Strafanzeige

Eine Vereinbarung kann auch im Hinblick darauf als sittenwidrig zu beurteilen sein, dass eine psychische Zwangslage oder persönliche Verstrickung ausgenutzt wird.

Zum Sachverhalt: Der Beklagten lernte im Herbst 1985 die Eltern der Kläger kennen, als er auf ihrem Hof die Hundemeute seines Schleppjagdvereins unterbrachte. In der Folgezeit entwickelte sich ein freundschaftliches Verhältnis. Im Juni 1986 gewährte der Beklagten den Eltern der Kläger ein Darlehen über 72000 DM, im November 1986 ein weiteres über 9300 DM. Teilweise erfolgten Rückzahlungen. Im Mai 1987 löste der Beklagten für den Vater der Kläger zwei Wechsel über insgesamt 9000 DM ein. Hiernach betrug die Schuld insgesamt noch rund 71200 DM einschließlich der Zinsen. Erstmals im Juli 1986 nahm der Beklagten die damals 14jährige Kläger auf eine mehrtägige Reise mit. Dabei kam es zu sexuellen Handlungen an ihr. Weitere Reisen dieser Art folgten im August, Oktober und November 1986 sowie im Februar und April 1987. Am 22. 5. 1987 wurden durch anwaltlichen Schriftssatz Strafantrag und Strafanzeige gegen den Beklagten wegen sexuellen Missbrauchs und Vergewaltigung der Kläger erstattet. Diese bestätigte die Vorwürfe bei ihrer zeugenschaftlichen Vernehmung gegenüber dem ermittelnden Staatsanwalt. Ein in dem Ermittlungsverfahren eingeholtes aussagepsychologisches Gutachten kam zu dem - unter dem 6. 7. 1987 vorab zu den Akten mitgeteilten - Ergebnis, dass die Angaben der Kläger glaubwürdig seien. Durch Schreiben vom 20. 7. 1987 teilten die Anwälte der Kläger und ihrer Eltern dem Beklagten mit, dass gegen ihn Strafanzeige erstattet sei. Zugleich meldeten sie Schadensersatzansprüche der Kläger an. Damit verbunden war die Aufforderung, bis zum 31. 7. 1987 mitzuteilen, ob einer außergerichtlichen Regelung der Schadensersatzfrage zugestimmt werde. Daraufhin kam es zu mehrstündigen Verhandlungen der Anwälte beider Seiten, die zu einer schriftlichen Vereinbarung vom 6. 8. 1987 führten, demzufolge der Beklagten den Eltern ihre Schulden erließ und sich verpflichtete, an die Kläger 80000 DM in monatlichen Raten von 5000 DM zu zahlen. Die Eltern der Kläger und diese selbst verpflichteten sich, die Strafanzeige und den Strafantrag zurückzunehmen und insbesondere den Vorwurf der Vergewaltigung zu widerrufen. Weiter verpflichteten sie sich, über diesen Vergleich und den Sachverhalt gegenüber jedermann unbedingtes Stillschweigen zu bewahren; letzteres wurde als Grundlage des Vergleiches gekennzeichnet. Ob dem Beklagten bei Abschluss des Vergleichs das Ergebnis des in dem Ermittlungsverfahren eingeholten Glaubwürdigkeitsgutachtens bekannt war, ist streitig. Nach Rücknahme des Strafantrags und der Strafanzeige und des darin erhobenen Vorwurfs der Vergewaltigung stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren am 16. September 1987 ein. Bis dahin waren an die Kläger zwei Raten ä 5000 DM gezahlt. Unter dem 28. 9. 1987 teilten die Anwälte des Beklagten mit, dass sich dieser an die Vereinbarung vom 6. 8. 1987 nicht mehr gebunden fühle, da die Stillschweigensverpflichtung nicht eingehalten worden sei; vorsorglich wurde die Vereinbarung auch angefochten und der Rücktritt von ihr erklärt. Die Kläger steht auf dem Standpunkt, dass der Beklagten aus der Vereinbarung vom 6. 8. 1987 zur Zahlung weiterer 70000 DM an sie verpflichtet sei; die Stillschweigensverpflichtung sei eingehalten worden, der seinerzeit der Staatsanwaltschaft mitgeteilte Sachverhalt entspreche der Wahrheit. Der Beklagten macht dagegen u. a. geltend, dass die Vereinbarung sittenwidrig und damit nichtig sei. Man habe seine Furcht vor gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Ruin bei Durchführung von Gerichtsverfahren ausgenutzt. Eine Vergewaltigung habe es nicht gegeben. Er habe der Kläger lediglich einige Male mit ihrem Einverständnis Schläge auf das entblößte Gesäß versetzt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht hat ihr stattgegeben. Mit seiner Revision hält der Beklagten daran fest, dass die Vereinbarung vom 6. 8. 1987 sittenwidrig sei. Sein Rechtsmittel führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen: Das Berufsgericht hat die Vereinbarung vom 6. 8. 1987 als rechtswirksam beurteilt.

