Verfehlung
Die Frage ob sich der Beschenkte durch eine schwere Verfehlung gegen den Schenker oder einen nahen Angehörigen des Schenkers groben Undankes schuldig gemacht hat, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu beurteilen; einem engen Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Schenker und dem Beschenkten kommt dabei keine erhöhte Bedeutung zu.
Zum Sachverhalt: Die Kläger (Eheleute) waren je zur ideellen Hälfte Miteigentümer eines Wohngrundstücks. Am 27. 7. 1971 übertrugen sie der Beklagte, einem ihrer vier Kinder, die Miteigentumsanteile unter anderem gegen Einräumung eines auf fünf Jahre begrenzten unentgeltlichen Wohn- rechts an der Erdgeschoßwohnung. In der Folgezeit kam es zwischen den Parteien zu Spannungen. Die Beklagte erhob gegen ihre Schwester M, die wie die Kläger auf dem Hausgrundstück, und zwar im Obergeschoß, wohnte Räumungsklage. Die Klage wurde abgewiesen, nachdem der Kläger zu 1 in jenem Verfahren seine Zeugenaussage beschworen hatte, der Tochter M sei ein - im notariellen übergangsvertrage nicht beurkundetes - fünfjähriges Wohnrecht eingeräumt worden. Die Beklagte und für Ehemann warfen an- schließend dem Kläger zu 1 vor, er habe im Räumungsprozess einen Meineid geschworen; diesen Vorwurf erhielten sie auch vor dem Schiedsmann auf- recht.
Mit ihrer Klage haben die Kläger die angeblich in dem Vertrag liegende Schenkung wegen groben Undanks widerrufen und die Rückübertragung des Grundstücks verlangt. Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgeiviesen. Die Revision der Kläger führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Aus den Gründen:. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob der Vertrag vom 27.7. 1971 eine Schenkung ist. Als entscheidend hat es angesehen, dass die Kläger jedenfalls groben Undank (§ 530 BGB) nicht dargetan hätten.
1. Die Revision rügt, das 13erGer. habe rechtsfehlerhaft dem Um- stand keine besondere Bedeutung beigemessen, dass sich die von den KL als grob undankbar und beleidigend einpfundenen Handlungen der Beklagte gegen ihre eigenen Eltern und gegen ihre Schwester, mithin gegen ihre nächsten Angehörigen, gerichtet hätten. Die Revision meint, dieser Umstand hätte auch unter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen berücksichtigt werden müssen. Zur Begründung verweist sie auf die Wertentscheidungen des Gesetzgebers, wie sie in Art. 6 GG (Schutz der Familie) sowie in den Vorschriften über die Pflichtteilsentziehung (§§ 2333 und 2334 BGB) und in der Strafbestimmung über die erhöhte Strafbarkeit vorsätzlicher Körperverletzungen gegenüber Verwandten aufsteigender Linie (§ 223 II StGB) zum Ausdruck komme.
Die Rüge ist im Ergebnis unbegründet. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, setzt eine schwere Verfehlung i. S. des § 530 BGB objektiv ein bestimmtes Maß von Schwere und subjektiv einen erkenn- baren Mangel an Dankbarkeit voraus (Soergel-Ballerstedt, BGB, 10. Aufl., §, 530 Rdnrn. 6, 7; RGRK, 12. Aufl., § 530 Rdnr. 4). Ob eine Verfehlung in diesem Sinne schwer ist, beurteilt sich nach tatrichterlichem Ermessen. Das Berufungsgericht kann nur überprüfen, ob dem angegriffenen Urteil ein Irrtum über den Rechtsbegriff zu entnehmen ist (Staudinger-Ostler, BGB, 11. Aufl., § 530 Rdnr. 5 m. w. Nachw.; vgl. auch BGH, NJW 1967, 1081 [1082]) = LM § 142 HGB Nr. 17 und ob das Berufungsgericht von der Revision aufgezeigten Prozessstoff übergangen hat. Der Zusammenhang der Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils rechtfertigt nicht die Annahme, dass das Berufungsgericht die engen verwandtschaftlichen Beziehungen als bedeutungslos angesehen habe. Das Berufungsurteil kennzeichnet vielmehr den Kläger zu 1 - auch in den Entscheidungsgründen - ausdrücklich mehrfach als Vater der Beklagte und stellt in der unmittelbar daran anschließenden zusammenfassenden Würdigung, auf alle diese Umstände des vorliegenden Falles ab.
