Scheidungsvereinbarung
Berät ein Rechtsanwalt Eheleute beim Abschluss einer Scheidungsvereinbarung, in der der eine Teil dem anderen verspricht, ihren Kindern bestimmte Vermögenswerte zuzuwenden, so können diesen gegen den Anwalt unmittelbar Ersatzansprüche erwachsen, wenn die Vereinbarung wegen seines Verschuldens nichtdurchsetzbar ist.
Zum Sachverhalt: Der Kläger verlangt von dem Beklagten Schadensersatz wegen Verletzung von Anwaltspflichten. Der Beklagte vertrat den Vater des Klägers in dessen Ehescheidungsverfahren. Im Januar 1972 trafen der Vater und die Mutter des Klägers in der Praxis des Beklagten eine von diesem ausgearbeitete Scheidungsvereinbarung, in deren § 6 folgendes bestimmt war:
Bezüglich des Hauses vereinbaren hiermit die Parteien, dass der Hälfteanteil von Frau M auf die 3 Kinder zu gleichen Teilen überschrieben wird. Herr M verpflichtet sich, seinen Hälfteanteil nicht zu veräußern, sondern lediglich den jetzigen ehelichen Kindern zu vermachen. Hierüber soll nach rechtskräftiger Scheidung unverzüglich beim Notar ein entsprechender notarieller Vertrag abgeschlossen werden. Herr M verpflichtet sich weiterhin, ab Rechtskraft der Scheidung Frau Mim Innenverhältnis von allen Verbindlichkeiten, die mit dem Haus oder dem Hausbau zusammenhängen, freizustellen ...
Im Februar 1972 wurde die Ehe der Eltern des Klägers geschieden. Nach dem Ausspruch der Scheidung verzichtete der Beklagte namens des Vaters des Klägers ebenso wie der Prozessbevollmächtigte der Mutter auf Rechtsmittel gegen das Scheidungsurteil. Die Mutter des IC1. weigert sich nun, ihren Miteigentumsanspruch auf den Kläger und dessen Geschwister zu übertragen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht ihr stattgegeben. Die - zugelassene - Revision des Beklagten wurde zurückgewiesen.
Aus den Gründen: I. Das Berufungsgericht ist der Auffassung, der Beklagte habe seine Aufklärungs- und Überwachungspflicht aus dem Anwaltsvertrag auf jeden Fall dadurch fahrlässig verletzt, dass er den Vater des Klägers nicht darüber belehrt habe, die notarielle Beurkundung des Verpflichtungsgeschäfts aus § 6 der Vereinbarung müsse zumindest noch vor der rechtskräftigen Scheidung erfolgen, um eine auf die Übereignung des Hälfteanteils gerichtete wirksame Verpflichtung der Mutter des Klägers zu erreichen. Eine weitere Pflichtverletzung liege darin, dass er sich nicht vor Abgabe der Rechtsmittelverzichtserklärung im Scheidungstermin vergewissert habe, ob die notarielle Beurkundung inzwischen vorlag und vollzogen war. Sein Verhalten sei für den dem Kläger entstandenen Schaden ursächlich. Diesem stehe auch der Anspruch auf Ersatz des aus der Pflichtverletzung entstandenen Schadens zu, obwohl nicht er, sondern sein Vater Vertragspartner des Beklagten gewesen sei. Der Anwaltsvertrag sei nämlich, soweit er die Interessenwahrnehmung des Vaters des Klägers bezüglich der in § 6 der Scheidungsvereinbarung getroffenen Regelung betraf, mit Schutzwirkung zugunsten des Klägers ausgestaltet gewesen.
