Rechtsgrundsätze

Die für die Haftung eines einer Anwaltssozietät angehörenden Rechtsanwalts geltenden Rechtsgrundsätze sind auch dann anzuwenden, wenn die Anwälte nur nach außen hin den Anschein erweckt haben, zwischen ihnen bestehe eine Sozietät (Ergänzung zu BGHZ 56, 355 = LM vorstehend Nr. 35).

Anmerkung: I. Der VI. Zivilsenat des BGH hatte im Urteil vom 6. 7. 1971 (BGHZ 56, 355 = LM vorstehend Nr. 35 m. Anm. des Verf.) entschieden, dass derjenige, der eine Anwaltssozietät aufsucht und dort einen der Sozietät angehörenden Rechtsanwalt beauftragt, das Mandat grundsätzlich nicht nur dem Anwalt erteilt, der seine Sache bearbeitet, sondern den Anwaltsvertrag mit allen der Sozietät angehörenden Anwälten abschließt. Denn der ihm gegenübertretende Anwalt handelt, wenn er ein ihm angetragenes Mandat annimmt, in der Regel im Namen der Sozietät (§ 714 BGB); infolgedessen haften ihm alle Anwälte der Sozietät gegebenenfalls auf Schadensersatz. Der VI. Zivilsenat war damit von dem Urteil des III. Zivilsenats vom 29. 4. 1963 (LM vorstehend Nr. 22) abgewichen; inzwischen hat sich auch der III. Zivilsenat dem Standpunkt des VI. Zivilsenats angeschlossen (III ZB 12/76 vom 12. 10. 1976 in VersR 1977, 81); ihm sind jetzt auch andere Senate des BGH gefolgt (vgl. IV ZB 37/72 vom 24. 11. 1972 = LM § 232 [Cb] ZPO Nr. 14 und IV ZB 22/75 vom 4. 7. 1975 in VersR 1975, 1028, [1029] sowie VII ZB 14/77 vom 30. 3. 1978 = LM § 233 [I] ZPO Nr. 15; aus dem Schrifttum s. Kornblum, BB 1973, 214ff; AnwBl 1973, 153, 154 und Seltmann, VersR 1974, 97). Dem Recht der in einer Sozietät verbundenen Anwälte, selbst zu bestimmen, wer von ihnen die Sache des Mandanten bearbeiten soll, ihm gegenüber also als die Sozietät aufzutreten, steht die Pflicht gegenüber, ihm im Schadensfall auch als Sozietät zu haften; denn es würde, so heißt es in BGHZ 56, 363, der Sozietät schlecht anstehen, dem Mandanten gegenüber als eine Sozietät, der er besonderes Vertrauen entgegen bringen darf und soll, aufzutreten, dann aber, wenn es um Wiedergutmachung eines dem Mandanten zugefügten Schadens geht, diesen auf den jeweiligen Bearbeiter seiner Sache zu verweisen.

II. Diese dem Schutz des Mandanten dienenden Sätze hat der VI. Zivilsenat im hier zu besprechenden Urteil ergänzt: auch der Scheinsozius haftet dem Mandanten, wenn einer seiner Sozien sich haftbar gemacht hat! Hatte noch BGHZ 56, 355 = LM vorstehend Nr. 35 darauf abgestellt, dass die Anwälte einer Sozietät jedenfalls nach außen dem Mandanten gegenüber als bürgerlich-rechtliche Gesellschaft (§§ 705 ff. BGB) auftreten, so erklärt das neue Urteil, dass es für die gesamtschuldnerische Haftung aller Anwälte nicht darauf ankommt, ob zwischen ihnen eine echte Sozietät (also z. B. nicht nur eine bloße Bürogemeinschaft) besteht oder ob der Anwalt, der etwas falsch gemacht hatte, lediglich auf Gehalt angestellt, also nicht Gesellschafter ist. Sie alle haften schon dann, wenn sie nach außen hin den Anschein erweckt haben, zwischen ihnen bestehe eine Sozietät. Das trifft vor allem dann zu, wenn sie an dem Hause, in dem sie ihre Kanzlei haben, ein gemeinsames Praxisschild angebracht haben, wenn sie Briefbögen, Stempel usw. benutzen, in denen sie alle aufgeführt sind Dann müssen sie sich aufgrund der von der Rechtsprechung herausgebildeten Grundsätze zur Duldung- und Anscheinsvollmacht an diesem von ihnen gesetzten Rechtsschein (vgl. BGHZ 40, 297 [304] = LM § 3 AVB f. KraftfVers. Nr. 5) festhalten lassen (s. auch Kornblum, AnwB1 1973, 154). So hat denn auch der BGH am selben Tage in einem ähnlich liegenden Fall, in welchem der Rechtsschutzversicherer die Rechtsanwälte Dr. B. und Kollegen, die auch wieder nur eine Schein-Sozietät gewesen waren, beauftragt hatte, entschieden (Urt. vom 24. 1. 1978 = LM AVB f. Rechtsschutzvers. Nr. 4 = NJW 1978, 1003).

