Pflicht des Tierarztes

Zur Pflicht des Tierarztes, sich laufend über die Fortschritte der veterinärärztlichen Wissenschaft zu orientieren.

Zum Sachverhalt: Der Beklagten, ein Tierarzt, behandelte ein an Druse erkranktes, sechs Jahre altes Reitpferd des Klägers, das indessen im Allgemeinbefinden ungestört war. Er wollte an der rechten Halsseite des Tieres mit einer Einmal-Kanüle, die einen Durchmesser von 1 bis 1112 mm hatte, 20 ml Penicillin-Streptomycin-Suspension intramuskulär injizieren. Nach dem Einstich der Kanüle liefen aus dieser nach Behauptung des Klägers mehrere Tropfen Blut ab, nach Behauptung des Beklagten trat nur ein Tropfen Blut aus. Der Beklagten zog die Kanüle vor, stach sie erneut in die Tiefe der Halsmuskulatur ein und führte die Injektion aus. Etwa 20 Sekunden später begann das Pferd zu taumeln, verkrampfte: sich und fiel zu. Boden. Nach einer halben Stunde konnte es mit Hilfe von vier Personen aufstehen und stand gestützt einige Minuten lang. Die Muskulatur der rechten Halsseite war total angespannt und stark gewölbt. Die rechte vordere Gliedmaße schien unvollständig gelähmt zu sein; es war zu beobachten, dass die Lähmungserscheinungen auf die rechte Hintergliedmaße übergriffen. Das Pferd fiel wiederholt und konnte schließlich nicht mehr aufstehen. Am folgenden Tage verendete es.

Der Kläger fordert Schadensersatz für den Verlust des Tieres. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Die Revision des Klägers führte zur Aufhebung und Zurückweisung.

Aus den Gründen: Die Revision wendet sich jedoch gegen die Auffassung des Berufsgerichts, dass dem Beklagten hinsichtlich der Ausführung der Injektion keine Fahrlässigkeit vorgeworfen werden könne.

Das Berufsgericht erblickt kein Verschulden darin, dass, der Beklagten die Einstichstelle nicht im Bereich der Brustmuskulatur, sondern in dem der Halsmuskulatur gewählt hat. Zwar seien nach der im Jahre 1969 erschienenen 29. Auflage des Lehrbuchs Tierärztliche Operationslehre von Berge und Westhues u. a. die seitlichen Halsflächen als Einstichstellen zu vermeiden. Das sei aber im Mai 1972 bei praktischen Tierärzten noch nicht allgemein bekannt gewesen. Von einem solchen könne nicht verlangt werden, dass er sich jede Neuauflage eines Lehrbuchs beschaffe und auf Änderungenüberprüfung. Daher habe der Beklagten mit der Wahl der bisher anerkannten Methode nicht gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verstoßen.

Kein Verschulden des Beklagten erblickt das Berufsgericht ferner darin, dass er, wie - es zugunsten des Kläger unterstellen will, nach dem Austreten von Blut aus der Kanüle den Eingriff nicht unterbrochen, sondern lediglich nach Zurückziehen der Kanüle deren Lage unter Beibehaltung der Einstichstelle geändert hat. Darin will das Berufsgericht einen Verstoß gegen anerkannte veterinärärztliche Grundsätze nur erkennen, falls der Beklagte anschließend den dann unerlässlichen Aspirationsversuch unterlassen hätte. Von dieser Unterlassung hat sich der Berufsgericht nach dem Beweisergebnis nicht überzeugen können.

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Prüfung nicht in jeder Hinsicht stand.

