Streitstand

Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Schiedsgutachten offenbar unrichtig und damit unverbindlich ist, ist der Sach- und Streitstand zugrunde zu legen, der dem Schiedsgutachter unterbreitet worden ist.

Zum Sachverhalt: Die Parteien streiten über die Rechtsverbindlichkeit eines Schiedsgutachtens. Der Kläger stand als Ministerialdirigent in den Diensten der beklagten Bundesrepublik. Er hat eine Reihe von Erfindungen auf dem Gebiet der militärischen Rüstung gemacht, die zu Patenten geführt haben. Die Parteien haben darüber gestritten, ob die Beklagte von diesen Schutzrechten - die sämtlich unterdessen durch Zeitablauf erloschen sind - bei der Durchführung von Rüstungsmaßnahmen Gebrauch gemacht hat. Streitig war auch die Rechtsbeständigkeit der Schutzrechte. Zur Beilegung des Streits schlossen die Parteien im Februar 1968 einen Vertrag, wonach sie ihre Auseinandersetzung durch ein verbindliches Schiedsgutachten zweier Sachverständiger unter Verzicht auf die Einholung eines Obergutachtens abschließend klären lassen wollten. Die Schiedsgutachter sollten auch die Frage der Rechtsbeständigkeit der Patente beurteilen. Falls sie zu der Auffassung gelangten, die Patente seien rechtsbeständig und von der Beklagte benutzt worden, sollte der Kläger der Beklagte die Schutzrechte gegen Zahlung des von den Schiedsgutachtern ermittelten Wertes, höchstens jedoch 500000 DM übertragen. Die Sachverständigen bejahten die Rechtsbeständigkeit der Schutzrechte und deren Benutzung durch die Beklagte Den Wert der Schutzrechte bezifferten sie auf 926862 DM. Die Beklagte erklärte dem Kläger, nach ihrer Ansicht sei das Gutachten offenbar unrichtig und könne deshalb nicht verbindlich sein; sie lehnte Zahlungen ab. Schließlich vereinbarten die Parteien im November 1969, dass der Kläger bis zu seiner Zurruhesetzung die Geltendmachung von Ansprüchen hinausschieben, die Beklagte dagegen sich später nicht auf Verjährung berufen solle. Nach der Versetzung in den Ruhestand hat der Kläger im September 1975 Klage auf Zahlung von 500000 DM, Zug um Zug gegen Übertragung aller noch mit den Patenten verbundenen Rechte erhoben. Die Beklagte hat sich mit offenbarer Unrichtigkeit und daher Unverbindlichkeit des Schiedsgutachtens verteidigt.

LG und Oberlandesgericht haben der Klage stattgegeben. Die Revision der Beklagte führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen: Das Berufungsgericht geht davon aus, dass sieh die Parteien durch den Vertrag vom Februar 1968 verpflichtet haben, das danach einzuholende Schiedsgutachten als verbindlich anzuerkennen, dass sie dabei allerdings nicht auf das Recht verzichtet haben, für den Fall offenbarer Unrichtigkeit des Schiedsgutachtens dessen Unverbindlichkeit geltend zu machen, soweit ihnen dieses Recht nach dem Gesetz zusteht. Diese Feststellung, die die Revision als ihr günstig nicht angreift, wird auch von dem Kläger nicht in Zweifel gezogen; sie ist rechtsirrtumsfrei getroffen.

2. Rechtlich bedenkenfrei leitet das Berufungsgericht die Befugnis der Vertragsparteien, sich gegebenenfalls auf die Unverbindlichkeit des Schiedsgutachtens zu berufen, aus § 319 I BGB her, wonach die von einem Dritten vorzunehmende Bestimmung einer vertraglich zugesagten Leistung nicht verbindlich ist, sofern die Bestimmung offenbar unbillig ist. Zutreffend und im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist auch die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass im Falle der Leistungsbestimmung durch ein Schiedsgutachten § 319 I BGB anwendbar ist, dass jedoch bei offenbarer Unrichtigkeit die Unverbindlichkeit geltend gemacht werden kann (RGZ 96, 60; 152, 204; BGHZ 6, 335 = LM vorstehend Nr. 1 = NJW 1952, 1296; BGH, LM § 317 BGB Nr. 7). Auch hiergegen erhebt die Revision keine Bedenken.

