Verfassungswidrigkeit

Stellt das BVerfG die Verfassungswidrigkeit oder Unvereinbarkeit einer Norm mit dem Grundgesetz fest, spricht es aber die Nichtigkeitsfolge nicht aus, weil, wie bei der hier in Frage stehenden Regelung, mehrere gesetzliche Möglichkeiten zur Beseitigung des Verfassungsverstoßes bestehen, so hat das zum einen grundsätzlich die Wirkung, dass die Gerichte die Vorschrift ab sofort in dem sich aus dem Tenor der Entscheidung ergebenden Ausmaß nicht mehr anwenden dürfen. Zum anderen dürfen die Gerichte aber auch nicht aufgrund der Rechtslage entscheiden, wie sie sich bei ersatzloser Streichung der Norm ergibt. Vielmehr müssen sie die Entscheidung in anhängigen oder neu eingeleiteten Verfahren bis zur verfassungskonformen Neuregelung durch den Gesetzgeber aussetzen. Nach diesen Grundsätzen sind die Gerichte bis zu der Neuregelung, die das BVerfG dem Gesetzgeber zu § 1579 II BGB aufgetragen hat, nicht befugt, solche Verfahren, in denen ein besonders gelagerter Härtefall im Sinne der Entscheidung des BVerfG vorliegt, zur Entscheidung zu bringen, indem sie § 1579 II BGB als verfassungswidrig außer acht lassen und Abs. 1 der Vorschrift uneingeschränkt anwenden. Ebenso wenig besteht mangels eines entsprechenden Ausspruchs über einen vorläufigen Fortbestand der Vorschrift im Urteil des BVerfG die Möglichkeit, § 1579II BGB in seinem verfassungswidrigen Teil weiter anzuwenden. Vielmehr muss ein derartiges Verfahren ausgesetzt werden, bis der Gesetzgeber die verfassungskonforme Regelung getroffen hat. Im Interesse einer - gerade auf dem Gebiet des Unterhaltsrechts dringend gebotenen - möglichst zügigen Rechtspflege muss es den Gerichten jedoch vorbehalten bleiben, bereits jetzt zu entscheiden, ob im Einzelfall ein besonderer Härtefall vorliegt. Gelangt das Gericht zur Verneinung der Frage, so hat es die insoweit mit dem Grundgesetz vereinbare Vorschrift des § 1579 II BGB unverändert anzuwenden und in der Sache zu entscheiden.

Demgemäß wird das Berufungsgericht gegebenenfalls auch im vorliegenden Verfahren unter Abwägung der Interessen beider Parteien prüfen müssen, ob der Unterhaltsanspruch der Beklagte eine unverhältnismäßige Belastung des Klägers bedeutet und deshalb ein besonders gelagerter Härtefall anzunehmen ist.

Dass die Beklagte bereits im Zeitpunkt des Abschlusses des Prozessvergleichs vom 12. 6. 1979 mit H eheähnlich zusammenlebte und der Kläger davon Kenntnis hatte, steht der Berücksichtigung dieses Verhältnisses im vorliegenden Abänderungsverfahren, insbesondere bei der Prüfung, ob der Unterhaltsanspruch herabzusetzen oder auszuschließen ist, nicht entgegen.

Wie in Rechtsprechung und Schrifttum anerkannt ist, können nicht nur Gesetzesänderungen, sondern auch Änderungen einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Störungen vertraglicher Vereinbarungen führen, die nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage im Wege der Anpassung zu bereinigen sind. Das gilt jedenfalls, soweit die Vereinbarungen noch nicht abgewickelt sind - insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen - und es, wie im vorliegenden Fall, um die, Anpassung für die Zukunft geht. Grundlage dieser Beurteilung ist, dass beim Abschluss einer Vereinbarung ein bei derseitiger Irrtum über die Rechtslage das Fehlen der Geschäftsgrundlage bedeuten kann, wenn ohne diesen beiderseitigen Rechtsirrtum die Vereinbarung nicht geschlossen worden wäre. Das ist der Fall, wenn der Geschäftswille der Vertragsparteien auf der gemeinsamen irrigen Rechtsauffassung oder auf der gemeinschaftlichen Erwartung vom Fortbestand einer bestimmten Rechtsprechung aufgebaut war.

