Untersuchungsbefund

Ansprüche auf Ersatz von Mangelfolgeschäden eines fehlerhaften tierärztlichen Untersuchungsbefundes verjähren in dreißig Jahren (im Anschluss an BGHZ 67, 1 = LM § 638 BGB Nr. 30 = NJW 1976, 1502).

Anmerkung: Mit dem Urteil, in dem es um den Anspruch auf Ersatz eines Mangelfolgeschadens aufgrund eines angeblich unrichtigen tierärztlichen Untersuchungsbefundes geht, setzt der BGH seine Rechtsprechung zu § 638 BGB fort.

1. Der BGH bezieht in ständiger Rechtsprechung - im Interesse zweckgerechter Anwendung der Verjährungsbestimmung des § 638 BGB - gewisse Mangelfolgeschäden in die Gewährleistungshaftung nach §§ 635, 638 BGB ein und schließt für aus diesen Schäden hergeleitete Ansprüche die 30jährige Regelverjährung nach § 195 BGB aus. Eine derartige Erweiterung des Schadensbegriffs nach § 635 BGB lässt der BGH allerdings nur für solche Schäden zu, die zwar außerhalb des Werkes auftreten, aber in engem Zusammenhang mit dem Mangel stehen. Dagegen gelten die Regeln der positiven Vertragsverletzung (mit der Folge 30-jähriger Verjährungsfrist) für alle entfernteren Mangelfolgeschäden (vgl. BGHZ 46, 238 [239f.] = LM vorstehend Nr. 13 = NJW 1967, 340; BGHZ 48, 257 [258] = LM § 638 BGB Nr. 9 = NJW 1967, 2259; BGHZ 54, 352 [358] = LM VOB Teil B Nr. 43 = NJW 1971, 99; BGHZ 58, 85 [87 ff.] = LM vorstehend Nr. 27 = NJW 1972, 625; BGHZ 58, 225 [228] = LM vorstehend Nr. 28 = NJW 1972, 901; BGHZ 58, 305 [307f.] = LM vorstehend Nr. 30 = NJW 1972, 1195; BGHZ 58, 332 [338] = LM VOB Teil B Nr. 53 = NJW 1972, 1280; BGHZ 67, 1 [5f.] = LM § 638 BGB Nr. 30 = NJW 1976, 1502; BGHZ 72, 257 [259] = NJW 1979, 214; BGH, NJW 1969, 838 [839] = LM vorstehend Nr. 19; NJW 1969, 1710 = LM § 638 BGB Nr. 11; NJW 1970, 421 [423] = LM VOB Teil B Nr. 37; NJW 1979, 1651 = LM vorstehend Nr. 50; NJW 1981, 2182 [2183] = LM vorstehend Nr. 62; NJW 1982, 2244 [2245] = LM vorstehend Nr. 70 m. w. Nachw.). Diese Rechtsprechung hat im Schriftum inzwischen weitgehend Zustimmung gefunden (vgl. etwa Jauernig-Schlechtriem, BGB, 2. Aufl., § 635 Anm. 4b; Palandt-Thomas, BGB, 43. Aufl., § 638 Anm. 2a; Soergel, in: MünchKomm, BGB § 635 Rdnr. 40; Ballerstedt, JZ 1977, 230; Schlenger, ZfBR 1978, 6 [8]).

2. Nach den in den angeführten Entscheidungen entwickelten Grundsätzen ist der BGH der Auffassung, dass der Schaden, der aufgrund des tierärztlichen Untersuchungsbefundes entstanden ist, als entfernterer Mangelfolgeschaden anzusehen ist. Der Schadensersatzanspruch unterliegt daher nicht der kurzen Verjährung nach § 638 BGB, sondern der 30-jährigen Verjährung nach § 195 BGB.

a) Anders als der Plan eines Architekten, die Berechnung eines Statikers oder Vermessungsingenieurs, das Baugrundgutachten eines Geologen realisiert oder verkörpert sich ein tierärztlicher Untersuchungsbefund nicht ausschließlich in einem anderen Werk. Während sich solche Pläne und Berechnungen regelmäßig in einem Bauwerk verwirklichen und somit erst durch die Ausführung dieses Werkes einen Wert gewinnen, hat ein ärztliches Gutachten über den Gesundheitszustand eines Tieres auch ohne Verknüpfung mit einem nachfolgenden Kaufvertrag selbständige wirtschaftliche Bedeutung. Zwar kann ein tierärztlicher Untersuchungsbefund für den Abschluss eines bestimmten Kaufvertrages maßgebend sein. Auch bei einer solchen Verknüpfung mit einem Kaufvertrag erschöpft sich die wirtschaftliche Bedeutung des Gutachtens aber nicht in der Verwendung bei den Vertragsverhandlungen.