3. a) Zu der Frage, nach welchen Maßstäben ein Schiedsgutachten auf offenbare Unrichtigkeit zu überprüfen ist, führt das Berufungsgericht aus:

Der Zweck der Schiedsgutachtenvereinbarung sei darin zu sehen, einen langwierigen und kostspieligen Rechtsstreit zu vermeiden. Dieser Zweck stehe hier besonders im Vordergrund, weil die Parteien damals schon seit zehn Jahren gestritten hätten und weil sie einerseits auf Einholung eines Obergutachtens von vornherein verzichtet, auf der anderen Seite durch die Beauftragung zweier Gutachter die Aussicht auf Richtigkeit und Zuverlässigkeit des zu erwartenden Gutachtens verstärkt hätten. Dem Zweck der Vereinbarung laufe es zuwider, wenn man einer Partei gestatte, die endgültige Regulierung der Angelegenheit durch die bloße Behauptung der offenbaren Unrichtigkeit hinauszuzögern. Diese Behauptung allein könne deshalb nicht dazu führen, dass das Gericht ein Gutachten über die Frage der offenbaren Unrichtigkeit einholen müsse. Daher müsse verlangt werden, dass die offenbare Unrichtigkeit des Schiedsgutachtens nicht nur behauptet oder so dargelegt werde, dass sie möglicherweise von einem weiteren Sachverständigen festgestellt werden könnte; sie müsse vielmehr derart offenbar sein, dass sie bereits ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen dem Gericht zumindest verständlich gemacht werden könne und gemacht werde.

b) Den hiergegen erhobenen Bedenken der Revision kann die Berechtigung nicht abgesprochen werden.

aa) Das Berufungsgericht unterscheidet zwischen den Erkenntnismöglichkeiten des zur Entscheidung der Frage der offenbaren Unrichtigkeit eines Schiedsgutachtens aufgerufenen Richters und denen eines auf dem Fachgebiet, auf das sich das Schiedsgutachten bezieht, bewanderten Sachverständigen. Es geht an sich zutreffend davon aus, dass diese verschieden sein können und dass diese Verschiedenheit auch zu Unterschieden in der Beurteilung führen kann. Nicht zu billigen ist die von dem Berufungsgericht daran geknüpfte Auffassung, als offenbar unrichtig sei ein Schiedsgutachten erst dann zu beurteilen, wenn es der Partei, die sich darauf beruft, gelinge, die offenbare Unrichtigkeit dem Gericht klarzumachen, nicht aber schon dann, wenn ein (weiterer) Sachverständiger das Schiedsgutachten als offenbar unrichtig beurteile. Diese Ansicht macht die Entscheidung darüber, ob ein Schiedsgutachten als offenbar unrichtig keine Verbindlichkeit besitzt, letztlich davon abhängig, ob der Richter im Zeitpunkt seiner Entscheidung auf dem Fachgebiet, welches das Schiedsgutachten betrifft, soviel eigene Sachkunde besitzt, dass er zu einer selbständigen Beurteilung der Frage in der Lage ist. Handelt es sich beispielsweise um tatsächlich einfache Probleme, die das Schiedsgutachten behandelt, oder besitzt der Richter, über sein berufliches und allgemeines Wissen hinaus, spezielle Kenntnisse auf dem betreffenden Gebiet, dann mag er im Einzelfall in der Lage sein, dasjenige, was sich einem sachkundigen Beobachter aufdrängt, selbst zu beurteilen. Insbesondere bei schwierigen und entlegenen Gebieten der Technik aber kann von dem Richter nicht erwartet werden, dass der die in dem Schiedsgutachten behandelten Probleme so sicher überblickt, dass er aus eigener Kenntnis ein objektives Urteil darüber fällen kann, ob das Schiedsgutachten unrichtig und ob diese Unrichtigkeit offenbar ist. Die Entscheidung darüber, ob ein Schiedsgutachten offenbar unrichtig ist, darf deshalb nicht davon abhängig gemacht werden, ob es gelingt, dem Richter die offenbare Unrichtigkeit auch in tatsächlich schwierig gelagerten Sachen so klar darzulegen, dass er sie jedenfalls auch ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen beurteilen kann. Vielmehr liegt eine offenbare Unrichtigkeit dann vor, wenn sie sich einem sachkundigen Beobachter sofort aufdrängt (BGH, LM § 317 BGB Nr. 8; LM vorstehend Nr. 13; BGH, BB 1963, 281; Betr 1970, 827). Im Einzelfall mag der Richter selbst über genügend Sachkunde verfügen, so dass er ohne Unterstützung durch einen Sachverständigen entscheiden kann, ob ein Schiedsgutachten offenbar unrichtig ist oder nicht; sofern ihm aber die nötige Sachkunde nicht zu Gebote steht, muss er, sofern das Vorbringen der Partei, die die Unverbindlichkeit geltend macht, dazu Veranlassung gibt, Beweis erheben (RGZ 69, 158; 96, 92).

bb) Das angefochtene Urteil ist durch diesen unrichtigen rechtlichen Ausgangspunkt beeinflusst worden, so dass es keinen Bestand haben kann. Das Berufungsgericht lässt an mehreren, für die Gesamtbeurteilung entscheidenden Stellen seiner Urteilsbegründung erkennen, dass es den technischen Ausführungen der Schiedsgutachter mangels eigener Kenntnisse auf dem in Rede stehenden technischen Gebiet nicht zu folgen vermag.