Diese gesamtschuldnerische Haftung aller Angehörigen einer Scheinsozietät gilt freilich - wie dies der BGH bei der Haftung echter Sozien in BGHZ 56, 355 [361] = LM vorstehend Nr. 35 ausgeführt hat - nur als Regel; auch hier kann nach den Umständen des jeweiligen Falles die Sache so liegen, dass nur einer der Anwälte Vertragsgegner der Mandanten ist. Dazu hat es in BGHZ 56, 358 geheißen: wohl dürfte dann, wenn der Mandant die Prozessvollmacht nur auf einen der Anwälte der Sozietät ausgestellt hat, anzunehmen sei, dass er seinen Anwaltsvertrag nur mit diesem einen Anwalt abgeschlossen hat (dazu schon Kornblum, BB 1973, 224). In dem hier besprochenen Fall hatte der Kläger eine Vollmachtsurkunde, die ihm der eine der mehreren Anwälte übersandt hatte, unterschrieben, in der nur dieser als beauftragter Anwalt stand. Das aber hatte, schon angesichts der übrigen Umstände des Falles, dem BGH nicht ausgereicht, eine Ausnahme von der Regel des Gesamt-Mandats anzunehmen. Er hat sich auch nicht daran gestoßen, dass auf den gemeinsamen Briefbögen jener Sozietät vermerkt war: Konten nur Rechtsanwalt Dr. B.. Eine solche Kontenerrichtung nur für den Senior-Partner einer Anwaltssozietät ist durchaus mit dem Abschluss eines Anwaltsvertrages über Empfangnahme der für den Mandanten eingehenden Gelder, der mit allen Anwälten der Sozietät abgeschlossen wird, vereinbar.

Der BGH hat daher, als der Sozius, der die Sache des Klägers bearbeitet hatte, die für diesen eingegangenen Gelder nicht an ihn ausgekehrt, sondern unterschlagen hatte, den vom Kläger in Anspruch genommenen Sozius zum Schadensersatz aus §§ 611, 421, 425 BGB verurteilt, weil er jedenfalls nach außen hin Sozius des Delinquenten zu sein schien. Dessen Einwand, er brauche doch nicht für vorsätzliche Verletzungen des Anwaltsvertrages, die sein Sozius begangen habe, einzustehen, jedenfalls dann nicht, wenn die Vertragsverletzung des Sozius eine strafbare Handlung sei, hat der BGH zurückgewiesen. Dass dieser womöglich angesichts der vorsätzlichen Tat seines Sozius bei seiner Haftpflichtversicherung keinen Deckungsschutz finden könnte, hat den BGH nicht beeindruckt.

III. Obige Grundsätze hat der BGH auch den weiteren zwei am selben Tage verkündeten Urteilen VI ZR 220/78 in NJW 1978, 1003 = LM AVB f. Rechtsschutzvers. Nr. 4 und VI ZR 232/76 in VersR 1978, 444 zugrunde gelegt.