Straßenverkehrssicherungspflicht

Die Vorschrift des § 839 I 2 BGB ist nicht anwendbar, wenn ein Amtsträger durch eine Verletzung der ihm als hoheitliche Aufgabe obliegenden Straßenverkehrssicherungspflicht einen Verkehrsunfall schuldhaft verursacht (Ergänzung von BGHZ 68, 217 = LM vorstehend Nr. 38 a).

Anmerkung: Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Ehefrau des Klägers befuhr mit dessen VW-Porsche-Pkw den in einem Neubaugebiet liegenden und damals nur teilweise fertiggestellten M-Weg der beklagten Gemeinde. Da die Fahrbahndecke noch fehlte, ragten die Kanaldeckel der bereits verlegten Kanalisation aus dem Straßenniveau heraus. Gegen einen solchen Kanaldeckel stieß das Fahrzeug des Klägers, das dabei beschädigt wurde.

Der Kläger hat von der beklagten Gemeinde wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht Ersatz seines Schadens gefordert. Das Oberlandesgericht hat auf der Grundlage einer Haftung zu Vi der Klage entsprochen (Berufungsurteil veröffentlicht in NJW 1978, 2036).

Die Revision der Beklagte ist erfolglos geblieben.

I. Grundlage war für den Senat eine Verletzung der nach den Vorschriften über die Amtshaftung (§ 839 BGB, Art. 34 GG) zu beurteilenden Straßenverkehrssicherungspflicht.

II. Das Berufungsgericht verneint, dass die Beklagte den Kläger auf einen Schadensersatzanspruch gegen seine Ehefrau als andere Ersatzmöglichkeit im Sinne des § 839 I 2 BGB verweisen kann. Zur Begründung hat es ausgeführt: Zwar habe der Kläger einen mit seiner Frau vereinbarten Haftungsausschluss (Inhalt: bei Kfz-Unfällen hafte nur derjenige dem anderen, der Halter des Unfallfahrzeuges sei) nicht zu beweisen vermocht. Auch schließe der Umstand, dass die Eheleute in einer ungestörten Gemeinschaft lebten, für sich allein Schadensersatzansprüche des einen gegen den anderen aus unerlaubter Handlung nicht aus. Trotzdem führe § 839 12 BGB hier nicht zur Abweisung der Klage; denn es könne dem Kläger nicht zugemutet werden, seine Ehefrau über das Maß hinaus auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, das bei Berücksichtigung der der Beklagte anzulastenden Verursachung und Schuld an dem Unfall auf sie selbst entfalle. Da sich hier die Beteiligungen deckten, habe der Kläger von vornherein gegen die öffentliche Hand einen Ersatzanspruch in Höhe der Quote, die auf sie nach dem Maß der beiderseitigen Verursachung entfalle.

III. Im Ergebnis, aber nicht in der Gesamtheit der Begründung folgt dem der III. ZS.

1. Auch nach Auffassung des Senats kann der Kläger seine Ehefrau in Anspruch nehmen. Auf schuldhafte Pflichtverletzung gestützte Schadenersatzansprüche des einen Ehegatten gegen den anderen seien nicht ausgeschlossen. Die familienrechtliche Beziehung allein bilde für einen Ausschluss keinen zureichenden Grund. Besondere Gründe mit der Folge, ein Schadensersatzverlangen des Klägers gegen seine Ehefrau als unangemessen erscheinen zu lassen (vgl. BGHZ 61, 101 [105] = LM § 1359 BGB Nr. 4), seien nicht festgestellt.

2. Damit stand der Senat - ebenso wie das Berufungsgericht - vor der Frage, ob § 839 I 2 BGB (sog. Subsidiaritäts- oder Verweisungsklausel) dem Klage begehren entgegensteht. Er lässt die Begründetheit der Erwägungen des Berufungsgerichts hierzu dahinstehen und verneint aus anderen Gründen die Anwendung der Verweisungsklausel: Er spricht den Rechtssatz aus, der sich in dem oben vorweggestellten Leitsatz findet (unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung, vgl. u. a. BGHZ 60, 54 = LM § 839 [K] BGB Nr. 32 = NJW 1973, 460). Sein Gedankengang geht im Wesentlichen dahin:

a) In BGHZ 68, 217 = LM vorstehend Nr. 38 a mit Anm. hat der Senat ausgesprochen, dass nach der Entwicklung des Straßenverkehrsrechts zu einem Ordnungsbereich mit eigenständigem Haftungssystem und eigenen haftungsrechtlichen Grundsätzen § 839 I 2 BGB nicht (mehr) anwendbar ist, wenn ein Amtsträger bei der dienstlichen Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr - jedenfalls, soweit er Sonderrechte nach § 35 StVO nicht in Anspruch nimmt - schuldhaft einen Verkehrsunfall verursacht. Eine wesentliche Grundlage dieser Entscheidung bildete der Grundsatz der haftungsrechtlichen Gleichbehandlung im Straßenverkehrsrecht. Im einzelnen sei auf die dortige Anmerkung verwiesen.