So haben die Gutachter im Zusammenhang mit der Frage, ob mit dem H-System von der Lehre des Patents a Gebrauch gemacht werde, ausgeführt, nicht der Anspruch 1 dieses Schutzrechts werde benutzt, sondern dessen Anspruch 2, weil bei dem H-System von einem anderen Abstimmittel im Sinne dieses Anspruchs Gebrauch gemacht werde. Die von der Beklagte erhobene, für die Frage der Patentverletzung entscheidende Rüge, die Auslegung, die die Gutachter dem Merkmal anderes Abstimmittel gegeben hätten, sei offenbar unrichtig, hat das Berufungsgericht für nicht stichhaltig angesehen, weil nicht erkennbar sei, dass die Ansicht der Gutachter offenbar unrichtig sein könnte; zugleich hat das Berufungsgericht aber eingeräumt, dass es diesen Streitpunkt nicht aus eigener Sachkunde zu entscheiden vermöge. Zu der Frage der Verletzung dieses Patents durch das H-System hat das Berufungsgericht unter anderem weiter ausgeführt, die abschließende Feststellung der Gutachter, die Benutzungsform stelle eine Abwandlung des Erfindungsgedankens ohne wesentliche Änderung der erfindungsgemäßen und in den Ansprüchen zum Ausdruck gebrachten Merkmale dar, könne vom Senat aus eigener Sachkunde nicht hinreichend überprüft werden. Möglicherweise werde die Auffassung der Gutachter einem weiteren Sachverständigen als unrichtig erscheinen, und es lasse sich auch nicht ausschließen, dass für diesen Sachverständigen die etwaige Unrichtigkeit eine offenbare sei. Dieser von dem Berufungsgericht ohne nähere Begründung als theoretisch bezeichneten Möglichkeit ist das Gericht jedoch nicht nachgegangen, und zwar unter ausdrücklicher Berufung auf seine oben wiedergegebene Rechtsansicht, dass es nur darauf ankomme, ob das Schiedsgutachten dem Gericht als offenbar unrichtig erscheine. Da das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang eingeräumt hat, dass ihm für die Beurteilung der entscheidenden Frage die Sachkunde fehle, hätte es sich der Hilfe eines Sachverständigen bedienen müssen; die Bejahung der Benutzung des Patents a durch die Beklagte beruht auf einer Verletzung der Vorschrift des § 286 ZPO.

Auch die Frage, ob die Bejahung der Verletzung des Patents b auf offenbaren Unrichtigkeiten des Schiedsgutachtens beruht, hat das Berufungsgericht trotz fehlender eigener Sachkunde ohne die hier gebotene Hinzuziehung eines Sachverständigen beantwortet. Auch in diesem Zusammenhang lassen die Formulierungen des angefochtenen Urteils allenthalben erkennen, dass das Berufungsgericht nicht hat ausschließen können, dass die Ausführungen der Schiedsgutachter in den Augen eines weiteren Sachverständigen auf offenbaren Unrichtigkeiten beruhen. So ist ausgeführt, dass die Schiedsgutachter die Bejahung der Patentverletzung nicht so begründet hätten, dass ein mit dem Spezialgebiet der Radartechnik nicht vertrauter Jurist - und diese Charakterisierung bezieht das Berufungsgericht offensichtlich auf sich - sie hätte verstehen können. Gleichwohl ist das Gericht der Frage der offenbaren Unrichtigkeit nicht weiter nachgegangen, sondern hat sich mit der Feststellung begnügt, dass, soweit es dies - ohne eigene Sachkunde - zu beurteilen vermöge, die Feststellung einer Patentverletzung zwar durchaus nicht unzweifelhaft, aber andererseits auch nicht unvertretbar sei. Auch danach kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich das Schiedsgutachten in diesem Punkt in den Augen eines Sachverständigen als offenbar unrichtig erweist, wie die Beklagte unter Anführung einzelner Beanstandungen behauptet hat. Dies wird besonders deutlich in der von dem Berufungsgericht zu einer Einzelheit vorgenommenen Gegenüberstellung, nach der die Auffassung der Schiedsgutachter zwar möglicherweise für den Fachmann als mehr oder weniger selbstverständlich erkennbar unrichtig sei, aber gleichwohl eine offenbare Unrichtigkeit mit der Begründung ausgeschlossen wird, dass die Darstellung in dem Schiedsgutachten von der Beklagte nicht für den erkennenden Senat einleuchtend widerlegt worden sei.

