Unfallversicherungsverband

Die Vorschrift des § 839 I 2 BGB ist auch dann nicht anwendbar, wenn ein Amtsträger (ohne die Inanspruchnahme von Sonderrechten) dienstlich am allgemeinen Straßenverkehr teilnimmt und an dem von ihm verursachten Unfall ein Zweitschädiger nicht beteiligt war.

Zum Sachverhalt: Der kl. Gemeinde-Unfallversicherungsverband macht gegen die beklagte Bundespost auf ihn übergegangene Schadenersatzansprüche nach Straßenverkehrsgesetz und § 839 BGB i. V. mit Art. 34 GG unter Anerkennung und Anwendung eines hälftigen Mitverschuldens der verletzten Schülerin geltend, die nach dem Aussteigen aus dem Schulbus von einem auf Dienstfahrt befindlichen Fahrzeug der Beklagte erfasst und schwer verletzt wurde. Es wird die Verjährungseinrede erhoben. Die Parteien streiten u. a. auch darüber, ob auf den vorliegenden Fall § 839 12 BGB anwendbar ist.

LG und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen: 1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Den auf die Kläger übergegangenen Schadensersatzansprüchen nach den Vorschriften des Straßenverkehrsgesetzes (§ 7 StVG) stehe die Einrede der Verjährung entgegen. Eine Schadensersatzpflicht der Beklagte nach den Vorschriften über die Amtshaftung (§ 839 BGB, Art. 34 GG) sei ausgeschlossen, weil der mit Unterhaltungsarbeiten an öffentlichen Fernmeldeanlagen betraute, auf einer hoheitlichen Dienstfahrt begriffene Amtsträger der Beklagte den Unfall nur fahrlässig verursacht und die verletzte Schülerin mit den Ansprüchen gegen den Kläger als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung eine andere Ersatzmöglichkeit erlangt habe.

II. Die von der Revision erhobenen Rügen sind zum Teil berechtigt.

1. Die Beklagte muss für ein (mögliches, hier revisionsrechtlich zu unterstellendes) Verschulden ihres Bediensteten nach den Vorschriften über die Amtshaftung (§ 839 BGB, Art. 34 GG) einstehen. Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts verursachte ein Beamter des fernmelde- technischen Dienstes der Beklagte die Körperverletzung der bei dem Kläger versicherten Schülerin, als er sich auf einer dem hoheitlichen Bereich zuzurechnenden Dienstfahrt befand. Einrichtung und Überwachung der Betriebssicherheit sowie Unterhaltung des öffentlichen Fernsprechnetzes sind der Beklagte als hoheitliche Aufgabe zugewiesen (Ges. über Fernmeldeanlagen vom 14. 1. 1928, RGBl S. 8; Fernmeldeordnung vom 5. 5. 1971, BGBl I, 541). Die technische Wartung mehrerer Ortsvermittlungsstellen durch den damit betrauten Amtsträger der Beklagte wie hier gehört daher mit den hierfür erforderlichen Dienstfahrten zur Ausübung des ihm anvertrauten öffentlichen Amtes (vgl. für den Bau und die Überwachung der Betriebssicherheit von Fernsprechkabeln Senat, VersR 1957, 590 = NJW 1957, 1396 [Ls.] = LM § 839 [Fh] BGB Nr. 4; BGH, VersR 1963, 971 = NJW 1963, 1830 [Ls.] = LM § 82 EVO Nr. 7)

2. Nach der früheren Rechtsprechung des Senats, der das Berufungsgericht gefolgt ist, waren Ansprüche der verletzten Schülerin gegen den Kläger, ihren gesetzlichen Unfallversicherer, als eine andere Ersatzmöglichkeit anzusehen, die Amtshaftungsansprüche gegen die Beklagte auch dann ausschlössen, wenn ihr Amtsträger dienstlich am allgemeinen Straßenverkehr teilgenommen hatte. Der Senat hat diese Rechtsprechung nach der Verkündung des Berufungsurteils durch Urteil (BGHZ 68, 217 = NJW 1977, 1238) geändert. Die haftungsrechtliche Verantwortlichkeit für Pflichtwidrigkeiten eines Amtsträgers, der in einer dem hoheitlichen Bereich zurechenbaren Weise am allgemeinen Straßenverkehr teilnimmt, trifft danach zwar grundsätzlich den Staat oder die sonstige Körperschaft, in deren Dienst er steht (Art. 34 GG; vgl. auch Senat NJW 1979, 649 = VersR 1979, 225). Die Vorschrift des § 839 I 2 BGB ist aber nach der Entwicklung des Straßenverkehrsrechts zu einem Ordnungsbereich mit eigenständigem Haftungssystem und eigenen haftungsrechtlichen Grundsätzen nicht (nicht mehr) anwendbar, wenn ein Amtsträger bei der dienstlichen Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr -jedenfalls soweit er Sonderrechte nach §35 StVO nicht in Anspruch nimmt - schuldhaft einen Verkehrsunfall verursacht.

