Schadensersatzprozess

Zur Anwendung des § 287 ZPO in Schadensersatzprozessen gegen steuerliche Berater.

Anmerkung: Mit der vorliegenden Entscheidung behandelt der BGH zum zweiten Male im selben Jahr die Frage der Beweislast in Schadensersatzprozessen gegen steuerliche Berater. In der Praxis ging man vielfach von dem oft nachgebeteten Satz aus, der Kläger, der Schadensersatzansprüche geltend mache, habe die schuldhafte Pflichtverletzung des Beklagten, den Eintritt des Schadens, den ursächlichen Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen und die Schadenshöhe zu beweisen. Eine solch undifferenzierte Betrachtungsweise wird dem reichgegliederten Haftungssystem des BGB nicht gerecht. Der BGH hat bereits in einer anderen Entscheidung ausgesprochen, der steuerliche Berater sei dafür beweispflichtig, dass er eine sich aus den Umständen ergebende Hinweispflicht erfüllt habe. Im vorliegenden Fall war zu entscheiden, wer die Beweislast trägt, wenn durch verspätete Abgabe einer Steuererklärung dem Mandanten ein Schaden erwächst. Dabei spielte der Begriff der positiven Forderungsverletzung eine entscheidende Rolle.

Dieser Begriffsbildung lag ursprünglich der Gedanke zugrunde, dass sich der Kreis der denkbaren Vertragsverletzungen nicht auf die Fälle der zeitweise oder endgültigen Nichtleistung beschränkt, sondern dass diesen negativen Vertragsverletzungen die Fälle gegenübergestellt werden müssen, in denen der Schuldner durch eine positive Handlung den Vertragszweck gefährdet. Später wurde der Unterschied darin gesehen, dass die Vorschriften über Verzug und Unmöglichkeit die Verletzung vertraglicher Hauptpflichten betreffen, während als positive Vertragsverletzung nur die Zuwiderhandlung gegen vertragliche Nebenpflichten anzusehen sei. Von anderer Seite wird diese begriffliche Abgrenzung für ungenügend angesehen; es wird darauf abgestellt, ob es sich bei der verletzten Pflicht um eine Leistungs- oder Schutzpflicht handelt. Vielfach wird auf eine umfassende Definition überhaupt verzichtet und der Ausdruck positive Vertragsverletzung als eine Sammelbezeichnung für alle diejenigen Fälle verwandt, in denen der Natur der Sache nach eine Schadensersatzleistung geboten ist, in denen es aber an einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage für einen Schadensersatzanspruch fehlt

Der BGH hat davon abgesehen, diesen Meinungsstreit zu entscheiden, er konnte sich mit dem Hinweis begnügen, dass die Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung regelmäßig eine Haupt- und Leistungspflicht ist und dass daher nach keiner der verschiedenen, im Schrifttum vertretenen Theorien die Verletzung dieser Pflicht unter den Begriff der positiven Vertragsverletzung fällt. Kommen aber die Vorschriften über die Rechtsfolgen des Verzugs und der verschuldeten Unmöglichkeit zur Anwendung, dann trifft nach der ausdrücklichen Anordnung des Gesetzgebers die Beweislast den steuerlichen Berater.

