Rechtsschein
Gegenstand einer möglichen Verwerfung ist der durch einen nichtigen Bebauungsplan erzeugte Rechtsschein. Da der nichtige Bebauungsplan selbst keinerlei Rechtswirkungen erzeugt, kann er selbst auch nicht verworfen werden. Ein Rechtssatz, dass jede Norm als gültig anzusehen sei, bis ihre Fehlerhaftigkeit durch die Rechtsprechung mit Nichtigkeitsfolge festgestellt sei, besteht nicht. Er wäre auch mit der Nichtigkeitslehre unvereinbar, die von einer ipso-iure-Nichtigkeit ex tunc ausgeht. Bei einem nur teilweise nichtigen Bebauungsplan ist nur der durch die nichtigen Festsetzungen erzeugte Rechtsschein Gegenstand der Verwerfung.
Kein Verwerfungs-Monopol der Gerichte - Im Schrifttum wird verschiedentlich die Auffassung vertreten, dass eine Verwerfungs-Befugnis nichtiger Bebauungspläne durch die Verwaltung von vornherein durch ein Verwerfungs-Monopol der Gerichte ausgeschlossen sei. Dem kann nicht gefolgt werden. Aus Art. 100 Abs. 1 GG ergibt sich ein solches Verwerfungs-Monopol jedenfalls nicht. Aufgrund dieser Vorschrift hat ein Gericht ein Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG einzuholen, wenn es ein Gesetz für verfassungswidrig hält, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt. Dieses Verwerfungs-Monopol des BVerfG besteht jedoch nur für nachkonstitutionelle Gesetze im formellen Sinne. Untergesetzliche Normen, zu denen auch die Bebauungspläne gehören, werden von Art. 100 Abs. 1 GG nicht erfasst, selbst dann nicht, wenn sie - wie in Hamburg - durch ein förmliches Gesetz festgestellt werden. Im übrigen betrifft Art. 100 GG nur die Verteilung der Verwerfungs-Kompetenz im Bereich der rechtsprechenden Gewalt. Auch aus Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 und § 76 Nr. 2 BVerfG lässt sich ein Verwerfungs-Monopol des BVerfG nicht herleiten. Art. 93 Abs. 1 Nr.2 GG bestimmt, dass bei Meinungsverschiedenheiten oder Zweifeln über die förmliche oder sachliche Vereinbarkeit von Bundesrecht oder Landesrecht mit dem GG oder die Vereinbarkeit von Landesrecht mit sonstigem Bundesrecht das BVerfG angerufen werden kann. Gegenstand einer solchen Normenkontrolle können - anders als beim Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG - auch untergesetzliche Normen sein. Nach ständiger Rspr. des BVerfG enthält Art. 93 Abs. 1 Nr.2 aber nur eine Regelung der Antragsbefugnis für die Bundesregierung, die Landesregierung oder für ein Drittel der Mitglieder des Bundestages, nicht jedoch den Ausschluss anderer Verfahren. Hätte Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG für den Bereich der Verwaltung die Funktion zu erfüllen, die Art. 100 Abs.! GG für die Gerichtsbarkeit besitzt, so hätte die Vorschrift analog Art. 100 GG formuliert sein müssen. Ein anderes Ergebnis kann auch nicht aus § 76 Nr. 2 BVerfGG entnommen werden. Diese Vorschrift konkretisiert Art.93 Abs. 1 Nr.2 GG und bestimmt dabei, dass das BVerfG auch dann angerufen werden kann, wenn eine Verwaltungsbehörde eine Rechtsnorm wegen Unvereinbarkeit mit dem GG oder sonstigem Bundesrecht nicht anwendet. Auch diese Vorschrift regelt jedoch letzten Endes nur die Antragsbefugnis. Sie schließt ein VerwerfungsRecht der Verwaltung nicht grundsätzlich aus. § 47 VwGO begründet ebenfalls kein Verwerfungs-Monopol. Die Regelung gibt Betroffenen sowie auch Behörden die Möglichkeit, die Wirksamkeit von Bebauungsplänen im Wege der Normenkontrolle durch die Oberverwaltungsgerichte klären zu lassen. Das Verfahren endet gegebenenfalls mit der deklaratorischen Feststellung der Nichtigkeit einer untergesetzlichen Norm mit allgemeinverbindlicher Wirkung. Insoweit ist die Entscheidung nach §47 VwGO mit der nach Art. 100 GG vergleichbar. Diese Wesensähnlichkeit beider Entscheidungen rechtfertigt jedoch nicht die Annahme eines institutionalisierten Verwerfungs-Monopols für die in §47 Abs. 1 VwGO genannten Satzungen bei den Verwaltungsgerichten. Denn §47 VwGO enthält im Gegensatz zu Art.100 GG keine Vorlagepflicht. Damit fehlt das für die Monopolisierung entscheidende Element. Folgerichtig sehen sich daher die Gerichte zu Inzidententscheidungen über die Wirksamkeit von Bebauungsplänen befugt. Im Gesetzgebungsverfahren ist z.B. von Vertretern des Landes Niedersachsen angeregt worden, eine für Gerichte und Behörden verbindliche Vorlagepflicht analog der des § 100 GG einzuführen, doch ist der Gesetzgeber diesem Vorschlag nicht gefolgt, letzten Endes auch um eine Überlastung der Oberverwaltungsgerichte zu vermeiden.
