; dass die Beseitigung von Verletzungen und Gesundheitsschäden Geld kostet, macht sie nicht zu vermögenswerten Nachteilen. Das bedeutet Geldersatz in Höhe des erforderlichen Herstellungsaufwandes, soweit und solange Herstellung möglich ist; bei Unmöglichkeit der Herstellung Entschädigung schon dem Grunde nach nur unter einschränkenden Voraussetzungen. Der vorliegende Fall berührt die Nahtstelle zwischen diesen Bereichen: Ist Herstellung solange möglich und also Herstellungsaufwand nach § 249 S. 2 BGB geschuldet, als die Medizin ein Verfahren dafür entwickelt hat, oder gibt es eine rechtliche Unmöglichkeit, wo das Verlangen nach Herstellungsaufwand ungezwungener Betrachtung als Schmerzensgeld-Forderung erscheint?

Das Herstellungsverlangen in der Form des § 249 S. 2 BGB ist - vom Schadensbegriff abgesehen - durch drei Kriterien begrenzt, die ihre einschränkenden Wirkungen nicht schlicht addieren, sondern den Anspruch von drei verschiedenen Sichtebenen aus angehen.

Verlangt werden kann nur der zur Herstellung erforderliche, d. h. der Betrag, der von einem verständigen, wirtschaftlich denkenden Menschen in der Lage des Geschädigten aufgewendet werden würde. Nur mit Vorsicht anzuwenden ist dafür die häufig benutzte Faustformel, dem Geschädigten seien nur solche Aufwendungen zu ersetzen, die er auch machen würde, wenn er den Schaden selbst zu tragen habe: er kann dieser Formel entgegenhalten, dass er nicht in die Tasche des Schädigers zu sparen brauche. Zwar darf der Geschädigte das Schadensereignis nicht dazu missbrauchen, die Ersatzpflicht eines Dritten für sich oder andere gewinnbringend auszunutzen. Andererseits ist er nicht schon deshalb, weil er ihn sich sonst nicht leisten könnte oder würde, von einem Service ausgeschlossen, den man in begüterteren Kreisen für selbstverständlich hält. Art. 3 I 1. Verb. m. Art. 2 II 1 GrundG wären tangiert, würde die Antwort auf die Frage, ob der Kläger die Kosten für die Beseitigung der Narbe verlangen kann, von seiner wirtschaftlichen oder sozialen Stellung abhängig gemacht. Abgestellt werden kann in solchen Fallen nur darauf, ob die Operation Erfolg versprechend ist und sich der Kostenvoranschlag an die üblichen Sätze hält. Das war hier zu bejahen.

Das zweite einschränkende Kriterium ergibt sich aus dem Rechtsgedanken des § 254 BGB. Der Geschädigte hat das Interesse des Schädigers an einer Geringhaltung des Schadens im Auge zu behalten. Diese Betrachtung gewinnt vor allem dort Bedeutung, wo sich mehrere Wege der Schadensbeseitigung anbieten. Dann läuft es auf eine Interessenabwägung heraus, ob der Geschädigte zwischen diesen Wegen frei wählen kann, oder ob er sich auf den preiswerteren verweisen lassen muss. U. U. muss er sich hierin sogar Beschwerungen und Beschränkungen gefallen lassen. Dagegen ist § 254 BGB nicht dafür konzipiert, dem Geschädigten im Interesse des Schädigers die Herstellung ganz abzuschneiden. Hierum ging es aber im vorliegenden Fall; eine Wahl zwischen mehreren Behandlungsmethoden war dem Geschädigten nicht eröffnet.

Für jedes Herstellungsverlangen zieht das Schadensrecht eine Obergrenze: wo unverhältnismäßig hohe Aufwendungen entstehen, entfällt der Herstellungsanspruch - sei es bezüglich eines von mehreren eröffneten Wegen der Schadensbeseitigung, sei es überhaupt. Im letzteren Fall hat sich der Geschädigte statt mit Restitution, bildlich: mit der Verfüllung des Schadenslochs, mit Kompensation, d. h. der Ausrechnung des Schadenslochs zufrieden zu geben. Die Opfergrenze für den Schädiger ist erreicht, wo eine Güter- und Interessenabwägung nach der Zumutbarkeit für beide Seiten ergibt, dass das Integritätsinteresse des Geschädigten, das das Schadensrecht dem Kompensationsinteresse überordnet, nach Treu und Glauben hinter den Schutz des Ersatzpflichtigen vor unzumutbaren Belastungen zurückzutreten hat.

