Rentenversicherungsträger

Ein zur Entgegennahme des Antrags auf Erwerbsunfähigkeitsrente zuständiger Amtsträger hat gegenüber dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung nicht die Amtspflicht, dessen Interesse an einer Vermeidung nicht rückforderbarer Krankengeldüberzahlungen durch unverzügliche Bearbeitung und Weiterleitung des Rentenantrags an die zur Entscheidung berufene Stelle wahrzunehmen.

Zum Sachverhalt: Im August 1970 reichte ein Mitglied der kl. AOK bei der beklagten Gemeinde einen an die LVA gerichteten Antrag auf Gewährung der Erwebsunfähigkeitsrente ein. Im Mai 1971 stellte sich heraus, dass der Bürgermeister der Gemeinde den Antrag versehentlich nicht weitergeleitet hatte. Der Antrag blieb bis zu einer von der Kläger veranlassten Erneuerung im Mai 1971 unbearbeitet. Das am 4. 11. 1970 erkrankte Mitglied der Kläger erhielt von dieser Kranken- und Hausgeld. Nach der Bewilligung der Rente im November 1971 erstattete der Träger der Rentenversicherung einen Teil der Leistungen der Kläger für den Versicherten. Die Kläger ist der Auffassung, der Bürgermeister der Gemeinde habe durch seine Säumnis eine ihr gegenüber bestehende Amtspflicht zur unverzüglichen Weiterleitung des Rentenantrags ihres Mitglieds verletzt, und hat von der Beklagte Schadensersatz in Höhe des ihr nicht erstatteten Betrags begehrt. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagte hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs wegen Amtspflichtverletzung nach den für das Begehren der Kläger allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden Vorschriften über die Amtshaftung lägen nicht vor, weil der ehrenamtliche Bürgermeister der beklagten Gemeinde nicht gegenüber der Kläger die Amtspflicht gehabt habe, den Antrag des bei der Kläger Versicherten auf Erwerbsunfähigkeitsrente an die zur Entscheidung berufene Stelle, die LVA, weiterzuleiten. Ein Gemeindebediensteter, der Aufgaben des Versicherungsamts (§§36ff. RVO) wahrnehme, sei zwar im Interesse der Sozialversicherten gehalten, an die LVA gerichtete Anträge entgegenzunehmen und weiterzuleiten. Der Versicherte solle möglichst nahe bei seinem Wohnsitz fachkundige Hilfe erhalten. Die zur Entgegennahme der Anträge zuständige Stelle solle auf eine erschöpfende Begründung der Anträge hinwirken und sie dem richtigen Adressaten zuleiten. Gegenüber der Kläger bestünden solche Amtspflichten aber nicht. Die AOK und die LVA, als deren Außenstelle die Gemeinde tätig geworden sei, stünden sich nicht so gegenüber, wie es für das Verhältnis zwischen Verwaltung und Bürger kennzeichnend sei. Beide Körperschaften seien zu der gemeinsamen Aufgabe verbunden, einen erkrankten und erwerbsunfähigen Sozialversicherten lückenlos aus der Krankenversicherung in die Rentenversicherung zu überführen. Die zügige Bearbeitung und Weiterleitung der Anträge durch den Bürgermeister sei daher im Verhältnis zur Klage nur als Dienstpflicht zu werten, wie sie zwischen gleichgeordneten und übergeordneten Behörden bestehe. Die gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts gerichtete Revision der Kläger hat keinen Erfolg.