Die Revision meint, das Berufsgericht habe die Beweislage verkannt. Während das beim Humanmediziner anders sein möge, gelte für die Tätigkeit eines Tierarztes die Vorschrift des § 282 BGB. Damit habe der Beklagten seine Schuldlosigkeit an dem Zwischenfall zu beweisen. Dem kann nicht gefolgt werden. Nur ein Vergleich der Funktionen kann ergeben, inwieweit Tierarzt und Humanmediziner rechtlich verschieden oder aber gleich zu behandeln sind. Einerseits stimmt die Tätigkeit des Tierarztes als solche, die Erhaltung und Heilung eines lebenden Organismus, mit derjenigen des Humanarztes weitgehend überein. Andererseits ist die wirtschaftliche und rechtliche Zweckrichtung dieser Tätigkeit verschieden, weil sie sich beim Tierarzt auf Sachen, ja vielfach Waren bezieht, und deshalb - begrenzt nur durch die rechtlichen und sittlichen Gebote des Tierschutzes weithin nach wirtschaftlichen Erwägungen richten muss, die in der Humanmedizin im Rahmen des Möglichen zurückzudrängen sind.

Die Gründe, aus denen im Bereich der Humanmedizin in der Regel - keineswegs ausnahmslos - für eine Anwendung der Vorschrift des § 282 BGB kein Raum ist, hängen mit dem ersten Faktor, der Art der Tätigkeit zusammen, die beiden Berufen weithin gemeinsam ist. Der Arzt kann nach der Art seiner Tätigkeit zwar das Bemühen um Helfen und Heilung, nicht aber den Erfolg schulden. Gerade wegen der Eigengesetzlichkeit und weitgehenden Undurchschaubarkeit des lebenden Organismus kann ein Fehlschlag oder Zwischenfall nicht allgemein ein Fehlverhalten oder Verschulden des Arztes indizieren, wie denn überhaupt in diesem Bericht die hergebrachte Trennung zwischen objektivem Fehlverhalten und Schuld besonders problematisch erscheint. Infolgedessen kann für einen Tierarzt ebenso wie für Humanmediziner regelmäßig nicht der Grundsatz gelten, dass sich der Urheber eines zu Heilzwecken bestimmten Eingriffs nach einem Mißerfolg beweismäßig entlasten muss. Die für die Beweislastverteilung nach „Gefahrenkreisen von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze können regelmäßig nicht auf den ärztlichen Bereich übertragen werden.

Diese Beweislage spielt allerdings keine Rolle für die Frage, ob es dem Beklagten zum Verschulden gereicht, dass er die Injektion in die Halsmuskulatur und nicht in die Brustmuskulatur vorgenommen hat. Dazu stellt das sachverständig beratene Berufsgericht zwar fest, dass das Vorgehen des Beklagten insoweit aus optimaler Sicht unzweckmäßig, weil gefährlich war. Es beurteilt aber den unstreitigen Umstand, dass ihm dies entgangen war, weil er den Hinweis in der neuesten Auflage des Lehrbuchs von Berge-Westhues nicht kannte, nicht als Verstoß gegen die dem Beklagten obliegende berufliche Sorgfaltspflicht.

Damit liegt die Entscheidung auch dieser Frage wesentlich im Bereich der rechtlichen Beurteilung. Wenn das Berufsgericht dabei zu dem Ergebnis kommt, dass dem Beklagten die Unkenntnis der neuesten Auflage des Buches nicht zum Verschulden gereiche, dann lässt sich dem hier nicht einfach entgegensetzen, dass im Bereich der Humanmedizin der Arzt gehalten ist, sich bis an die Grenze des Zumutbaren über die Erkenntnisse und Erfahrungen der Wissenschaft unterrichtet zu halten. Das Gebot, mit der eigenen Leistung auf der Höhe der Zeit zu bleiben, gilt zwar im Grundsatz für alle Berufs- und Gewerbetreibenden. Dass insoweit aber an den Humanmediziner ganz besonders strenge Anforderungen gestellt werden müssen, hängt nicht, wie dies bei der zu 1 erörterten Frage der Fall ist mit der Art der Tätigkeit zusammen, sondern mit den von ihr betreuten Rechtsgütern, dem Leben und der Gesundheit von Menschen. Hier also können sich gegenüber der Veterinärmedizin durchaus gradmäßige Unterschiede ergeben. Bei dieser mag es sinnvoll sein, die Grenzen der zeitlichen und wirtschaftlichen Zumutbarkeit bei der laufenden wissenschaftlichen bzw. technischen Information eher z.B. an den Anforderungen an einen mit wertvollen Maschinen befassten Techniker oder an einen Kunstrestaurator zu messen. Dass diese Differenzierung auch der Verkehrsauffassung entspricht, lässt sich u. a. daraus entnehmen, dass in der Humanmedizin neue Erkenntnisse- etwa wie hier über die Spritztechnik - alsbald in allgemein gelesenen Fachzeitschriften verbreitet werden; das war hier nach den Bekundungen des Sachverständigen nicht der Fall. Die in dem erwähnten wissenschaftlichen Lehrbuch empfohlene neue Spritztechnik war nur dort nachzulesen und bis zu dem Zwischenfall auch nicht auf Kongressen usw. diskutiert worden.