Mangels eines Austauschverhältnisses vermögensrechtlicher Art sei sie nicht wucherisch i. S. des § 138 II BGB. Sie verstoße auch nicht gegen die guten Sitten i. S. von § 138 I BGB. Zum einen sei sie nicht geeignet gewesen, den staatlichen Strafanspruch zu unterlaufen. Die Einstellung des Strafverfahrens sei zwar erstrebt worden, aber nicht sicher vorhersehbar gewesen, da die Entscheidungsfreiheit des Staatsanwalts unberührt geblieben sei. Zum anderen sei der Beklagten bei Eingehung der - wenn auch außergewöhnlich hohen - Entschädigungsverpflichtung nicht anstößig in seiner Entschließungsfreiheit eingeengt gewesen. Zwar habe er sich in der Zwangslage befunden, entweder den Begehrensvorstellungen zu entsprechen oder aber die befürchteten Gerichtsverfahren über sich ergehen zu lassen. Indessen habe er über Tage hinweg die Vor- und Nachteile abwägen können und sich unter anwaltlichem Beistand für diesen Vergleich entschieden, um sich so, wenn das auch seinen Preis gehabt habe, eine Bevorzugung vor jedem normalen Beschuldigten zu verschaffen.

Dieser Beurteilung vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

Für die Beurteilung der Vereinbarung vom 6. 8. 1987 kann offen bleiben, ob die Kläger von dem Beklagten - der dies bestreitet - vergewaltigt worden ist. War das nicht der Fall, ist der Beklagten also mit einer, was die Vergewaltigung angeht, erfundenen Geschichte unter Druck gesetzt worden, gelten die Gründe, aus denen der Senat die Vereinbarung im folgenden als sittenwidrig ansieht, erst recht.

Aber selbst wenn man unterstellt, dass der Beklagten die Kläger vergewaltigt hat, hat die Vereinbarung vom 6. 8. 1987 keinen Bestand. Sie stellt sich vielmehr auch für diesen Fall als Verstoß gegen die guten Sitten dar und ist deshalb gemäß § 138 BGB nichtig. Der Senat ist insoweit in der Beurteilung frei. Ob ein Rechtsgeschäft gegen die guten Sitten verstößt, unterliegt anhand des von dem Berufsgericht festgestellten Sachverhalts der eigenständigen Würdigung des RevGer.

Es kann offen bleiben, ob sich die Nichtigkeit der Vereinbarung vom 6. 8. 1987 unter dem Gesichtspunkt des Wuchers i. S. von § 138 II BGB ergeben kann oder Wucher, wie ihn diese Vorschrift als einen Unterfall der Sittenwidrigkeit behandelt, ein Austauschverhältnis vermögensrechtlicher Art voraussetzt und deshalb hier ausscheidet, weil die von der Kläger und ihren Eltern in der Vereinbarung vom 6. 8. 1987 übernommenen Leistungen, nämlich die Rücknahme von Strafantrag und -anzeige, der Widerruf des Vorwurfs der Vergewaltigung und Stillschweigen gegenüber jedermann, nichtvermögensrechtlicher Natur sind.

Die Vereinbarung vom 6. 8. 1987 ist jedenfalls unter dem allgemeinen Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen die guten Sitten i. S. von § 138I BGB nichtig.

Allerdings ist eine vertragliche Verpflichtung zur Rücknahme eines Strafantrages oder einer Strafanzeige nicht etwa schlechthin sittenwidrig. Die Rücknahme des Strafantrages bei Antragsdelikten ist in § 77d StGB ausdrücklich vorgesehen, unterliegt also von Gesetzes wegen der Dispostitionsbefugnis des Antragstellers und kann deshalb auch Gegenstand einer vertraglichen Verpflichtung sein. Auch die Rücknahme der Strafanzeige bei Amtsdelikten ist einer bindenden Verabredung nicht grundsätzlich entzogen. Mit ihr bringt der Anzeigenerstatter lediglich zum Ausdruck, dass er an der Strafverfolgung - die jedoch Sache des Staatsanwalts bleibt - kein Interesse mehr hat. Sich hierzu zu verpflichten, kann nicht verwehrt sein. Selbst die Eingehung der Verpflichtung zur Rücknahme von Strafantrag und/oder -anzeige gegen Entgelt kann zwar als Handel mit der staatlichen Strafbarkeitsdrohung anstößig sein, muss es aber nicht. Sie ist dann hinzunehmen, wenn die Geldleistung der Sache nach der Schadlosstellung des Opfers oder der Wiedergutmachung an ihm dient. Es verstößt nicht von vornherein gegen das Anstandsgefühl, dieses Interesse auch unter Ausnutzung des Bestrebens der Gegenseite durchzusetzen, nach Möglichkeit nicht bestraft zu werden.

Die Grenze zur Anstößigkeit wird jedoch überschritten, wenn die gegen Entgelt übernommene Verpflichtung zum Stillhalten gegenüber der Strafverfolgungsbehörde bzw. zur Rücknahme der Strafanzeige nicht mehr von dem billigenswerten Streben nach Wiedergutmachung getragen, sondern auf eine gewinnsüchtige Ausnutzung der Situation hinausläuft oder von anderen sachfremden Motiven beherrscht wird. So hat bereits das RG einen Schulderlass als sittenwidrig beurteilt, der dazu dienen sollte, das Stillschweigen des Schuldners über strafbare unzüchtige Handlungen an dessen 7jährigen Sohn und einem minderjährigen Knecht zu erkaufen, und die Sittenwidrigkeit eben damit begründet, dass dem Schuldner für sich selbst aufgrund der Vorfälle ein Ersatzanspruch irgendeiner Art nicht zugestanden habe. Ähnlich liegt es hier, soweit die Vereinbarung vom 6. 8. 1987 einen Schuldenerlass für die Eltern der Kläger vorsieht. Den Eltern stand unter keinem Gesichtspunkt ein Anspruch gegen den Beklagten aus den zugrunde liegenden Vorkommnissen zu.