Allerdings fuhren die Grundsätze dieses Judikats hier nicht ohne weiteres zu einer Einschränkung der Verweisungsklausel: Die Amtsträger der Beklagte nehmen mit (dem Bau und der Unterhaltung sowie) der Überwachung der Verkehrssicherheit eines öffentlichen Verkehrsweges nicht am allgemeinen Straßenverkehr teil, fur den der erwähnte Grundsatz herausgestellt worden ist. Trotzdem wendet der Senat die Grundsätze von BGHZ 68, 217 = LM vorstehend Nr. 38a auch hier an. Die Gründe: Einmal entspreche die öffentlich-rechtlich gestaltete Amtspflicht zur Sorge für die Verkehrssicherheit inhaltlich der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht. Damit soll offensichtlich an die Erwägung in BGHZ 68, 217 = LM vorstehend Nr. 38 a angeknüpft werden, dass die Amtspflichten (und die Rechte) der Amtsträger im Straßenverkehr den Pflichten (und Rechten) der übrigen Verkehrsteilnehmer entsprechen. Zudem - so führt der Senat weiter aus - steht die Pflicht zur Sorge für die Sicherheit einer öffentlichen Straße in einem engen Zusammenhang mit den Pflichten, die einem Amtsträger als Teilnehmer am allgemeinen Straßenverkehr obliegen: zum reibungslosen Ablauf des Straßenverkehrs sei eine verkehrssichere Straße ebenso notwendig wie die Beachtung der Verkehrsvorschriften durch die Verkehrsteilnehmer und die Benutzung einwandfreier Fahrzeuge. Man könnte hinzufügen: Die Pflichten der Amtsträger, die die Sicherung der Straßen zum Gegenstand haben, treffen mit den Pflichten der Teilnehmer des Straßenverkehrs zusammen, die diese zu sichernden Straßen benutzen. Insofern erhebt sich auch hier die Frage der haftungsrechtlichen Behandlung beider Pflichtigen Teile: im Grundsatz Vorrangigkeit (im Hinblick auf § 839 I 2 BGB) oder Gleichbehandlung?

Im übrigen: Legt man die Konzeption von BGHZ 68, 217 = LM vorstehend Nr. 38 a zugrunde, so erscheint es schwerlich gerechtfertigt für die Anwendung oder Verneinung der Verweisungsklausel danach zu unterscheiden, ob ein Amtsträger als Verkehrsteilnehmer im eigentlichen Sinne, z. B. als Fahrer eines Kraftfahrzeuges oder bei Wahrnehmung der Straßenverkehrssicherungspflicht amtspflichtwidrig einen Schaden zufügt. Man denke auch an folgende Stufen der Beteiligung der öffentlichen Hand durch ihre Amtsträger im Straßenverkehr: Verkehrswidriges Abstellen eines Kraftfahrzeugs (sicherlich im eigentlichen Sinne noch Verkehrsteilnehmer)/verkehrswidriges Abstellen einer Mülltonne auf der Fahrbahn/verkehrswidriges Liegenlassen eines Kanaldeckels auf der Fahrbahn nach Arbeiten am Kanal/verkehrswidriges Auflegen eines Kanaldeckels nach den Arbeiten/Herausstehenlassen des Kanalschachts (anlagebedingt) aus der Fahrbahn ohne besondere Warnungsvorrichtung. Sollte hier differenziert werden - und mit welchem Sachgrund? - und an welcher Stelle? Man denke auch an folgende Nagelprobe: Die Gemeinde (hier Beklagte) macht den ihr am Kanalschacht (Deckel) entstandenen Schaden geltend gegen den Halter (Eigentümer) des Kraftfahrzeugs: Der Klage müsste stattgegeben werden. Der Eigentümer könnte seinen Schaden aber nicht gegen die Gemeinde geltend machen, obgleich die Voraussetzungen einer ursächlichen und schuldhaften Amtspflichtverletzung vorliegen (§ 839 I 2 BGB).

3. Unterdessen hat der III. ZS aus diesem Sachbereich zu weiteren Sachverhalten entschieden: Urteil vom 29. 11. 1979- III ZR 154/78 = VersR 1980, 282 (Unfall verursacht durch aus der Fahrbahn herausragende Schienen einer stillgelegten Straßenbahnstrecke); Urteil vom 10. 7. 1980- III ZR 58/ 79 = LM §823 (Ea) BGB Nr. 64 = NJW 1980, 2194 (Unfall infolge zu hoher Hecke auf einem innerstädtischen Mittelstreifen); Urteil vom 30. 10. 1980- III ZR 80/79 = LM vorstehend Nr. 37 = NJW 1981, 682 (Amtsträger verursacht schuldhaft die Verletzung eines Fußgängers durch Verletzung der Streupflicht);Urt. vom 30. 10. 1980- III ZR 116/79 = LM vorstehend Nr. 38 = VersR 1981, 335 (Amtsträger verursacht schuldhaft die Verletzung eines Fußgängers durch Verstoß gegen die Pflicht, die öffentlichen Gehwege in verkehrssicherem Zustand zu erhalten - Unebenheiten im Plattenbelag).