Unfall Verantwortlich

Zur Frage, wie der für den Unfall Verantwortliche den Beweis für seinen Mitschuldeinwand zu führen hat.

Zum Sachverhalt: Der im August 1958 geborene Kläger erlitt im Januar 1976 als Beifahrer im vom Erstbeklagte gesteuerten Pkw, der bei der Zweitbeklagte gegen Haftpflicht versichert war, einen vom Erstbeklagte verschuldeten Unfall. Im Gegensatz zum Erstbeklagte hatte der Kläger den im Wagen angebrachten Sicherheitsgurt nicht angelegt. Er erlitt schwere Schnittwunden im Gesicht und eine Luxation des Hüftgelenks. Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Feststellung, dass die Beklagte als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm vollen Ersatz des ihm anlässlich des Unfalls entstandenen und noch entstehenden Schadens zu gewähren. Die Beklagte haben im ersten Rechtszug den Klageanspruch in Höhe von 75% anerkannt, im Übrigen jedoch ihre Ersatzpflicht mit der Begründung verneint, der Kläger müsse 25% seines Schadens selbst tragen, weil er sich nicht angeschnallt habe.

Das Landgericht hat Teilanerkenntnisurteil erlassen und nach Beweisaufnahme die weitergehende Klage abgewiesen, weil der Klägergegen die Anschnallpflicht verstoßen habe. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht die Mitverschuldensquote auf 20% herabgesetzt, das weitergehende Rechtsmittel aber zurückgewiesen. Die - zugelassene - Revision des Klägers führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen: Das Berufungsgericht hat in Übereinstimmung mit dem Landgericht einen gemäß § 254I BGB rechtlich erheblichen Verstoß des Klägers gegen die durch die Verordnung über Maßnahmen im Straßenverkehr vom 27. 11. 1975 mit Wirkung vom 1. 1. 1976 eingeführte Anschnallpflicht bejaht. Anders als das Landgericht hat es die Beklagte für verpflichtet gehalten, dem Kläger immerhin 80% des entstandenen Schadens zu ersetzen. Dabei hat es aufgrund der vom LG durchgeführten Beweisaufnahme dessen Feststellung bestätigt, dass der Gurt, der auf der Seite des Klägers als des Beifahrers auf dem rechten Vordersitz angebracht war, voll funktionstüchtig gewesen sei, und die Auffassung vertreten, das Nichtanlegen des Gurtes begründe spätestens vom Zeitpunkt des Inkrafttretens des § 21 a I StVO an ein Mitverschulden auch des Beifahrers. Von der Auswirkung dieses Verstoßes auf das Ausmaß der Verletzungen - schwere Schnittwunden im Gesicht und eine zentrale Hüftgelenksluxation mit dauernder erheblicher Gehbehinderung - ist das Berufungsgericht aufgrund eines im Streitfalle seiner Meinung nach vorliegenden Beweises des ersten Anscheins überzeugt; es hat daher eine sachverständige Beratung, die beide Parteien beantragt hatten, nicht für erforderlich gehalten.

Das angefochtene Urteil muss sowohl auf die Revision des Klägers wie auf die Anschlussrevision der Beklagte aufgehoben werden.

Die Parteien streiten nur noch darum, ob und in welchem Ausmaß sich der Kläger die Folgen des Nichtangurtens auf seine Ersatzansprüche anrechnen lassen muss. In solchen Fällen ist grundsätzlich zu beachten, dass das Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes sich je nach der Art des Unfalls und der dabei erlittenen Verletzungen nicht stets in gleicher Weise auswirkt; die Ursächlichkeit dieses Versäumnisses kann selbst innerhalb desselben Unfallgeschehens für das Ausmaß der eingetretenen Schäden verschieden sein. Das hat der Senat bereits für den Fall des Nichttragens eines Schutzhelmes für Motorradfahrer ausgesprochen. Für das Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes durch einen Kraftfahrzeuginsassen gilt im Grundsatz nichts anderes. Diese unterschiedliche Auswirkung eines Verstoßes gegen die Gurtanlegepflicht ergibt sich aus der nahe liegenden, sich oft sogar aufdrängenden, bisher jedoch vielfach versäumten Überlegung, dass häufig im Verlaufe eines Verkehrsunfalls auch Schäden eintreten, die von diesem Pflichtverstoß nicht beeinflusst sind, weil sie in gleicher Weise und in gleichem Umfang auch entstanden wären, wenn der Verletzte angegurtet gewesen wäre.