Aus den Gründen: 1. Dem Bediensteten einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft können, wie der Senat schon wiederholt ausgeführt hat (vgl. BGHZ 26, 232 [234] = NJW 1958, 629 = LM § 839 [C] BGB Nr. 35 = MDR 1958, 311; BGHZ; 32, 145 [146]; = NJW 1960, 1005 = LM § 839 [Fe] BGB Nr. 25 = MDR 1960, 475; BGHZ 60, 371 = NJW 1973, 1461 = LM vorstehend Nr. 26 = MDR 1973, 917; DVB1 1974, 592), Amtspflichten i. S. des § 839 BGB auch gegenüber einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts obliegen. Die geschädigte öffentlich-rechtliche Körperschaft muss dem Amtsträger der anderen Körperschaft bei der Ausübung des ihm anvertrauten öffentlichen Amtes (Art. 34 GG) aber in einer Weise gegenüberstehen, wie es für das Verhältnis zwischen dem Dienstherrn eines Amtsträgers und dem Bürger kennzeichnend ist, der sich auf die Verletzung einer ihm gegenüber bestehenden Amtspflicht beruft. Die beiden gegenüberstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts dürfen also nicht zur gleichsinnigen Erfüllung einer gemeinsamen Aufgabe verbunden sein, sondern müssen in Vertretung widerstreitender Interessen tätig werden. Ob die geschädigte Körperschaft der anderen und dem Amtsträger in dieser Weise gegenübersteht, hängt davon ab, welchen Zweck die dem Amtsträger obliegende Pflicht hat, insbesondere ob sie - neben dem Allgemeininteresse an einer ordnungsgemäßen Amtsführung und neben innerdienstlichen Belangen - dem Schutz dieser anderen Körperschaft dient oder ob sie dem Amtsträger zur Wahrnehmung der Interessen dieser anderen Körperschaft auferlegt worden ist.

2. Nach diesen Grundsätzen sind die Voraussetzungen einer Amtshaftung der beklagten Gemeinde für die Säumnis des damaligen ehrenamtlichen Bürgermeisters bei der Weiterleitung des Rentenantrags des bei der Kläger Versicherten zu verneinen. Denn es bestand keine Amtspflicht des Bürgermeisters gegenüber der Kläger, mit der ihm obliegenden unverzüglichen Weiterleitung des Rentenantrags des bei der Kläger Versicherten deren Interesse wahrzunehmen, möglichst rasch oder jedenfalls nach angemessener Zeit von nicht rückforderbaren Kranken- und Hausgeldzahlungen an ihren Versicherten befreit zu werden. Zwar hebt die Revision zutreffend hervor, dass eine AOK als Träger der gesetzlichen Krankenversicherung ein zweckgebundenes Vermögen hat und dass sich ihre Aufgaben von denen der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung unterscheiden. Diese Gesichtspunkte rechtfertigen es jedoch nicht, eine Amtspflicht der mit dem Rentenbewilligungsverfahren befaßten Amtsträger gegenüber der Kasse anzunehmen, deren Interesse an der Vermeidung von nicht rückforderbaren Überzahlungen bei der Entgegennahme, Bearbeitung und Bescheidung eines Rentenantrags wahrzunehmen.