II. Diese Ausführungen halten gegenüber den Rügen der Revision der rechtlichen Nachprüfung stand.
1. Das Berufungsgericht unterstellt zugunsten des Beklagten, dass dieser, wie er behauptet hat, den Vater des Klägers über die Formbedürftigkeit des § 6 der Vereinbarung belehrt habe. Wenn es diese Belehrung nicht für ausreichend hält, sondern von dem Beklagten mehr verlangt, so ist das rechtlich nicht zu beanstanden. Entgegen der Ansicht der Revision überspannt das Berufungsgericht nicht die Pflichten des Beklagten aus dem Anwaltsvertrag, wenn es ihn auch für verpflichtet ansah, den Vater des Klägers darauf hinzuweisen, dass die in § 6 niedergelegte Vereinbarung nur dann rechtlich gesichert und damit durchsetzbar sei, wenn wenigstens das Verpflichtungsgeschäft bereits vor rechtskräftigem Abschluss des Ehescheidungsverfahrens (hier: vor Abgabe der Rechtsmittelverzichtserklärung) notariell beurkundet oder eine entsprechende Vereinbarung in einen gerichtlichen Vergleich aufgenommen wurde (§ 127a BGB). Denn ein Rechtsanwalt muss bei der Wahrnehmung der ihm anvertrauten Interessen jeweils den sichersten Weg wählen, um den erstrebten Erfolg zu erreichen (zuletzt Senat, VersR 1975, 540 [541] = AnwB1 1975; 359 [361] rn. w. Nachw.). Dazu gehört, dass er dem Mandanten, soweit dieser nicht unzweideutig auf den Rat verzichtet, grundsätzlich alle diejenigen Schritte anrät, die am sichersten zu diesem Ziel führen; zugleich muss er alle Bedenken, zu denen die Sachlage Anlaß gibt, mit ihm erörtern (BGH, NJW 1961, 601 = VersR 1961, 134 [135]).
Berät daher ein Rechtsanwalt seinen Mandanten über Rechtsgeschäfte, die nur unter Einhaltung einer bestimmten Form rechtswirksam abgeschlossen werden können, so genügt er im allgemeinen seiner Verpflichtung aus dem Anwaltsvertrag nicht mit dem einfachen Hinweis auf die Formbedürftigkeit. Er muss dem Mandanten vielmehr auch das besondere Risiko deutlich machen, das dieser eingeht, wenn er ohne Beachtung der Form das Rechtsgeschäft abschließt oder die Formwahrung auf einen späteren Zeitpunkt verschiebt. Das gilt jedenfalls dann, wenn dieser schon vorher Leistungen erbringt bzw. auf Rechte oder Rechtspositionen verzichtet (wie hier zu alsbaldiger Konventionalscheidung bereit zu sein) oder sich sonstiger vorhandener Möglichkeiten begibt (wie hier der Möglichkeit der Einlegung eines Rechtsmittels gegen das Scheidungsurteil), die den Vertragspartner zum formgültigen Abschluss des Rechtsgeschäfts veranlassen können. Eine solche Belehrung kann allenfalls dann entbehrlich sein, wenn der Rechtsanwalt erkennt, dass dem Mandanten die Risiken des Geschäfts oder der ins Auge gefassten rechtlichen Gestaltung bekannt sind und er diese auch bei einer Belehrung auf sich nehmen würde (vgl. zu den Notaramtspflichten BGH, VersR 1965, 83, und zu den ärztlichen Aufklärungspflichten Senat, NJW 1976, 363 = Nr. 35 zu § 823 [Aa] BGB = VersR 1976, 293 [294]). Doch braucht dieser Frage hier nicht weiter nachgegangen zu werden, da der Beklagte nicht geltend gemacht hat, dass diese Voraussetzung im Streitfall vorgelegen hat.