Materiell-rechtliche Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht - Die Verwaltung ist nach Art. 1 Abs. 2 und Art. 20 Abs. 3 GG materiell-rechtlich an die Grundrechte sowie an Gesetz und Recht gebunden. Diese Bindung zwingt die Verwaltung in jeder Hinsicht zu einem rechtskonformen Handeln. Dem entspricht die Verantwortung des einzelnen Amtswalters nach dem öffentlichen Dienstrecht. Eine Rechtsnorm, die gegen die Verfassung oder gegen sonstiges höherrangiges Recht verstößt und darum nichtig ist, bindet die Verwaltung daher nicht; sie ist kein Recht i. S. von Art.20 Abs. 3 GG. Die Verwaltung kann nicht zum Vollzug einer Rechtsnorm gezwungen sein, die als nichtig angesehen werden muss. Dies gilt auch für Bebauungspläne, soweit sie nichtig sind.
Materiell-rechtliche Einschränkungen - Die Bindung der Verwaltung an Gesetz und Recht kann allerdings materiell-rechtlich eingeschränkt oder modifiziert sein, soweit die Verfassung dies vorsieht oder zulässt. Einschränkungen enthält insbesondere der Grundsatz der Rechtssicherheit. Das Prinzip der Rechtssicherheit ist ebenso wie das Prinzip der materiellen Gerechtigkeit aus dem Rechtsstaatsgebot abgeleitet. Treten beide Prinzipien zueinander in Widerstreit, so ist es Aufgabe des Gesetzgebers, diesen Streit nach der einen oder anderen Seite hin zu entscheiden. Solche Entscheidungen enthalten Vorschriften über die Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen sowie über die Bestandskraft von Verwaltungsakten. Gesetzliche Vorschriften über die Bestandskraft untergesetzlicher Normen fehlen dagegen. Allerdings hat der Gesetzgeber mit den Vorschriften der §§214 und 215 Regelungen getroffen, die denen zur Bestandskraft nahe kommen. Dies gilt jedoch nur für solche Fehler, die nach den §§ 214 und 215 unbeachtlich sind. Liegen dagegen beachtliche Fehler vor, so kommt das Prinzip der Rechtssicherheit nicht zur Geltung. In der Literatur wird gelegentlich die Auffassung vertreten, dass der Grundsatz der Fehlerevidenz oder der Grundsatz des Vertrauensschutzes das Recht der Verwaltung zur Verwerfung nichtiger Bebauungspläne einschränke. Dabei wird jedoch übersehen, dass es für die Rechtsfolge der Nichtigkeit bei Rechtsnormen auf diese Kriterien nicht ankommt. Es wäre daher verfehlt, dennoch hierauf abzustellen. Aus dem gleichen Grunde wäre es auch ausgeschlossen, ein VerwerfungsRecht z. B. nur bei offensichtlichen Fehlern zuzulassen. Es gibt keine rechtliche Grundlage dafür, zwischen offensichtlich nichtigen und nicht-offensichtlich nichtigen Bebauungsplänen zu unterscheiden Für eine solche Unterscheidung gäbe es auch keine eindeutigen Kriterien.