Wenn hiernach schon eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Anpassung einer Unterhaltsvereinbarung ermöglichen kann, so gilt das erst recht für eine Änderung der Rechtslage, die durch die Nichtigerklärung oder Unvereinbarkeitserklärung einer Norm durch das BVerfG eintritt. Dem steht § 79II BVerfGG nicht entgegen. Diese Vorschrift, die die Rechtsfolgen von Nichtigerklärungen des BVerfG regelt, aber anerkanntermaßen auch in Fällen gilt, in denen das BVerfG eine Norm nicht für nichtig, sondern, wie hier, für unvereinbar mit dem Grundgesetz er- klärt, kommt hier nicht zum Zuge, weil sie nicht mehr anfechtbare Entscheidungen betrifft und Prozessvergleiche nicht darunter fallen. Allerdings hat das BVerfG in BVerfGE 32, 387 dargelegt, § 79II BVerfGG sei der allgemeine Rechtsgrundsatz zu entnehmen, dass eine Entscheidung des BVerfG, mit der eine Vorschrift für nichtig erklärt werde, grundsätzlich keine Auswirkung auf abgewickelte Rechtsbeziehungen haben solle. Diesen Gedanken lasse insbesondere § 79 II 4 BVerfGG erkennen, wonach Ansprüche wegen ungerechtfertigter Bereicherung aus- geschlossen seien. Es widerspreche dem Sinn dieser Regelung, wenn eine Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Bestimmung auf abgewickelte bürgerlichrechtliche Vertragsbeziehungen einwirke und etwa über den Gedanken des Wegfalls oder des Fehlens der Geschäftsgrundlage zu einem neuen Anspruch führe. Auch in dieser Hinsicht müsse die von § 79 BVerfGG getroffene Entscheidung beachtet werden, dass bei der Feststellung der Nichtigkeit von Gesetzesnormen wegen der unabsehbaren Folgen für den Rechtsverkehr dem Gedanken der Rechtssicherheit der Vorrang gebühre vor der Berücksichtigung der Einzelfallgerechtigkeit. Diese Auffassung bezieht sich jedoch, wie in der Entscheidung hervorgehoben wird, auf bereits vollständig abgewickelte bürgerlich-rechtliche Vertragsbeziehungen. Damit kann sie für eine Vereinbarung über die Entrichtung einer laufenden Unterhaltsrente von vornherein keine Gültigkeit haben.

Der Kläger hat vorgetragen, die Parteien seien beim Abschluss des Unterhaltsvergleichs im Einklang mit der damals herrschenden Rechtsprechung davon ausgegangen, dass sich der Kläger den Unterhaltsansprüchen der Beklagte selbst angesichts ihres eheähnlichen Zusammenlebens mit H nicht widersetzen könne. Die Beklagte hat das nicht bestritten. Danach haben die Parteien die Rechtslage, wie sie von der damaligen Rechtsprechung zu § 1579 BGB, insbesondere auch zu Abs. 2 der Vorschrift, beurteilt wurde, als Grundlage für die Regelung ihrer unterhaltsrechtlichen Beziehungen genommen und sind dabei stillschweigend davon ausgegangen, dass sich daran auch in Zukunft nichts ändern werde. Diese Geschäftsgrundlage hat die Entscheidung des B VerfG entfallen lassen und dadurch zu einer Störung der Vereinbarung geführt. Wenn die Beklagte unter diesen Umständen im Falle der Annahme einer besonderen Härte auf einer weiteren Erfüllung des Vergleichs entsprechend der früheren Rechtslage bestände, verstieße das gegen Treu und Glauben. Die nach § 242 BGB aus dem Wegfall der Geschäftsgrundlage abzuleitende Rechtsfolge besteht in der Anpassung der Vereinbarung an die jetzige, durch die Entscheidung des BVerfG eingetretene Rechtslage.

Außer der neuen Rechtslage sind es auch Veränderungen in tatsächlicher Hinsicht, die eine umfassende Beurteilung der Frage des Unterhaltsausschlusses ermöglichen. Als derartige Änderung der Verhältnisse kommt einmal die auch vom Berufungsgericht hervorgehobene Feststellung der Nichtehelichkeit der beiden Kinder I und J im Dezember 1979 in Betracht. Soweit es das Kind I betrifft, wurde mit dieser rechtskräftigen Feststellung ferner die Möglichkeit eröffnet, im Rahmen der Härteregelung den Umstand zu berücksichtigen, dass die Beklagte als Beginn ihrer Beziehungen zu H den Jahresanfang 1977 angegeben und damit die Möglichkeit der außerehelichen Zeugung dieses Kindes geleugnet hat. Bis zur Feststellung stand dem das Verbot des § 1593 BGB entgegen. Schließlich würde es eine weitere Veränderung der Verhältnisse seit dem Abschluss des Prozessvergleichs bedeuten, wenn das Berufungsgericht aufgrund tatrichterliche Prüfung zu dem Ergebnis gelangt, dass es zwischen der Beklagte und H entsprechend den Darlegungen zu einer die Voraussetzungen des § 1579I Nr. 4 BGB erfüllenden Verfestigung des Verhältnisses gekommen ist. Einer solchen Verfestigung der Beziehungen, aber auch dem vorgenannten Umstand der Verleugnung der außerehelichen Zeugung des Kindes I kann für die Frage der Zumutbarkeit einer weiteren Inanspruchnahme des Klägers und damit für die Prüfung des Unterhaltsausschlusses aus Gründen besonderer Härte im Sinne der Entscheidung des BVerfG eine wesentliche Bedeutung zukommen.

Der Senat hat keine Bedenken, dass die Anpassung an die Veränderungen, die sich seit dem Abschluss des Prozessvergleichs in den unterhaltsrechtlichen Beziehungen der Parteien ergeben haben, insgesamt im Wege der Abänderungsklage nach § 323 IV ZPO, bei der sich anerkanntermaßen Voraussetzung und Umfang der Abänderung nach materiellem Recht richten, durchgesetzt werden kann.