Der Untersuchungsbefund kann vielmehr darüberhinaus für andere Sachverhalte Bedeutung erlangen, in denen der Gesundheitszustand des Tieres eine Rolle spielt. So ist denkbar, dass auf das Gutachten nicht nur bei Abschluss des vom Auftraggeber beabsichtigten Kaufvertrags, sondern bei einem Weiterverkauf des Tieres durch den Käufer zurückgegriffen wird. Auch ist möglich, dass der tierärztliche Untersuchungsbefund dem Abschluss eines Mietvertrags oder eines Versicherungsvertrags zugrunde- gelegt wird, für dessen Zustandekommen und Ausgestaltung der Gesundheitszustand des Tieres maßgebend ist. Schließlich kann das Gutachten z. B. bei einer zunächst nicht beabsichtigten Veräußerung eines landwirtschaftlichen Anwesens oder eines Gewerbebetriebes als Nachweis für den Wert des mit veräußerten Tieres dienen.

Ein tierärztlicher Untersuchungsbefund, auch wenn er aufgrund einer Ankaufsuntersuchung erstellt wird, hat also aufgrund seiner vielfältigen Verwendungsmöglichkeiten - anders als der Plan des Architekten, die Berechnung des Statikers, das Einmessen eines Gebäudestandorts, die Baugrundbegutachtung - durchaus selbständige wirtschaftliche Bedeutung. Ein fehlerhafter Befund realisiert sich daher nicht lediglich in dem Kaufvertrag, für dessen Abschluss er erhoben worden ist. Schäden aus solchen Gutachten treten deshalb gerade, ja sogar vorwiegend als entferntere Mangelfolgeschäden auf. Daher darf hier der auf den angeblich unrichtigen Untersuchungsbefund gestützte Schadensersatzanspruch nicht der kurzen Verjährung des § 638 BGB unterworfen werden.

b) Bei dieser Sachlage kann die subjektive Vorstellung der Vertragsparteien über den Zweck des Gutachtens nicht ausschlaggebend sein. Auch wenn die Parteien mit dem Untersuchungsbefund zunächst bestimmte Ziele verfolgen und ihn mit dem beabsichtigten Kaufvertrag verknüpfen wollten, bleibt dem Befund doch eine selbständige wirtschaftliche Bedeutung, die sich in ihren Auswirkungen erst später zeigen kann. So ist denkbar, dass ein aufgrund einer Ankaufsuntersuchung erstattetes tierärztliches Gutachten bei einem Scheitern des Kaufvertrags der Vorbereitung und inhaltlichen Ausgestaltung eines anderen Kaufvertrags dient. Auch kann - wie schon erwähnt - der zunächst mit einem bestimmten Kaufvertrag verknüpfte Untersuchungsbefund in der Folgezeit für andere Rechtsgeschäfte (z.B. für Mietverträge oder Versicherungsverträge) maßgebend werden. Die Vorstellung der Vertragsparteien allein, auf die das Berufungsgericht vorwiegend abstellt, vermögen deshalb die Anwendung der kurzen Verjährungsfrist des § 638 BGB nicht zu begründen. Maßgebend ist vielmehr die objektive Verwendungsmöglichkeit des Untersuchungsbefundes und seine sich daraus ergebende selbständige wirtschaftliche Bedeutung.

Da auch die gebotene Interessenabwägung und etwaige Beweisschwierigkeiten nicht zu einer anderen Beurteilung führen, hält es der BGH für nicht gerechtfertigt, bei einem tierärztlichen Untersuchungsbefund die Frage der Verjährung von Ansprüchen auf Ersatz von Mangelfolgeschäden anders zu beurteilen als allgemein bei Gutachten, die lediglich aus einem bestimmten Anlass in Auftrag gegeben worden sind (vgl. BGHZ 67, 1 [4, 10] = LM § 638 BGB Nr. 30 = NJW 1976, 1502).