Sanierungsgebiet
Der Verkauf eines in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet liegenden Grundstücks vor Aufstellung oder mindestens Auslegung des Entwurfs eines Bebauungsplans an einen Sanierungsträger ist, falls nicht aus besonderen Gründen die alsbaldige Inanspruchnahme des Grundstücks schon feststeht, grundsätzlich kein Vergleich, weil sich die Beziehungen der Vertragspartner zueinander bis dahin in der Regel noch nicht zu einem Rechtsverhältnis im Sinne des § 779 BGB verdichtet haben.
Zum Sachverhalt: Im Juli 1972 beschloss die Stadt P. in einer Satzung, den Bezirk Stadtmitte als Sanierungsgebiet förmlich festzulegen. Die zum Sanierungsträger bestellte Beklagte verhandelte mit der Firma H über den Verkauf ihrer im Sanierungsgebiet liegenden Grundstücke und die damit verknüpfte Verlagerung des Werks. Die H beauftragte die Kläger, zwei Rechtsanwälte, mit der Führung dieser Verhandlungen. Die Verhandlungen endeten am 20. 6. 1974 mit dem Abschluss eines notariell beurkundeten Vertrages, aufgrund dessen die H die Grundstücke der Beklagte gegen eine Entschädigung überließ. In dem Vertrag heißt es einleitend: In den Bereich des ... Sanierungsgebietes fallen die in § 1 des nachfolgenden Vertrages bezeichneten, der H gehörenden Grundstücke. Zur Vermeidung einer Enteignung sollen diese Grundstücke im Wege freiwilligen Bodenordnungsverfahrens auf der Grundlage des Städtebauförderungsgesetzes ... auf die ... (Bekl.) als Sanierungstreuhänder übertragen und die Entschädigungsansprüche gemäß § 23 StBauFG i. V. mit §§ 95 und 96 BBauG geregelt werden. Die Beklagte übernahm ferner die Kosten des Verfahrens und verpflichtete sich, die H von Anwaltskosten freizustellen. Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestand noch kein Bebauungsplan für das Sanierungsgebiet, auch nicht als Entwurf. In ihrer Kostenrechnung berechneten die Kläger, denen die H ihren Freistellungsanspruch abgetreten hat, der Beklagte auch eine Vergleichsgebühr. Die Beklagte bezahlte die Rechnung bis auf die Vergleichsgebühr und die darauf entfallende Mehrwertsteuer. Weitere Leistungen lehnte sie ab.
LG und Oberlandesgericht haben der Klage auf Zahlung der Vergleichsgebühr stattgegeben. Die Revision der Beklagte hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: 1. Ein Rechtsanwalt hat nach § 23 BRAGO einen Anspruch auf eine Vergleichsgebühr, wenn er beim Abschluss eines Vergleichs i. S. von § 779 BGB mitgewirkt hat, d. h. einer Einigung der Parteien, die einen Streit oder eine Ungewissheit zwischen ihnen über ein ihrer Verfügung unterliegendes Rechtsverhältnis durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt hat. Nach Auffassung des Berufungsgerichts weist der Vertrag vom 20. 6. 1974, an dessen Abschluss die Kläger unstreitig mitgewirkt haben, die Merkmale eines Vergleichs auf. Im Ergebnis ist ihm darin beizutreten.
2. Das einem Vergleich zugrunde liegende Rechtsverhältnis muss schon vor Abschluss des den Streit oder die Ungewissheit beseitigenden Vertrages bestanden haben, hier also vor Abschluss des Vertrags vom 20. 6. 1974. Davon ist das Berufungsgericht rechtsbedenkenfrei ausgegangen.