Dieses Gebot differenzierender Betrachtung ist im hier zu entscheidenden Fall jedoch nicht von Bedeutung. Wie sich nämlich aus dem Vorbringen des Klägers ergibt, bezieht sich sein Feststellungsbegehren lediglich auf diejenigen Ersatzansprüche, die ihm aus den beim Unfall erlittenen Schnittverletzungen im Gesicht und der Verletzung seines Hüftgelenks entstanden sind. Die Parteien haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat übereinstimmend erklärt, dass das Ersatzbegehren des Klägers lediglich diese Personenschäden betrifft und dass Gegenstand der Feststellungsklage allein ihr Streit darüber ist, ob diese Verletzungen, wenigstens hinsichtlich ihrer Schwere, auf das Nichtangurten zurückzuführen sind. Infolgedessen sind im zu entscheidenden Fall nur Schäden im Streit, für die - wenn überhaupt - eine Mitschuldquote festzusetzen ist.

Diese Quote aber ist einheitlich festzusetzen. Zwar mag der Umstand, dass der Kläger sich nicht angegurtet hatte, für jede der von ihm erlittenen Verletzungen - unbeschadet der Ursächlichkeit des Versäumnisses für diese Verletzungen - von unterschiedlichem Gewicht gewesen sein. Dies nötigt aber nicht dazu, die Mitschuldquote für jede der beiden Verletzungen verschieden hoch zu bewerten. Der Senat hält es nicht nur mit dem Sinn des § 254I BGB, der auf eine Gesamtbetrachtung der Schadensentstehung abhebt, für vereinbar, sondern aus Gründen praktischer Handhabung sogar für geboten, dass der Tatrichter bei verschiedener Auswirkung des Nichtangurtens auf einzelne Verletzungen unter Abwägung aller Umstände, insbesondere der von den Verletzungen ausgehenden Folgeschäden, deren vermögensrechtliches Gewicht je nach der Verletzung verschieden sein kann, der Verletzte also von einer Kürzung seiner Ersatzansprüche verschieden stark getroffen wird, eine einheitliche Mitschuldquote bildet.

Entgegen der Ansicht der Revision hat das Berufungsgericht dem Kläger zu Recht wegen Verstoßes gegen die Gurtanlegepflicht ein Mitverschulden angelastet.

Hier befindet sich das Berufungsgericht in Übereinstimmung mit der Auffassung des Senats, die er grundlegend in seinem Urteil vom 20. 3. 1979 zum Ausdruck gebracht und dann in den beiden Urteilen vom 10.4. 1979 weiter entwickelt hat. Hier hat der Senat auch entschieden, dass die Gurtanlegepflicht nicht gegen Art. 2 GG verstößt, auch nicht gegen die Handlungsfreiheit des einzelnen - eine Auffassung, die inzwischen auch die Europäische Kommission für Menschenrechte in ihrer Entscheidung vom 13. 12. 1979 vertritt. Der Senat hat in seinen Entscheidungen des näheren erörtert, weshalb trotz der mehrere Jahre zurückreichenden und auch in der Tagespresse veröffentlichten Diskussionen um den Wert des Anlegens von Sicherheitsgurten als einer geeigneten und zumutbaren Maßnahme zur Abwehr schwerer Unfallverletzungen jedenfalls vom Tage des Inkrafttretens der Anschnallpflicht an mit der erforderlichen Verlässlichkeit festgestellt werden kann, dass jedem Kraftfahrer und auch jedem Beifahrer die Nützlichkeit des Gurtes bewusst sein musste, daher das Nichtanlegen zumindest einen Verstoß gegen die Pflicht zum Schutz der eigenen Person darstellt; seit dem 1. 1. 1976 liegt sogar ein Verstoß gegen ein Gesetz vor, der erst recht den Vorwurf der Mitschuld begründet. Daher sind die Angriffe der Revision, die auf die Nähe des Unfallzeitpunkts zum 1. 1. 1976 und auf das jugendliche Alter des Klägers - zwischen 17 und 18 Jahren - abstellen und daraus mangelnde Vorwerfbarkeit im Hinblick auf die unterlassene Selbstsicherung ableiten, unbegründet. Der Kläger hat keine Umstände geltend gemacht, die seine Verantwortung nach § 828 II BGB als ausgeschlossen erscheinen lassen könnten. Somit war auch er uneingeschränkt verpflichtet, die erforderliche Sorgfalt zu wahren, wenn er sich als Beifahrer in einem Pkw den damit verbundenen Gefahren aussetzte.