§ 251 II BGB ermittelt die Opfergrenze durch Vergleich der Herstellungskosten mit der am Wiederbeschaffungswert orientierten Vermögenseinbuße. So ist die Vorschrift auf Vermögensschäden zugeschnitten; bei immateriellen Nachteilen ist solcher Vergleich auf Marktebene nicht möglich. Sonst könnte der Schädiger dem verletzten Arbeitslosen oder Rentner Heilungskosten mit dem Hinweis auf fehlendes wirtschaftliches Interesse an einer Gesundung versagen. Ebenso wenig lässt sich in solchen Fällen die Unverhältnismäßigkeit der Heilungskosten durch einen Vergleich mit dem Betrag ermitteln, der für die Verletzung, müsste der Geschädigte mit ihr weiterleben, als Schmerzensgeld festzusetzen wäre. Denn in solchem Vergleich wäre weder der besondere Rang der körperlichen Integrität noch der Umstand erfasst, dass Heilung zwar kostspielig, aber eben doch möglich ist. Der Rang, den die Verfassung der Einzelpersönlichkeit und ihrem Schutz gewährt, verlangt, das Integritätsinteresse des Geschädigten hier den Vermögensinteressen des Schädigers nur in ganz seltenen Ausnahmefällen zu opfern; es wäre untragbar, wenn die Interessenabwägung auf eine Wirtschaftlichkeitsberechnung hinauslaufen würde.

Wo es um die Opfergrenze bei immateriellen Nachteilen geht, wird die Unverhältnismäßigkeit somit nicht durch den Zahlenspiegel ausgewiesen; hier ist es vielmehr die überspitzt eigensüchtige Haltung des Geschädigten, die dem Herstellungsanspruch ausnahmsweise die innere Rechtfertigung entziehen kann: etwa ein eigensinniges, an Schikane grenzendes Beharren auf seiner Rechtsposition; Vorschieben eines gar nicht vorhandenen Integritätsinteresses, um den Schaden wirtschaftlich auszunutzen. Doch hat der BGH ausdrücklich hervorgehoben, dass die Versagung der Herstellung wegen Überschreitens der Zumutbarkeitsgrenze bei Körperverletzungen sehr strenge Anforderungen an die Feststellung des nach Treu und Glauben für den Ersatzpflichtigen nicht mehr Tragbaren nötig macht.

Im Streitfall konnte aufgrund der Feststellungen davon ausgegangen werden, dass niemand daran denken würde, eine solche nirgends beachtete Schramme durch eine mehrere Eingriffe erforderlich machende kosmetische Operation beseitigen zu lassen; will nicht, wer gleichwohl einen Vorschuss für eine solche Operation verlangt, im Grunde nur sein Schmerzensgeld aufbessern? Das jeder Beulen, Kratzer und Dellen am Auto auf Kosten des Schädigers beheben darf, besagt nichts hiergegen; Lackschäden schlagen nach den Marktgewohnheiten zu Buch; die Spuren, die das Leben in einem Gesicht hinterlässt, sind damit nicht zu vergleichen.

Der BGH hat ausdrücklich dahingestellt sein lassen, ob der Kläger auf die Beseitigung der Narbe hätte verzichten müssen, wenn ihm Kompensation durch Schmerzensgeld nicht zugestanden haben würde. Diese Frage wird zu verneinen sein; insoweit enthält § 251 II B GB eine auf immaterielle Nachteile übertragbare Wertung. Schwieriger ist zu beantworten, ob in solchen Fällen wegen Unverhältnismäßigkeit der Herstellung der Ersatzanspruch in eine Geldentschädigung auch dann umschlägt, wenn es für ein Schmerzensgeld an der Rechtsgrundlage fehlt. § 253 B GB überlässt anderen Regeln, wann ein Schmerzensgeld zu zahlen ist; die §§ 249 ff. BGB betreffen nur Art und Umfang der Ersatzleistung. Doch sollte die Vorschrift dem Schädiger nicht die Möglichkeit verschließen, sich auch dort, wo für ein Schmerzensgeld an sich kein Raum ist, durch Gewährung von Kompensation von der unverhältnismäßigen Restitution zu befreien. Wo es nur um die Gegenleistung für solche Ablösung geht, ist das Ziel des § 253 BGB, der Kommerzialisierung von Leiden vorzubeugen, nicht tangiert.