a) Nach § 183 III RVO i. d. F. des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle vom 12. 7. 1961 (BGBl I, 913) endet der Anspruch auf Krankengeld mit dem Tage, von dem an Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Altersruhegeld von einem Träger der Rentenversicherung zugebilligt wird (zu diesem Zeitpunkt vgl. BSGE 19, 28 [29]). Hat die Kasse über diesen Zeitpunkt hinaus Krankengeld bezahlt, so geht der Anspruch auf Rente zwar bis zur Höhe des gezahlten Krankengeldes auf sie über. Wenn das geleistete Krankengeld aber die Rente übersteigt, so kann sie den überschießenden Betrag vom Versicherten nicht zurückfordern. Diese gesetzliche Regelung begünstigt den Sozialversicherten. Dieser soll „Lohnersatz - sei es in Gestalt des Krankengeldes, sei es in Gestalt der Rente - ohne Unterbrechung bis zur Rentenbewilligung erhalten. Ihm soll es nach seinen Lebensverhältnissen, von denen der Gesetzgeber für den Regelfall ausgeht, nicht zugemutet werden, Krankengeld zurückzuzahlen, das zur Bestreitung seines Lebensbedarfs bestimmt war, auch soweit es die rückwirkend bewilligte Rente übersteigt (zur Bedeutung der Regelung vgl. BGH, LM § 183 RVO Nr. 2 = MDR 1971, 735 [736]). Das Gesetz belastet damit den Träger der gesetzlichen Krankenversicherung - in den gesetzlichen Grenzen (§ 183 II RVO) - endgültig mit Leistungen in einer Zeit, in der ein Anspruch auf Krankengeld nach § 183 III RVO wegen der späteren rückwirkenden Zubilligung der Rente nicht mehr bestand. Einen Ausgleich für die Belastungen, die durch den Rentenübergang nicht ausgeglichen werden, hat das Gesetz nicht vorgesehen, obwohl das Rentenfeststellungsverfahren lange Zeit in Anspruch nehmen kann. Insbesondere ist der Träger der Rentenversicherung nicht zu einem solchen Ausgleich gehalten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Rentenfeststellungsverfahren eine angemessene Zeit überschritten hat und welche Zeit im Einzelfall als angemessen anzusehen ist. Das Gesetz hat dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung diese - mit der Dauer des Verfahrens steigende - Belastung damit in den Fällen, in denen das Krankengeld die gewährte Rente übersteigt, auch im Verhältnis der Versicherungsträger zueinander auferlegt. Die im Interesse der Sozialversicherten geschaffene gesetzliche Regelung begründet keine Rechte des Trägers der Krankenversicherung gegen den Träger der Rentenversicherung oder gegen Versicherungsbehörden. Die Kasse ist nicht Verfahrensbeteiligte im behördlichen Rentenfeststellungsverfahren. Ihr stehen keine verfahrensrechtlichen oder materiell-rechtlichen Rechtsbehelfe oder Rechtspositionen zu, mit denen sie in diesem Verfahren ihr Interesse an einer Vermeidung von Überzahlungen zur Geltung bringen könnte. Sie hat nur im Verhältnis zum Versicherten die Möglichkeit, diesem unter den Voraussetzungen des § 183 VII RVO (durch ärztliches Gutachten festgestellte Erwerbsunfähigkeit des Versicherten oder Erfüllung der Voraussetzungen für das Altersruhegeld und Ablauf von sechs Wochen) eine Frist von vier Wochen zur Stellung des Rentenantrags zu setzen, nach deren Versäumung der Anspruch auf Krankengeld entfällt. Diese in sich geschlossene gesetzliche Regelung spricht gegen das Bestehen einer Amtspflicht der am Rentenfeststellungsverfahren beteiligten Amtsträger, auch der zur Entgegennahme des Rentenantrags befugten, gegenüber dem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung, dessen Interesse an der Vermeidung nicht erstattungsfähiger Krankengeldüberzahlungen wahrzunehmen. Vielmehr bestätigt die dargestellte Rechtslage die Auffassung des Berufungsgerichts, dass das Gesetz Kasse und Rentenversicherungsträger zur gleichsinnigen Erfüllung der gemeinschaftlichen Aufgabe verbunden hat, an den Sozialversicherten Leistungen - Krankengeld oder Erwerbsunfähigkeitsrente - zu erbringen, wenn er nicht mehr erwerbsfähig ist. Nach der gesetzlichen Regelung tritt der Träger der Rentenversicherung dabei nicht in einen Interessengegensatz zum Träger der Krankenversicherung, weil der Umfang der von ihm - gegebenenfalls kraft des Anspruchsübergangs an die Kasse - zu erbringenden Rentenleistungen, auch der Zeit nach, nicht davon abhängt, in welcher Höhe und wie lange der Träger der Krankenversicherung Krankengeld geleistet hat.

b) Das Verhältnis zwischen dem Versicherten und den Versicherungsträgern bestimmt auch den Zweck der Bearbeitungs- und Weiterleitungspflicht, die einem zur Entgegennahme eines Rentenantrags berufenen Amtsträger obliegt.