Dass dein engen Verwandtschaftsverhältnis im Rahmen des § 530 BGB etwa erhöhtes Gewicht zukäme, kann der Revision nicht zugegeben werden und lässt sich auch aus den von ihr angeführten Bestimmungen nicht ableiten. Mit der Revision ist allerdings davon auszugehen, dass auch bei der Auslegung des bürgerlichen Rechts die im Grundrechtsabschnitt des Grundgesetzes errichtete objektive Wertordnung mitzuberücksichtigen ist (vgl. BVerfGE 7, 198 [205] = NJW 1958, 257) und dass dies auch für die in Art. 6 GG ausgesprochene staatliche Verpflichtung zum Schutze der (Ehe und) Familie gilt (vgl. BGHZ 6, 360 [365f.] = LM § 823 [Af] BGB Nr. 1 a = NJW 1952, 975 - räumlich-gegenständlicher Bereich der Ehe; BAG, NJW 1957, 1688 [1689f.] - Zölibatsklausel). Der Einfluss der Wertentscheidungen kann sich insbesondere bei der Ausfüllung von Generalklauseln (BVetfGE 7, 198 [205] NJW 1958, 257) oder bei der Konkretisierung von unbestimmten Rechtsbegriffen bemerkbar machen. Indessen lässt sich aus dem grundgesetzlich bekräftigten Schutz der Ehe und Familie nicht ableiten, dass der unbestimmte Rechtsbegriff der schweren Verfehlung gemäß § 530 BGB im Sinne der Revision auszulegen ist. Der Schutz der Familie als solcher erfordert schenkungsrechtlich keine erhöhte Rücksichtnahme gegenüber einem Schenker, der mit dem Beschenkten in aufsteigender Linie verwandt ist. Aus den besonderen Regelungen der §§ 2333, 2334 BGB und des § 223 II StGB lassen sich ebenfalls keine Wertungen gewinnen, die unabhängig von den Umständen des Einzelfalles die Anlegung eines strengeren Maßstabes im Rahmen des § 530 BGB rechtfertigen.
2. Die Revision bemängelt weiter, dass das Berufungsgericht bei seiner Würdigung, dass der von der Beklagte erhobene und vor dem Schiedsmann aufrechterhaltene Vorwurf, ihr Vater, der Kläger zu 1, habe im Räumungsprozess gegen ihre Schwester M und deren Ehemann einen Meineid geschworen, . . . jedenfalls nicht von einer auf Mangel an Dankbarkeit beruhenden Gesinnung zeuge, den Prozessstoff nur unvollständig gewürdigt habe. Die Rüge ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Selbst wenn man insoweit von einer schweren Verfehlung ausgehe, zeuge das der Beklagte vorgeworfene Verhalten jedenfalls nicht von einer auf Mangel an Dankbarkeit beruhenden Gesinnung. Bei beleidigenden Äußerungen sei nämlich auch von Bedeutung, ob ein realer Hintergrund für die Äußerung bestanden habe oder vom Beschenkten jedenfalls angenommen werden konnte. Die Beklagte habe den Räumungsprozess nicht mutwillig, sondern zu dem Zweck begonnen, die vertraglich nicht hinreichend geklärte Rechtslage auszuloten. Sie sei über die Verhandlungen vor und bei Abschluss des Übergabevertrages unterrichtet gewesen und habe sich daher mindestens subjektiv berechtigt fühlen dürfen, ihrem Vater, dem Beklagten zu 1, ihre Auffassung von den getroffenen Vereinbarungen mit Überzeugung darzulegen; dies aber habe zumindest den Vorwurf der eidlichen Falschaussage mit sich bringen müssen.