3. Der Begriff des Rechtsverhältnisses i. S. des § 779 BGB ist zwar grundsätzlich weit zu fassen (Senat, NJW 1972, 157 = LM vorstehend Nr. 36). Im Interesse der Rechtssicherheit ist eine klare Abgrenzung aber erforderlich. Ein einem Vergleich zugängliches Rechtsverhältnis liegt daher erst vor, wenn sich die rechtlichen Beziehungen zwischen den Vergleichspartnern schon so verdichtet und konkretisiert haben, dass der eine Teil auf die Entschließungsfreiheit des anderen einwirken kann. Welche Voraussetzungen im Einzelfall erfüllt sein müssen, kann rechtlich einwandfrei nur nach den für das Rechtsverhältnis geltenden gesetzlichen Vorschriften beurteilt werden (BGHZ 59, 69 [72] = LM vorstehend Nr. 37 = NJW 1972, 1318), hier also nach den Vorschriften des Städtebauförderungsgesetzes und den in dessen § 86 in Bezug genommenen Vorschriften des Bundesbaugesetzes.
a) Die im Städtebauförderungsgesetz geschaffene Möglichkeit, ein Grundstück für Sanierungszwecke zu enteignen, reicht nicht aus, um ein Rechtsverhältnis zwischen einem Grundeigentümer und der Gemeinde oder einem Sanierungsträger - vgl. § 22 II StBauFG - zu begründen, schon weil daraus noch nicht erkennbar wird, ob ein bestimmtes Grundstück für Sanierungszwecke benötigt wird oder nicht. Ebenso wenig ist eine im Zuge von Erwerbsverhandlungen von einer Gemeinde aufgestellte Behauptung, das Grundstück könne aufgrund des Städtebauförderungsgesetzes enteignet werden, allein geeignet, ein Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten zu begründen, weil das Städtebauförderungsgesetz eine Enteignung grundsätzlich erst nach der Aufstellung eines Bebauungsplans zulässt. Eine solche Äußerung ist daher; jedenfalls soweit es uni die hier interessierende Anwendung des Städtebauförderungsgesetzes geht, regelmäßig aus Rechtsgründen nicht geeignet, die Entschließungsfreiheit des Grundeigentümers ernstlich zu beeinflussen. Verkauft ein Grundeigentümer sein Grundstück gleichwohl allein aufgrund einer solchen Behauptung, um einer Enteignung vorzubeugen, so geschieht dies nicht als Folge eines schon bestehenden Rechtsverhältnisses, sondern nur aufgrund seines Willensentschlusses. Auch ein gegenseitiges Nachgeben der Vertragspartner vermag unter solchen Umständen den Anspruch auf eine Vergleichsgebühr des bei dem Abschluss des Vertrages mitwirkenden Rechtsanwalts nicht zu begründen (ebenso BGHZ 59, 69 = LM vorstehend Nr. 37 = NJW 1972, 1318, zum Bundesfernstraßengesetz).
b) Auch der Erlass einer Satzung über die förmliche Festlegung eines Sanierungsgebiets nach § 5 StBauFG begründet entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts in der Regel noch kein Rechtsverhältnis i. S. des § 779 BGB zwischen den Eigentümern der im Sanierungsgebiet liegenden Grundstücke und der Gemeinde. Das Sanierungsgebiet muss zwar in einer solchen Satzung genau bezeichnet werden. Auch sind in ihr die in dem Gebiet gelegenen Grundstücke einzeln aufzuführen. Ein solches Verzeichnis sagt aber noch nichts über die künftige Gestaltung des Gebiets und die Möglichkeit einer Enteignung der betroffenen Grundstücke aus. Die Eigentümer der im Sanierungsgebiet liegenden Grundstücke können daher aus der Satzung über die förmliche Festlegung des Sanierungsgebiets nicht entnehmen, was mit ihren Grundstücken und der darauf stehenden Bebauung geschehen soll. Auch müssen sie nicht schon aufgrund einer solchen Satzung erwarten, dass die Gemeinde ihre Grundstücke im Wege der Enteignung in Anspruch nehmen wird, wenn sie sie ihr nicht verkaufen.