Die Rechtslage wäre im konkreten Fall auch nicht anders zu beurteilen gewesen, wenn der Senat die Grundsätze über die Rechtsfolgen der positiven Forderungsverletzung angewandt hätte. Während nach der Rechtsprechung des RG der Anspruchsteller grundsätzlich alle Voraussetzungen der positiven Vertragsverletzung, also auch das Verschulden des, wird im Schrifttum weitgehend eine Anwendung der §§ 282, 285 befürwortet. Zum gleichen Ergebnis kommen diejenigen, die die Berechtigung des Begriffs der positiven Forderungsverletzung leugnen und die bisher unter dieser Bezeichnung behandelten Fälle als solche der unmöglichkeit ansehen. Nach der Rechtsprechung des BGH trägt der in Anspruch Genommene jedenfalls insoweit die Beweislast, als es sich um Umstände handelt, die in seinem Gefahrenbereich liegen. Von diesem Gedanken ausgehend, musste auch im vorliegenden Fall dem Beklagten der Beweis dafür auferlegt werden, dass er zu einer rechtzeitigen Fertigstellung und Einreichung der Steuererklärungen nicht imstande war. Die objektive Vertragswidrigkeit des Verhaltens des Beklagten - die verspätete Anfertigung der Jahresabschlüsse und der Steuererklärungen - stand hier ebenso fest wie die Ursächlichkeit dieses Verhaltens für den eingetretenen Schaden. Streit herrschte lediglich darüber, ob er durch von ihm unverschuldete Umstände an der ordnungsgemäßen und fristgerechten Ausführung der ihm übertragenen Arbeiten gehindert war. Es wäre mit einer sachgerechten Interessenabwägung nicht zu vereinbaren, wenn dem Kläger zugemutet worden wäre, diejenigen Umstände aufzuklären, die den Beklagten an der ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Vertragspflichten gehindert haben könnten. Der steuerliche Berater wird dadurch nicht in unbilliger Weise belastet. Es ist ihm, wenn irgendwelche Schwierigkeiten auftreten, in der Regel unschwer möglich, eine klare Beweislage zu schaffen, so zum Beispiel dadurch, dass er den Mandanten schriftlich auf fehlende Unterlagen hinweist. Auf der anderen Seite wäre aber der Mandant überfordert, wenn er etwa den Nachweis erbringen müsste, dass der Berater bestimmte Unterlagen, die er für seine Arbeiten benötigte, vom Mandanten nicht angefordert habe.

Der Schaden des Klägers bestand vor allem darin, dass die Besteuerungsgrundlagen für die Einkommenssteuer- und damit auch für die Kirchensteuer, die Ergänzungsabgabe und die Gewerbesteuer - vom Finanzamt geschätzt worden sind. In erstinstanzlichen Urteilen wird gelegentlich die Ansicht vertreten, die Tatsache der Schätzung indiziere noch keinen Schaden; der Mandant müsse darlegen und beweisen, inwieweit die Schätzung von den objektiv zutreffenden Zahlen abweiche. Diese Ansicht ist verfehlt. Da es sich nicht um den Haftungsgrund, sondern um die Entstehung und Höhe des Schadens handelt, ist § 287 ZPO maßgebend. Ein voller Beweis kann daher in dieser Hinsicht vom Kläger nicht verlangt werden; es genügt vielmehr eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Dabei darf die Erfahrungstatsache nicht unbeachtet bleiben, dass die Finanzämter bei der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen nicht kleinlich sind; sie lassen sich von der einleuchtenden und rechtlich unbedenklichen Erwägung leiten, dass derjenige, der seine steuerlichen Pflichten verletzt hat, nicht besser gestellt werden darf als der ordentliche Steuerpflichtige. Dass die geschätzte Steuer hinter der tatsächlich geschuldeten zurückbleibt, wird daher eine seltene Ausnahme, das Gegenteil die Regel sein.

Im Allgemeinen wird es einem Steuerpflichtigen schwerfallen, exakt nachzuweisen, dass eine Veranlagung aufgrund der zutreffend ermittelten Werte zu einer geringeren Steuerbelastung geführt hätte als die Schätzung. Denn das Finanzamt greift ja vor allem dann zur Schätzung, wenn ihm infolge fehlender beweiskräftiger Unterlagen eine zuverlässige Feststellung der Besteuerungsgrundlagen unmöglich ist; wenn das tatsächliche Einkommen im Besteuerungsverfahren nicht zu ermitteln ist, wird dies auch im Zivilprozess nicht möglich sein. In einem solchen Fall bleibt dem Gericht meist nichts anderes übrig, als ebenfalls zur Schätzung zu greifen.

Im vorliegenden Fall lagen die Verhältnisse für den Steuerpflichtigen günstiger. Er konnte auf einen Jahresabschluss verweisen, den der steuerliche Berater selbst angefertigt hatte und der lediglich infolge Fristversäumnis nicht zur Grundlage der Besteuerung gemacht werden konnte. Für diese Fallgestaltung stellt die Entscheidung den wichtigen Grundsatz auf, dass der Berater sich den von ihm selbst gefertigten Abschluss entgegenhalten lassen muss; will er geltend machen, dass die von ihm errechneten Zahlen unrichtig seien und vom Finanzamt nicht anerkannt worden wären, dann muss er dies substantiiert darlegen und beweisen.