3. Die Vorschrift des § 839 I 2 BGB ist auch in der zur Entscheidung stehenden Sache unanwendbar. Der Grundsatz der weitest möglichen haftungsrechtlichen Gleichbehandlung im Straßenverkehrsrecht schließt nach den Grundsätzen des Senatsurteils BGHZ 68, 217 = NJW 1977, 1238 eine Anwendung des § 839 12 BGB auch dann aus, wenn ein Dritter nicht als weiterer Schädiger (Zweitschädiger) am Unfall beteiligt war. Dieser Grundsatz steht im Ordnungsbereich des Haftpflichtrechts des Straßenverkehrs nicht allein der haftungsrechtlichen Benachteiligung eines Zweitschädigers und des für ihn eintretenden Haftpflichtversicherers entgegen. Er verhindert zunächst schon, dass der Verletzte vorrangig einen Zweitschädiger anstelle der nach Art. 34 GG verantwortlichen Körperschaft in Anspruch nehmen muss (vgl. BGHZ 68, 217 = NJW 1977, 1238). Eine nach den Amtshaftungsregeln haftende Körperschaft kann den Verletzten und den Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, der Aufwendungen für den Verletzten erbringt und auf den dessen Schadensersatzansprüche aus dem Unfall übergehen (§ 1542 RVO), bei einer dienstlichen Teilnahme des Amtsträgers am allgemeinen Straßenverkehr auch nicht darauf verweisen, die Leistungen des Unfallversicherers bildeten eine andere Ersatzmöglichkeit für den Verletzten. Die Gleichheit der Rechte und Pflichten im Straßenverkehr, das Fehlen eines weitergehenden Rechtsgüterschutzes und einer erweiterten Haftung für alle Vermögensschäden bei der Amtshaftung in diesem Bereich und das Zurücktreten des ursprünglichen gesetzgeberischen Zwecks der Vorschrift des § 839 I 2 BGB (Stärkung der Entschlusskraft des Beamten; Begrenzung des persönlichen Haftungsrisikos des Beamten in seiner besonderen amtlichen Beziehung zum Bürger) erfordern aufgrund der Entwicklung eines eigenständigen Haftungssystems des Straßenverkehrsrechts, dass sich die haftende Körperschaft auch in anderen Fällen nicht (nicht mehr) auf die dem Grundsatz der haftungsrechtlichen Gleichbehandlung widersprechende Vorschrift des § 839 12 BGB berufen darf, wenn sie durch ihren Amtsträger am allgemeinen Straßenverkehr (ohne die Inanspruchnahme von Sonderrechten) teilnimmt. Der haftungsrechtliche Schutz des Geschädigten und seines Rechtsnachfolgers, den die nach Art. 34 GG haftende Körperschaft bei einer dienstlichen Teilnahme ihres Amtsträgers am allgemeinen Straßenverkehr zu gewähren hat, entspricht - jedenfalls wenn der Amtsträger Sonderrechte nach § 35 StVO nicht in Anspruch nimmt - allgemein dem Haftungssystem im Ordnungsbereich des Straßenverkehrs. Es bedarf daher nicht der Entscheidung, ob Leistungen des Trägers der gesetzlichen Unfallversicherung, hier der Schüler-Unfallversicherung (vgl. § 539 I Nr. 14 RVO), in sonstigen Bereichen der Amtshaftung eine andere Ersatzmöglichkeit bilden könnten (vgl. hierzu BGHZ 70, 7 = NJW 1978, 495 = LM vorstehend Nr. 31).

4. Eine abschließende Entscheidung ist dem Senat nicht möglich.

a) Das Berufungsgericht hat - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen darüber getroffen, ob der Amtsträger der Beklagte die im Straßenverkehr erforderliche Sorgfalt amtspflichtwidrig außer acht gelassen und dadurch schuldhaft die Körperverletzung der beim Kläger versicherten Schülerin verursacht hat.