c) Dagegen verdichten sich die Beziehungen zwischen einer Gemeinde und dem Eigentümer eines im Sanierungsgebiet gelegenen Grundstücks regelmäßig zu einem Rechtsverhältnis, wenn die Gemeinde einen Bebauungsplan aufgestellt oder mindestens der Entwurf eines solchen ausgelegen hat. Denn nunmehr wird erkennbar, welcher Nutzung das Grundstück zugeführt werden soll. Nach § 10 I StBauFG sind die Gebäude und sonstigen baulichen Anlagen kenntlich zu machen, die bei der Sanierung ganz oder teilweise beseitigt werden müssen, weil sie den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht entsprechen (vgl. zum übrigen Inhalt eines Bebauungsplans §§ 9, 9a BBauG). Dadurch konkretisieren sich die von der Gemeinde mit der Sanierung im einzelnen verfolgten Zwecke. Die Eigentümer der betroffenen Grundstücke erfahren, ob ihre Grundstücke von den beabsichtigten Sanierungsmaßnahmen erfasst werden oder nicht. Ferner kann die Gemeinde nunmehr nach §§ 85 I Nr. 1, 109 II Nr. 1 BBauG i. V. mit §§ 22, 86 StBauFG ein Enteignungsverfahren einleiten, um ein Grundstück der im Plan vorgesehenen Nutzung zuzuführen oder eine solche Nutzung vorzubereiten. Die Eigentümer müssen daher mit der Einleitung eines Enteignungsverfahrens rechnen, wenn ihre Grundstücke der im Plan vorgesehenen Nutzung nicht entsprechen. Mit der Aufstellung eines Bebauungsplans oder mindestens der Auslegung eines Entwurfs hat sich das Enteignungsrecht der Gemeinde auch ohne förmliche Einleitung eines Enteignungsverfahrens bereits auf bestimmte Grundstücke ausreichend konkretisiert, so dass nunmehr ein einem Vergleich zugängliches Rechtsverhältnis zwischen der Gemeinde und den Eigentümern der betroffenen Grundstücke besteht. Die Rechtslage nach dem Städtebauförderungsgesetz entspricht insoweit grundsätzlich der nach dem Bundesbaugesetz (BGH, JurBüro 1973, 412 m. Anm. H. Schmidt) und nach dem Bundesfernstraßengesetz (BGHZ 59, 69 = LM vorstehend Nr. 37 = NJW 1972, 1318; BGH, NJW 1972, 2264 = LM vorstehend Nr. 38). Da bei Abschluss des Vertrages vom 20. 6. 1974 weder ein Bebauungsplan vorlag noch der Entwurf eines solchen ausgelegt war, fehlte eine daraus herzuleitende Zugriffsmöglichkeit auf die Grundstücke der H als Grundlage eines Rechtsverhältnisses zwischen ihr und der Beklagte
d) Wenn auch regelmäßig erst die Aufstellung eines Bebauungsplans ein Rechtsverhältnis zwischen Grundeigentümer und Gemeinde begründet, so bedeutet dies doch nicht, dass ein solches Rechtsverhältnis nur nach Aufstellung eines Bebauungsplans entstehen kann. Aus den schon erörterten Gründen ergibt regelmäßig erst der Inhalt des Bebauungsplans, ob ein Grundstück von einer beabsichtigten Sanierung betroffen ist und deshalb eine Enteignung in Betracht kommt. Steht aber die Inanspruchnahme eines bestimmten Grundstücks zu Sanierungszwecken aus besonderen Gründen schon vor der Aufstellung eines Bebauungsplans fest, so ist diese Tatsache bereits geeignet, ein Rechtsverhältnis i. S. des § 779 BGB zwischen dem Eigentümer und der Gemeinde zu begründen. Wenn sich die Sanierungspläne einer Gemeinde in bezug auf ein bestimmtes Grundstück oder eine bestimmte Gruppe von Grundstücken - etwa aus Gründen ihrer Lage im Stadtgebiet oder des Zustandes ihrer Bebauung - schon vor Aufstellung eines Bebauungsplans so verfestigt haben, dass ein alsbaldiger Eingriff sicher ist, weil eine dringend erforderliche Verbesserung der Grundstücksverhältnisse in dem betreffenden Bezirk sonst unmöglich wäre, so haben sich die rechtlichen Beziehungen zwischen Eigentümer und Gemeinde zu einem Rechtsverhältnis verdichtet. Mangels Bebauungsplan kann zwar noch kein Enteignungsverfahren eingeleitet werden. Das steht dem Vorhandensein eines Rechtsverhältnisses aber nicht entgegen, wenn der betreffende Eigentümer aufgrund der im vorigen Absatz erwähnten Umstände weiß, dass die tatsächlich beabsichtigte Sanierung ohne Inanspruchnahme seines Grundstücks nicht möglich ist. Er muss dann, wenn er eine Einigung mit der Gemeinde ablehnt, alsbald mindestens mit der Auslegung eines sein Grundstück erfassenden Bebauungsplans und der Einleitung eines Enteignungsverfahrens rechnen.