2. Es ist ferner rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht dem Kläger gegen den Beklagten Schadensersatzansprüche aus schuldhafter Vertragsverletzung zuerkennt, obwohl er nicht dessen Vertragspartner war.
a) Dabei kann dahinstehen, ob - wie das Berufungsgericht meint - hier die Voraussetzungen für die Annahme eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, aus dem ein solcher Anspruch entstehen könnte, vorliegen.
aa) Dafür sprechen könnte allerdings, dass Gläubiger des Anwaltsvertrages der Vater des Klägers war, der diesem gegenüber Fürsorge- und Obhutspflichten zu erfüllen hatte (vgl. BGHZ 61, 227 [233] = Nr. 17/18/19 zu § 558 BGB = NJW 1973, 2059). Problematisch ist hier auch nicht die in den meisten Fällen, in denen die Rechtsprechung bisher einem Vertrag Schutzwirkungen zugunsten Dritter beigemessen hat, zu beantwortende Frage, ob für den Schuldner erkennbar Dritte bei einer Verletzung des Vertrages Schaden erleiden konnten. Bereits aus dem Wortlaut des § 6 der vom Beklagten ausgearbeiteten Scheidungsvereinbarung ergab sich nämlich, dass insoweit überhaupt nur die Kinder begünstigt waren und daher nur sie geschädigt werden konnten, wenn diese Vereinbarung keinen rechtlichen Bestand hatte.
Fraglich ist hier nur, wieweit die Schutzwirkungen dieses Vertrages zugunsten der Kinder reichen, insbesondere, ob diesen ein eigener Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten im Falle einer Vertragsverletzung zustehen kann. Dabei wäre dann gleichgültig, ob die Rechtsstellung der Kinder im Wege ergänzender Vertragsauslegung aus dem Vertrag abgeleitet oder auf § 242 BGB gestützt wird (vgl. BGHZ 56, 269 [273] = NJW 1971, 1931 m. w. Nachw.; Senat, NJW 1975, 977 = VersR 1975, 522 [523]). Jedoch erlaubt der Anwaltsvertrag von seinem Wesen und seiner Struktur her nur in seltenen Fällen eine solche, unmittelbar Schadensersatzansprüche auslösende Einbeziehung Dritter in die aus dem Vertrag bestehenden Pflichten. Denn er ist auf ein Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Anwalt aufgebaut und daher vom Inhalt her streng zweiseitig ohne Außenwirkung angelegt (vgl. Lammel, in: Gitter-Huhn u. a. , Vertragsschuldverhältnisse, S. 283). Interessen Dritter am Ergebnis der anwaltlichen Tätigkeit können daher im Allgemeinen nicht zu einer Haftungserweiterung des Rechtsanwalts führen, selbst wenn diese Personen dem Rechtsanwalt benannt oder gar bekannt sind. Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen muss aber jedenfalls dann gemacht werden, wenn der Rechtsanwalt Verträge ausarbeitet, nach denen gewisse Rechte gerade nicht ein Mandant, sondern von vornherein nur ein im Vertrag bezeichneter Dritter erlangen soll. Dies gilt vor allem dann, wenn dieser Dritte - wie im Streitfalle - von dem Mandanten vertreten wird.
Nun hat zwar die Rechtsprechung den außerhalb des Vertrages stehenden Dritten Ersatzansprüche aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter im allgemeinen nur zuerkannt, wenn es um den Ersatz von Personen- oder Sachschaden und deren Folgeschäden ging (BGHZ 49, 350 [355] = Nr. 11 zu § 538 BGB NJW 1968, 885; BGH, NJW 1955, 257 = Nr. 3 zu § 20 Preuß. DVG = VersR 1955, 77; vgl. auch Gernhuber, in: Festschr. f. Nikisch, S. 274; Lorenz, JZ 1966, 143). Dem Dritten kann aber durchaus auch ein eigener Anspruch auf Ersatz reiner Vermögensschaden, die ihmdurch Verletzung vertraglicher Nebenpflichten entstanden sind, zustehen (vgl. Senat, NJW 1968, 1929 = VersR 1968, 889 [891]; BGH, NJW 1975, 344 = vorstehend Nr. 48). Bei der Grenzziehung muss dann allerdings ein besonders strenger Maßstab angelegt werden (vgl. RGRK, 12. Aufl., § 328 Rdnr. 82); ohnehin ist der Kreis derjenigen Personen, auf die die Schutzwirkung eines Vertrages erstreckt wird, eng zu ziehen, um zu vermeiden, dass die Grenzen zwischen Vertrags- und Deliktshaftung in unzuträglicher Weise verwischt werden (BGHZ 66, 51 [57] = vorstehend Nr. 52 NJW 1976, 712; Senat, NJW 1974, 1189 = VersR 1974, 860; insoweit in BGHZ 62, 243, nicht abgedruckt). Macht ein Dritter Ansprüche auf Ersatz von Vermögensschäden geltend, so muss weiterhin besonders darauf geachtet werden, dass der Schuldner grundsätzlich reine Reflexwirkungen seines Verhaltens auf Dritte nicht im Wege des Schadensersatzes auszugleichen braucht.