b) Die Feststellungen des Berufungsgerichts ergeben nicht, dass (mögliche) Amtshaftungsansprüche des Klägers als des Rechtsnachfolgers der verletzten Schülerin verjährt sind. Für diese Ansprüche läuft nach den Vorschriften über unerlaubte Handlungen eine dreijährige Verjährungsfrist, die erst mit dem Zeitpunkt beginnt, in dem der Kläger als gesetzlicher Unfallversicherer der verletzten Schülerin Kenntnis von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen erlangte (§ 852 BGB). Sie beginnt nicht, solange der Verletzte (hier an seiner Stelle der gesetzliche Unfallversicherer, auf den die Schadensersatzansprüche der verletzten Schülerin im Umfang der Versicherungsleistungen schon zum Unfallzeitpunkt übergingen) nicht tatsächliche Umstände kennt, aus denen sich eine schuldhafte Amtspflichtverletzung wenigstens in ihren Grundzügen ergibt, und der Kläger daher zumutbarer Weise in der Lage war, im Prozesswege, wenn auch nicht risikolos, die Feststellung der Schadensersatzverpflichtung der Beklagte aufgrund der Vorschriften über die Amtshaftung (§ 839 BGB, Art. 34 GG) zu betreiben (vgl. Senat, VersR 1976, 859 = LM § 852 BGB Nr. 55). Der Beginn der Verjährung nach § 852 BGB setzt jedenfalls grundsätzlich auch die Kenntnis des Klägers voraus, dass für den Verletzten andere Ersatzmöglichkeiten i. S. des § 839 12 BGB fehlen. Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, dass der Kläger schon vor dem 3. 11. 1972 eine nach § 852 BGB für den Beginn der Verjährung ausreichende Kenntnis hatte. Selbst wenn sich ein früherer Zeitpunkt für eine solche Kenntnis feststellen ließe, würde das Berufungsgericht zu erwägen haben, ob die frühere entgegenstehende Rechtsprechung des BGH zur Anwendung des § 839 I 2 BGB eine auf Feststellung der amtshaftungsrechtlichen Ersatzverpflichtung gerichtete Klage als unzumutbar erscheinen ließ oder ob sie wenigstens die Verjährung nach § 203 II BGB hemmen konnte (vgl. hierzu Senat, NJW 1957, 1595 = LM Art. 125 Bayer. AG - BGB Nr. 1 einerseits, und BAG, NJW 1962, 1077, andererseits). Schließlich haben die Parteien vor Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist bis zur Einreichung der alsbald zugestellten Klageschrift Vergleichsverhandlungen geführt, so dass der Einrede der Verjährung der Amtshaftungsansprüche gegebenenfalls auch der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (§242 BGB) entgegenstehen könnte.

5. Das Berufungsgericht hat dagegen die auf das Straßenverkehrsgesetz gestützten Ansprüche des Klägers rechtsbedenkenfrei als verjährt angesehen. Das Berufungsurteil steht in Einklang mit den Rechtsprechungsgrundsätzen zu § 14 StVG und lässt insoweit einen Rechtsfehler nicht erkennen. Auch unter Berücksichtigung der Hemmungen durch Anspruchsanmeldung und Vergleichsverhandlungen (§§ 3 Nr. 3 S. 3, 2 II PflVG; § 14 StVG; vgl. BGH, LM § 14 StVG Nr. 3 = NJW 1963, 492 [Ls.]; BOH, LM § 14 StVG Nr. 3 a) waren die Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte als Kraftfahrzeughalterin (§7 StVG) spätestens Mitte Dezember 1974 verjährt. Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht in tatrichterlicher Würdigung der gesamten Umstände das Verhalten der Beklagte, insbesondere den Abschluss eines Vergleichs über die vom Kläger zunächst geltend gemachte Forderung und den Inhalt ihrer Schreiben an den Kläger, rechtsfehlerfrei nicht als ein die Verjährung unterbrechendes Anerkenntnis (§ 208 BGB) gewertet.

Die verschiedenen gesetzlichen Verjährungsregelungen für Schadensersatzansprüche gegen den Kraftfahrzeughalter (§§7, 14 StVG) und Schadenersatzansprüche aus unerlaubter Handlung (§§ 823ff., hier §§ 839, 852 BGB) fuhren dazu, dass die Verjährungsfristen für diese Ansprüche ebenso zu verschiedenen Zeitpunkten beginnen, wie sie zu verschiedenen Zeitpunkten ablaufen können. Wenn der Kläger aufgrund desselben Sachverhalts eine bestimmte Rechtsfolge, Schadensersatz, sowohl aufgrund der Vorschriften des Straßenverkehrsgesetzes als auch aufgrund der Vorschriften über unerlaubte Handlungen in Anspruch nimmt, mag er einen auf mehrere Anspruchsgrundlagen gestützten, aber einheitlichen prozessualen Anspruch erheben. Entgegen der Auffassung der Revision fehlt jedoch ein Rechtssatz, nach dem sich die Verjährungsfristen, insbesondere ihr Beginn, bei beiden Anspruchsgrundlagen nach einer einheitlichen Regelung richten müssten.