aa) Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Bürgermeister versicherungsbehördliche Aufgaben nach §§36ff. RVO wahrgenommen habe und die Gemeinde damit als Außenstelle der Rentenversicherungsanstalt tätig geworden sei. Die nach § 36 RVO bei den unteren Verwaltungsbehörden gebildeten Versicherungsämter erteilen in sozialversicherungsrechtlichen Angelegenheiten Auskunft und können die Versicherungsträger in deren Angelegenheiten unterstützen (§ 37 I und II RVO, zu den Aufgaben der Versicherungsbehörden nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - vom 23. 12. 1976, BGBl I. S. 3845 - vgl. dessen Art. I §§ 91 ff., insbesondere § 93). In den Kreis dieser Geschäfte gehört auch die Entgegennahme von Rentenanträgen für die Rentenversicherungsträger. Die damit verbundenen Amtspflichten hatte auch der Bürgermeister zu erfüllen, der diese versicherungsbehördlichen Aufgaben als Gemeindeorgan, nicht kraft eines ihm persönlich übertragenen, von der Gemeinde unabhängigen Amtes zu erfüllen hatte (zur Zuständigkeit der Gemeinden, Anträge auf Sozialleistungen entgegenzunehmen, vgl. jetzt Art. I § 16 I des Sozialgesetzbuchs (SGB) - Allgem. Teil - vom 11. 12. 1975, BGBl I, 3015).

bb) Die versicherungsbehördliche Tätigkeit bei der Entgegennahme und Weiterleitung eines Rentenantrags dient danach nicht dem Schutz und den Interessen des Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung, bei der der Rentenbewerber pflichtversichert ist. Sie soll die Interessen der Sozialversicherten wahren, denen der zuständige Amtsträger zur Erfüllung einer gemeinsamen Aufgabe des Versicherungsamtes und des Rentenversicherungsträgers gegenübersteht. Die Tätigkeit des Amtsträgers dient einem einfachen, raschen, reibungslosen Geschäftsverkehr zwischen dem Sozialversicherten und dem Versicherungsträger. Den - regelmäßig auf eine fachkundige Hilfe angewiesenen - Versicherten soll auf diese Weise die Wahrnehmung, Verfolgung und Durchsetzung ihrer Ansprüche erleichtert werden (vgl. das Senatsurteil BGHZ 26, 232 [236] = NJW 1958, 629 = LM § 839 [C] BGB Nr. 35 = MDR 1958, 311). Eine Amtspflicht zur unverzögerlichen Bearbeitung und Weiterleitung eines Rentenantrags besteht daher gegenüber dem Versicherten. Sie dient neben der Aufrechterhaltung einer geordneten, gut funktionierenden Verwaltung im Verhältnis zum Träger der gesetzlichen Krankenversicherung nur den Interessen des Versicherten.

3. Die Vereinbarung zwischen dem Verband Deutscher Rentenversicherungsträger und dem Bundesverband der Ortskrankenkassen vom 25. 4. 1962 betrifft im wesentlichen die Abrechnung der Ansprüche der Krankenkasse. Eine Kasse stellt nach dieser Vereinbarung die Krankengeldzahlung erst mit dem Ablauf des Tages ein, an dem die Mitteilung des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung über die Rentenbewilligung bei ihr eingeht. Diese vereinbarte Regelung dient nur dem Zusammenwirken gleichgeordneter öffentlich-rechtlicher Körperschaften. Sie hat nicht den Zweck und ist auch nicht geeignet, Amtspflichten eines für die Entgegennahme, Bearbeitung und Weiterleitung eines Rentenantrags zuständigen gemeindlichen oder versicherungsbehördlichen Amtsträgers gegenüber einer AOK zu begründen.

4. Die Verwirklichung des Tatbestands eines Amtsmissbrauchs hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Rechtsfehler lässt seine Entscheidung insoweit nicht erkennen (vgl. zum Amtsmissbrauchstatbestand die Senatsurt., VersR 1970, 906; LM § 839 [C] BGB Nr. 77 = VersR 1963, 235).