Dem steht nicht entgegen, dass aus eben diesen vor allem wirtschaftlichen Erwägungen der Tierarzt gehalten sein kann, sich vor Befassung mit einem Objekt von besonderem Wert oder wenn sich der Auftraggeber aus persönlichen Gründen zu höherem Aufwand bereit erklärt hat, durch zusätzliche Information abzusichern. Es ist indessen im vorliegenden Falle nicht ersichtlich, dass der Beklagten durch irgendwelche Umstände auf die Quellen solcher Information über die Fortgeltung einer bisher anerkannten Methode hingewiesen gewesen wäre.

Angesichts dessen ist die tatrichterliche Feststellung, dass dem Beklagten unter den gegebenen Umständen die Unkenntnis der geänderten Stellungnahme in der neuesten Auflage des Lehrbuchs nicht zum Verschulden gereiche, rechtlich möglich.

Das Berufsgericht unterstellt, dass der Beklagten, der - wie die Revision zutreffend bemerkt - den Vorgang auch bei seiner Parteivernehmung selbst so geschildert hat, die eingestochene Kanüle nur zurückgezogen und aus derselben Einstichstelle erneut eingestochen habe. Davon ist also auszugehen. Ferner stellt das Berufsgericht fest, dass dem Beklagten ein Aspirationsversuch nach Aufsetzen der Spritze auf die ungestochene Kanüle, bei dem sich kein Blut zeigte, nicht zu widerlegen ist. Die Revision greift diese Feststellung nicht an.

Die Revision rügt aber mit Grund, dass die Ausführungen, mit denen das Berufsgericht den Verzicht auf eine neue Einstichstelle nicht als Verschulden wertet, die Entscheidung derzeit nicht tragen. Der Sachverständige hatte in seinem ersten Gutachten ausdrücklich erklärt, dass nach dem ersten Austreten von Blut am besten die Einstichstelle gewechselt worden wäre. Erst dann hat er hinzugefügt, dass bei Belassen der Einstichstelle mindestens ein Aspirationsversuch habe vorgenommen werden müssen, und dass dessen Unterlassen fehlerhaft gewesen wäre. Übrigens hat der Sachverständige in seinem zweiten Gutachten bemerken Werterweise noch ausgeführt, dass zwar Injektionsschäden nie voll vermeidlich sind, dass sie aber in erster Linie auf vermeidbaren Fehlern beruhen.

Angesichts dessen ist nicht erkennbar, ob sich das Berufsgericht bewusst gewesen ist, dass der Beklagten dem Kläger grundsätzlich die Wahl der sichersten Methode schuldete. Dies ist nicht nur für den Bereich der Humanmedizin allgemein anerkannt, sondern gilt unter anderem auch für Rechtsanwälte und generell selbst für Dienstleistungen einfacherer Art. Demnach durfte das Berufsgericht das Vorgehen des Beklagten nur dann nicht als Verstoß gegen die dem Kläger rechtlich geschuldete Sorgfalt werten, wenn die Anwendung einer Methode, die größere Sicherheit bot, aus bestimmten, indessen vom Berufsgericht nicht festgestellten Gründen untunlich oder unzumutbar war.