Da das Berufungsgericht sich auf die Erörterung des Schiedsgutachtens zu den beiden Patenten a und b beschränkt hat, ist dem angefochtenen Urteil durch die unterlassene Hinzuziehung eines Sachverständigen insgesamt die Grundlage entzogen; es ist daher aufzuheben.

II. Die Aufhebung des angefochtenen Urteils muss die Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht nach sich ziehen. Dieses wird die unterbliebene Beweisaufnahme nachzuholen haben, welche sich jedoch auf die Frage, ob das in dem Schiedsgutachten gewonnene Ergebnis offenbar unrichtig ist, zu beschränken hat, dagegen nicht zu dessen voller Überprüfung auf sachliche Richtigkeit führen darf (RGZ 69, 168; 96, 92). Mit Rücksicht auf die von der Beklagte beanstandete Lückenhaftigkeit der Ausführungen der Schiedsgutachter, beispielsweise der gerügten angeblich unterlassenen Untersuchung der Klagepatente auf Fortschritt und Erfindungshöhe, besteht Anlass zu folgendem Hinweis: Der Begriff der offenbaren Unrichtigkeit eines Schiedsgutachtens darf nicht auf seinen engen Wortsinn beschränkt werden. Führen schon in dem Gutachten ausdrücklich niedergelegte Erwägungen, die von einem Fachmann auf den ersten Blick als unrichtig erkannt werden, zu der Feststellung, dass das Gutachten unverbindlich ist, dann gilt dies erst recht, wenn die Ausführungen des Gutachtens so lückenhaft sind, dass der Fachmann das Ergebnis aus dem Gesamtzusammenhang des Schiedsgutachtens überhaupt nicht überprüfen kann (BGH, LM § 317 BGB Nr. 18 = NJW 1977, 801 [802]). Die von dem Berufungsgericht anzuordnende Beweisaufnahme muss daher auch diesen Gesichtspunkt berücksichtigen. Der von dem Berufungsgericht hinzuzuziehende Sachverständige wird dabei von dem Sach- und Streitstand auszugehen haben, den die Parteien den Schiedsgutachtern zur Beurteilurtg unterbreitet haben. Neuer Sachvortrag der Parteien, der nach der Abgabe des Schiedsgutachtens, zum Beispiel während des Rechtsstreits, vorgebracht worden ist, ist dagegen nicht zu berücksichtigen, da es für die Entscheidung über die Frage, ob das Schiedsgutachten offenbar unrichtig ist, nur darauf ankommen kann, ob den Schiedsgutachtern bei der Beurteilung des ihnen vorgelegten Materials offenbare Fehler unterlaufen sind. Sollte sich nach der Durchführung der Beweisaufnahme ergeben, dass etwaige Unrichtigkeiten des Schiedsgutachtens jedenfalls nicht offenbar i. S. des § 319 BGB sind, das heißt, sich dem Fachmann nicht ohne weiteres aufdrängen, hat sich der Anspruch des Klägers als gerechtfertigt erwiesen. Dies gilt auch hinsichtlich der von dem Berufungsgericht aufgrund einer Würdigung der Umstände zuerkannten Zinsen. Mit der hiergegen erhobenen Rüge macht die Beklagte nicht geltend, dass die von dem Berufungsgericht vorgenommene Beurteilung der Vereinbarung der Parteien, durch die die Geltendmachung der Ansprüche des Klägers bis zu dessen Pensionierung hinausgeschoben wurde, schlechthin ausgeschlossen wäre, noch dass das Berufungsgericht wichtige Beurteilungsgesichtspunkte außer acht gelassen habe. Die Revision versucht viel, mehr, ihre eigene Auslegung an die Stelle der Auslegung des Berufungsgerichts zu setzen; das ist ihr im Revisionsrechtszuge verwehrt. Ergibt dagegen die Beweisaufnahme, dass das Schiedsgutachten offenbar unrichtig ist, dann scheidet es als Anspruchsgrundlage für die Klageforderung aus. In diesem Falle obliegt es dem Gericht - gegebenenfalls nach Einholung eines weiteren, die zwischen den Parteien streitigen Sachfragen betreffenden Gutachtens - die Entscheidung darüber zu treffen, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe dem Kläger wegen unberechtigter Benutzung seiner Patente durch die Beklagte Ansprüche zustehen (vgl. PalandtHeinrichs, BGB, 37. Aufl. [1978], § 317 Anm. 2b bb m. Nachw.).