e) Tritt die Gemeinde bei einer solchen Planungskonzeption an den Eigentümer heran, um sein Grundstück zu erwerben, so stehen sich Eigentümer und Gemeinde nicht mehr wie Käufer und Verkäufer im üblichen Grundstücksverkehr gegenüber. Jeder von ihnen weiß vielmehr, dass sich die Gemeinde wegen ihrer Sanierungspläne das Grundstück alsbald im Wege der Enteignung verschaffen wird, wenn es nicht zu einer gütlichen Einigung kommt. Damit haben sich die Beziehungen zu einem Rechtsverhältnis verdichtet.
f) Eine solche besondere Lage hat hier nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bestanden. Die Gemeinde wollte den Bezirk Stadtmitte sanieren. Das brachte sie durch die Satzung über die förmliche Festlegung des Sanierungsgebiets zum Ausdruck. Die H ging übereinstimmend mit der Gemeinde davon aus, dass ihr Werk verlegt werden musste, damit der Bezirk saniert werden konnte. Mit der Veräußerung vermied die H, wie es im Vertrag vom 20. 6. 1974 einleitend heißt, eine Enteignung. Die Beteiligten waren sich danach darüber klar, dass die Gemeinde die Grundstücke der H im Wege der Enteignung an sich bringen werde, wenn es nicht zu einer Einigung käme. Unter solchen Umständen hängt die Entstehung eines Rechtsverhältnisses und damit die einer Vergleichsgebühr nicht mehr davon ab, ob die Beteiligten es zum Erlaß oder mindestens zur Auslegung eines Bebauungsplans kommen lassen, bevor sie sich endgültig einigen.
4. Der Vertrag vom 20. 6. 1974 hat ferner, wie das Berufungsgericht rechtsbedenkenfrei ausgeführt hat, einen Streit und/oder eine Ungewissheit über dieses Rechtsverhältnis beseitigt. Dafür ist es, anders als die Revision meint, unwesentlich, dass zwischen den Beteiligten weder Streit noch Ungewissheit über die Erforderlichkeit und Rechtmäßigkeit der Sanierungsmaßnahmen geherrscht hat. Insbesondere aus der von der Revision angeführten Berufungsbegründung der Beklagte geht hervor, dass unterschiedliche Vorstellungen und Wertungen über die Entschädigung und die zeitliche Durchführung der Verlagerung des Werks bestanden. Allein die Beilegung dieser der Verfügung der Parteien unterliegenden Streitpunkte rechtfertigt es, auch insoweit von einem Vergleich zu sprechen (vgl. auch BGH, NJW 1972, 2265 = LM §313 BGB Nr. 56).
5. Entgegen der Meinung der Revision hat das Berufungsgericht die Höhe der Vergleichsgebühr rechtlich zutreffend dem unbestrittenen Betrag des vollen Streitwertes entnommen. Diese Auffassung entspricht der allgemeinen Meinung. Der Gegenstand, aus dessen Wert sich die Vergleichsgebühr berechnet, ist nicht die nach dem Vergleich zu erbringende Leistung, sondern das Rechtsverhältnis, über das der Streit oder die Ungewissheit bestanden hat, die der Vergleich beseitigt (Senat, NJW 1964, 1523 = LM § 98 ZPO Nr. 2 = AnwB1 1964, 204; vgl. auch Riedel-Sußbauer, BRAGO, 4. Aufl., § 23 Rdnr. 2).