Sachverständigengutachten

Durchgreifenden Bedenken begegnet die Rechtsansicht des Berufsgericht, dass der Beklagte, weil er bei Abschluss des Vertrages über Nebenentschädigungen irrigerweise an eine Übereinstimmung des Sachverständigengutachtens mit den gemeinsamen Richtlinien glaubte, seine Willenserklärung gemäß § 119 Abs. 1 BGB wegen Irrtums über ihren Inhalt habe anfechten können. Ein solcher Inhaltsirrtum, auch Geschäfts- oder Erklärungsirrtum genannt, setzt in der Person dessen, der ihm unterliegt, ein Auseinanderfallen von Wille und Erklärung voraus: Der Betreffende muss, ohne dies zu merken, etwas anderes zum Ausdruck gebracht haben als das, was er in Wirklichkeit hatte erklären wollen; er beabsichtigte zwar seine Erklärung so, wie sie lautet, auch tatsächlich abzugeben, irrte aber über die Bedeutung, die dem Erklärten unter den gegebenen Umständen im Rechtsverkehr zukam. Für eine Anwendung des § 119 Abs. 1 BGB ist daher nur Raum, wenn Erklärungsinhalt und Erklärungswille miteinander nicht im Einklang gestanden haben.

Betrachtet man den Sachverhalt unter diesem Gesichtspunkt, so ergibt sich, dass hier der Beklagte das, was er erklären wollte, auch wirklich erklärt hat. Er war, als die Parteien am 30. 9. 1965 zum Zwecke des Vertragsabschlusses zusammenkamen, gewillt, den Kläger zusätzlich zum Kaufpreis für ihre Grundstücke noch eine Nebenentschädigung von 28274 DM zu gewähren; diesen Betrag, auf den die Beteiligten sich nach langwierigem Verhandeln geeinigt hatten, hielt er auf Grund der Berechnungen in dem von ihm eingeholten Gutachten der Sachverständigen K. und B. für angemessen und sachgerecht. Demgemäß verpflichtete er sich im Rahmen des Vertrages zur Zahlung der 28274 DM. Erst später stellte sich heraus, dass die Sachverständigen entgegen der Annahme des Beklagte bei Erstattung ihres Gutachtens nicht in allen Punkten nach den gemeinsamen Richtlinien der zuständigen Bundesministerien verfahren und infolgedessen zu einer Entschädigungssumme gelangt waren, die mit den Richtlinien in Widerspruch stand; hätte dies der Beklagte bereits am 30. 9. 1965 gewusst, dann würde er möglicherweise - hiervon scheint jedenfalls das angefochtene Urteil auszugehen - seine Verpflichtungserklärung nicht abgegeben haben. Allein mit der Aufdeckung dieses Irrtums trat nicht etwa nachträglich eine bislang verborgen gebliebene Kluft zwischen Wille und Erklärtem zutage, da beides einander genau entsprach. Das, worüber der Beklagte geirrt hatte, war vielmehr nichts anderes als einer der Beweggründe, die ihn seinerzeit zur Abgabe der Verpflichtungserklärung veranlasst hatten.

Ersichtlich ist das auch dem Berufsgericht nicht entgangen. Wenn es bei dieser Sachlage gleichwohl die Anwendbarkeit des § 119 Abs. 1 BGB bejahte, hat es sich dabei von der Erwägung leiten lassen, hier liege einer jener Fälle vor, in denen nach einer in der reichsgerichtlichen Rechtsprechung sowie vereinzelt im Schrifttum vertretenen Ansicht auch Umstände, die an sich nur zum Beweggrund gehören, unter gewissen Voraussetzungen dem Erklärungsinhalt zuzurechnen sind. Ein derartiger erweiterter Inhaltsirrtum soll danach insbesondere gegeben sein, wenn ein irriges Motiv des Erklärenden bei den Verhandlungen erkennbar hervorgetreten und zum Bestandteil der vom anderen Vertragspartner richtig verstandenen Erklärung gemacht worden ist. So hat insbesondere das RG wiederholt betont, ein Irrtum über die der Preisberechnung zugrunde liegenden Faktoren habe als Irrtum über den Inhalt der Erklärung selbst zu gelten, sofern die Berechnungsgrundlage Gegenstand der entscheidenden Vertragsverhandlungen gewesen sei. Diese Ansicht ist bei zahlreichen Schriftstellern auf Widerspruch gestoßen; ihr wird vor allem entgegengehalten, dass sie zu einer unzulässigen und keineswegs ungefährlichen Ausweitung des Erklärungsirrtums führe und dass sich die meisten der vom BG entschiedenen Fälle ebenso gut nach den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage hätten lösen lassen. Andere Autoren wiederum, die an sich den Begriff des erweiterten Inhaltsirrtum anerkennen, möchten seinen Anwendungsbereich möglichst eng begrenzen.