bb) All dies hat jedoch angesichts der besonderen Gestaltung des hier vorliegenden Falles nicht das Gewicht, die Auffassung des Berufungsgerichts, hier sei der Kläger in die Schutzwirkung des Anwaltsvertrages einbezogen gewesen, für rechtlich unrichtig zu erklären. Nicht ganz zu Recht beruft sich demgegenüber die Revisionserwiderung auf das Urteil des Senats vom 6. 7. 1965 (NJW 1965, 1955 = VersR 1965, 997 = JZ 1966, 141), in welchem bereits einmal der an einem Anwaltsvertrag nicht beteiligten Tochter des Mandanten Schadensersatzansprüche zugebilligt wurden. Der Senat hatte Bedenken, den damaligen Sachverhalt in die Gruppe der Verträge mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, so wie sie verstanden wird, einzuordnen (krit. zu diesem Urteil Lorenz, JZ 1966, 143; Böhmer, MDR 1966, 468). In jenem Fall waren nämlich keine bloßen Nebenpflichten verletzt, wie dies an sich bei Verträgen, denen man Schutzwirkung zugunsten Dritter beilegte, allein in Betracht kommt (vgl. BGH, NJW 1975, 344 = vorstehend Nr. 48). Es ging vielmehr darum, ob die Haftung des Anwalts gegenüber der Tochter des Mandanten, also des Dritten, sogar aus der Verletzung spezieller Leistungspflichten hergeleitet werden konnte (vgl. Staudinger-Kaduk, BGB, 10./11. Aufl., Vorb. § 328 Rdnr. 76b). Im Streitfalle ist dies jedoch ersichtlich anders.
b) Die Anspruchsberechtigten des Klägers könnte sich auch mit der Rechtsfigur der Drittschadensliquidation begründen lassen, zumal ihr Anwendungsbereich dem des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zumindest nahekommt, wenn nicht sich mit ihm überschneidet (vgl. BGHZ 49, 350 [355] = Nr. 11 zu § 538 BGB = NJW 1968, 885). Zu denken wäre jedenfalls daran, dass der Vater des Klägers als Vertragspartei des Beklagten berechtigt gewesen wäre, den Schaden seines Sohnes zu liquidieren. Darin, dass er als dessen gesetzlicher Vertreter die Klage erhoben hat, liegt zumindest eine Abtretung dieses Anspruches, die der nunmehr bald volljährig werdende Kläger auch stillschweigend annehmen konnte.
c) Wie auch immer der dem Streitfall zugrunde liegende Sachverhalt rechtsdogmatisch einzuordnen sein mag, so muss nach der Auffassung des Senats das Ergebnis jedenfalls sein, dass der Klägerdieses Rechtsstreits unmittelbar den beklagte Rechtsanwalt auf Ersatz des ihm durch ungenügende Belehrung seines Vaters über die Verwirklichung des von ihm entworfenen § 6 entstandenen Schadens in Anspruch nehmen kann. Eine andere Entscheidung wäre mit dem Sinn und Zweck des hier zu beurteilenden Anwaltsvertrages und des dem Beklagten bekannten Eltern-Kind-Verhältnisses zwischen seinem Mandanten und dem Kläger nicht zu vereinbaren.