Schuldumschaffung

Es ist anerkannt, dass nicht schon jeder Standesverstoß eines an Standesregeln gebundenen Vertragsteils den Vertrag sittenwidrig und nichtig macht. Regelmäßig bedarf es zusätzlicher besonderer Umstände, die einem standeswidrigen Verhalten den Stempel der Sittenwidrigkeit aufdrücken. Bei einem Rechtsanwalt müssen strenge Maßstäbe an seine Standespflichten angelegt werden.

Als zusätzliche Umstände, die geeignet sind, die Sittenwidrigkeit des standeswidrigen Verhaltens des S beim Vertragsabschluss zu begründen, kommt hier folgendes in Betracht: Nach dem in der Revisionsinstanz zu unterstellenden Sachverhalt diente der Vertrag vom 2./ 3. 10. 1979 dem damaligen Rechtsanwalt S dazu, die aus seiner Veruntreuung des Geldes ihm drohenden Nachteile zunächst abzuwenden und den Kläger von der Geltendmachung von Ersatzansprüchen abzuhalten. Nach dem Vorbringen des Klägers versuchte S, ihn mit allen Mitteln zu einer Anlage des Betrages von 100000 DM zu veranlassen, bis er dem ständigen Drängen des S schließlich nachgab. Das Berufungsgericht hält es für möglich, dass der Kläger davon ausging, mit dem Abschluss des Vertrages gewähre er S lediglich eine Art Stundung. Der Kläger hat nach seinem Vorbringen auch erst am 10. 2. 1981, als er in der Strafsache gegen S als Zeuge vernommen wurde, erfahren, dass der Betrag von 100000 DM nicht - wie er bis dahin angenommen hatte - am 17. 8. 1979, sondern schon Ende Juni 1979 bei S eingegangen war. Im Vertrag vom 2./3. 10. 1979 wird dem Kläger zudem kein näherer Aufschluss über die Verwendung des Geldes durch S gegeben. Es heißt in § 2 lediglich, der Kläger habe S zur treuhänderischen Verwahrung in einem Großdepot 100000 DM übergeben. Die ganze Transaktion hat S dem leichtgläubigen Kläger durch den Zinssatz von 17% pro Monat, der anstößig ist und allein schon das Verdikt der Sittenwidrigkeit nahe legt, schmackhaft gemacht. Bei diesen Umständen handelt es sich auch nicht nur um solche, die lediglich zu einer Anfechtbarkeit des Vertrages nach § 123 BGB - diese Vorschrift geht als Spezialnorm grundsätzlich § 138 BGB vor - führen.

Es ist allerdings nicht zu verkennen, dass der Kläger am 5. 10. 1979 mit S einen zweiten Vertrag über die Anlage von weiteren 40000 DM geschlossen und ihm diesen Betrag ausgehändigt hat. Daraus folgt aber noch nicht, dass es dem Kläger bei dem hier zu beurteilenden Vertrag vom 3. 10. 1979 allein um eine vorteilhafte Geldanlage zu hohen Zinsen gegangen wäre und die oben genannten, auf eine Sittenwidrigkeit hindeutenden Umstände für ihn keine oder nur eine untergeordnete Rolle gespielt hätten. Es liegt vielmehr nahe, dass die Vorspiegelungen und das unlautere Vorgehen des S beim Abschluss des ersten Vertrages am 5. 10. 1979 noch weiterwirkten.

Nach alledem lässt sich nicht ausschließen, dass das Berufungsgericht, wenn es den Sachverhalt unter dem Blickwinkel des § 138 BGB tatrichterlich gewürdigt, die Absichten und Beweggründe des S berücksichtigt und die erforderliche Gesamtbeurteilung des Geschäfts anhand aller Umstände des Einzelfalles vorgenommen hätte, zu einem dem Kläger günstigeren Ergebnis gelangt wäre. Demnach kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben, sondern muss aufgehoben werden. Die Sache ist zur erneuten Beurteilung durch den Tatrichter an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Für die erneute Verhandlung und Entscheidung wird auf folgendes hingewiesen:

Auch wenn S das für den Kläger eingegangene Geld beim Abschluss des Vertrages vom 3. 10. 1979 noch nicht veruntreut gehabt haben sollte, schließt das angesichts der sonstigen Umstände die Annahme der Sittenwidrigkeit des Schuldumschaffungsvertrages nicht aus. Ein Rechtsanwalt hat Mandantengelder grundsätzlich unverzüglich weiterzuleiten. Die Verletzung dieser Pflicht stellt einen groben Verstoß gegen das anwaltliche Standesrecht dar. Dieser wiegt hier umso schwerer, als S das Geld fünf Wochen nach Eingang noch nicht an den Kläger weitergeleitet hatte.

Das Berufungsgericht erhält auch Gelegenheit, seine Auffassung zu überprüfen, S und der Kläger hätten dem Vertrag vom 2./3. 10. 1979 die Wirkungen einer Schuldumschaffung beigelegt. Wegen der weitreichenden Folgen einer Novation muss ein dahingehender Vertragswille deutlich erkennbar zum Ausdruck kommen; er kann bei einer Darlehensvereinbarung nach § 607II BGB nicht vermutet werden. Wenn Zweifel an einer Schuldumschaffung übrig bleiben, ist regelmäßig nur von einem Abänderungsvertrag auszugehen. Das Berufungsgericht hat es für möglich gehalten, dass der Vertrag vom 3. 10. 1979 nach den Vorstellungen des Klägers lediglich eine Stundung seines Anspruchs auf Herausgabe des von S entgegengenommenen Geldes enthielt. In diesem Zusammenhang kann für das Verständnis der Erklärungen des Klägers von Bedeutung sein, dass nach seinem Vorbringen der von ihm beanspruchte Geldbetrag im Zeitpunkt des Vertragsschlusses für S nicht verfügbar war und dieser dem Kläger keine andere Wahl ließ, als darin einzuwilligen, dass die nach dem Anwaltsvertrag geschuldete Auszahlung des Geldes zeitlich hinausgeschoben wurde. Das Berufungsgericht wird erneut zu beurteilen haben, ob bei einer solchen Sachlage davon ausgegangen werden kann, der Kläger habe eindeutig den alten Schuldgrund durch einen neuen ersetzen wollen. Das erwähnte Vorbringen des Klägers kann auch für die Frage erheblich sein, ob seine Erklärungen dahin zu verstehen sind, dass der Beklagte durch eine schuldumschaffende Abrede aus seiner durch den Anwaltsvertrag begründeten Haftung für die Herausgabe der Mandantengelder entlassen werden sollte. Eine derartige Abmachung ist an sich möglich. Es ist durch Vertragsauslegung zu ermitteln, ob in Gesamtschuldverhältnissen die Novation mit Einzel- oder Gesamtwirkung verbunden sein soll.

Das Berufungsgericht wird ferner in Erwägung zu ziehen haben, dass ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus positiver Vertragsverletzung selbst dann bestehen kann, wenn im Vertrag vom 3. 10. 1979 eine Schuldumschaffung vereinbart und der Beklagte aus seiner Haftung für die Weiterleitung der Mandantengelder entlassen worden ist. S traf aus dem Anwaltsvertrag die Nebenpflicht, den Kläger über die ihm nachteiligen Folgen einer Novation, durch die der Beklagte von seiner Haftung für die Auszahlung der eingegangenen Mandantengelder befreit wurde, zu belehren. Für eine schadensursächliche Verletzung des ursprünglichen Anwaltsvertrages durch S müsste nach den obigen Grundsätzen auch der Beklagte einstehen.