Der BGH hat, soweit ersichtlich, zu der umstrittenen Frage bisher nicht Stellung genommen; sie ist insbesondere in dem Urteil des VIII. Zivilsenats vom 12. 4. 1960 zwar erörtert, aber letzten Endes offen gelassen worden. Auch der vorliegende Fall nötigt zu keiner abschließenden Stellungnahme. Denn wäre dem RO beizupflichten, so kämen die von ihm entwickelter Grundsätze über die Beachtlichkeit des so genannten Kalkulationsirrtums hier gleichwohl nicht zum Zuge.

Das Berufsgericht stützt sich auf folgende Feststellungen: Bei den Vertragsverhandlungen der Parteien sei über das Bewertungsgutachten der Sachverständigen K. und B. gesprochen worden; der Beklagte habe, und zwar für die Kläger erkennbar, das Gutachten zum Inhalt seiner Erklärung gemacht; dass er es bei der Bemessung der von ihm zu zahlenden Entschädigung zugrunde gelegt habe, hätten die Kläger spätestens bei Abschluss des Vertrages vom 30. 9. 1965 erkannt. Auf die Kenntnis oder Erkennbarkeit allein dieser Tatsache kommt es jedoch für die hier zu entscheidende Frage nicht an. Denn nicht das bloße Vorhandensein des Gutachtens war maßgebend für den Entschluss des Beklagten, sich zur Zahlung von 28274 DM zu verpflichten. Er wurde dazu vielmehr erst durch die unzutreffende Annahme bestimmt, die Sachverständigen hätten sich bei ihren Berechnungen in allen Punkten an die gemeinsamen Richtlinien der zuständigen Bundesministerien gehalten. Gegenstand seines Irrtums war also die - in Wirklichkeit fehlende - Übereinstimmung zwischen Gutachten und Richtlinien. Aber nur wenn die Kläger erkannt hätten oder wenigstens hätten erkennen können, dass der Beklagte von einer solchen Übereinstimmung ausging, wären die Voraussetzungen, unter denen nach jener Rechtsprechung ein an sich unbeachtlicher Berechnungsirrtum zu einem erheblichen Irrtum über den Inhalt der Erklärung selbst wird, erfüllt gewesen. Nicht auf das Gutachten als solches und die Bedeutung, die der Beklagte ihm beimaß, hätte daher das Berufsgericht bei Zugrundelegung der reichsgerichtlichen Rechtsprechung abstellen müssen, sondern darauf, ob bei den Verhandlungen der Parteien auch die Richtlinien als vermeintliche Basis der Begutachtung eine irgendwie geartete Rolle gespielt haben.

Dies war nach den tatsächlichen Feststellungen des angef. Urteil und den daselbst in Bezug genommenen Parteischriftsätzen, Zeugenaussagen und Urkunden nicht der Fall. Das Urteil geht im ersten Abschnitt seiner Ausführungen, wo es das Vorliegen eines beiderseitigen Irrtums verneint, selbst davon aus, dass die Kläger die Richtlinien nicht gekannt, geschweige denn ihren. Inhalt als für sich verbindlich angesehen hätten; ihnen gegenüber sei gar nicht von den Richtlinien gesprochen worden, insbesondere auch nicht seitens ihres Beraters D., und sie hätten sich über die Grundlagen, auf denen die Berechnung der Sachverständigen beruhte, keinerlei Vorstellungen gekacht; interessiert habe sie vielmehr ausschließlich, was- unter dem Strich bleibe, d. h. der Gesamtbetrag der vom Beklagte angebotenen Entschädigung. Die Richtlinien haben auch in dem bei den Akten befindlichen Schriftwechsel der Parteien vor Vertragsabschluss nirgends Erwähnung gefunden, namentlich nicht in dem Schreiben vom 11. 11. 1964, mit dem der Beklagte den Kläger das Gutachten übersandte; sie tauchen vielmehr erstmals in seinem späteren - vom Berufsgericht als Anfechtungserklärung gewerteten Schreiben vom 18. 2. 1966 auf. Nicht einmal die Sachverständigen K. und B. haben in ihrem umfangreichen Gutachten vom September/November 1964 an irgendeiner Stelle auf die Richtlinien hingewiesen, und ein solcher Hinweis fehlt sogar noch in ihrer nachträglichen, auf Veranlassung des Beklagten verfassten Neuberechnung vom 12. 2. 1966. Endlich enthalten auch die beiden Verträge vom 30. 9. 1965 kein Wort über die Richtlinien; wenn es im angef. Urteil heißt, die Richtlinie werde in § 2 des privatschriftlichen Vertrages ausdrücklich erwähnt, so ist damit ersichtlich nur das Sachverständigengutachten gemeint. Mangels Kenntnis oder Erkennbarkeit der Berechnungsgrundlage ist sonach für eine Anwendung der vom RG entwickelten Grundsätze über die Erheblichkeit eines erweiterten Inhaltsirrtums kein Raum.