Verletzung von Beratungspflicht

Zu den Pflichten eines Rechtsanwalts, der einen Arbeitnehmer in einem Kündigungsschutzprozess vertritt, im Hinblick auf die Sicherung des seinem Mandanten entstandenen Lohnausfalls.

Zum Sachverhalt: Der Kläger verlangt von dem Beklagten Rechtsanwalt Schadensersatz wegen Verletzung von Beratungspflichten. Im Mai 1976 war dem Kläger, einem Maurerpolier, nach 18jähriger Betriebszugehörigkeit von seinem Arbeitgeber fristlos gekündigt worden. Die von ihm zunächst beauftragten Rechtsanwälte reichten für ihn Anfang Juni 1976 eine Kündigungsschutzklage bei dem ArbG ein. Später beauftragte der Kläger den Beklagten als Prozessbevollmächtigten. Dieser bestellte sich mit Schriftsatz vom 4. 8. 1976 und vertrat den Kläger in zwei Rechtszügen erfolgreich. Die Revision gegen das der Kündigungsschutzklage stattgebende Urteil des LAG nahm der Arbeitgeber am 15. 3. 1978 zurück. Mit Schreiben vom 2. 3. 1978 verlangte der Beklagten erstmals für den Kläger von dessen Arbeitgeber den in der Zeit der Nichtbeschäftigung entgangenen Lohn. Die daraufhin erhobene Klage wies das ArbG mit der Begründung ab, für die Zeit bis zum 31. 12. 1977 seien Ansprüche wegen des zur Anwendung kommenden § 14 des Rahmentarifvertrages für die Poliere und Schachtmeister des Baugewerbes im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 14. 6. 1971 verfallen. § 14 RTV hat folgenden Wortlaut:

Ausschlussfristen - Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zweit Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden.

Lehnt die Gegenpartei den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird.

Das ArbG hat die Auffassung vertreten, dieser RTV sei zwar nicht für allgemeinverbindlich erklärt worden, aber gleichwohl kraft betrieblicher Übung für das Beschäftigungsverhältnis des Kläger verbindlich; denn u. a. habe der als Zeuge vernommene Betriebsratsvorsitzende glaubhaft bekundet, dass auf dessen eigenes Arbeitsverhältnis als Polier die Bestimmungen des RTV - und zwar gemäß betrieblicher Übung - angewendet wurden und sich insbesondere die Fragen des Urlaubs, der Versicherung in der maßgeblichen Zusatzversorgungskasse usw. bei allen beschäftigten Polieren nach dem RTV gerichtet hätten. Der Kläger beauftragte nach Erlass dieses Urteils wiederum andere Rechtsanwälte mit seiner Vertretung; diese beantragten nach Ablauf der Berufungsfrist für den Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und legten gleichzeitig Berufung ein. Einige Zeit später nahmen sie jedoch ohne Begründung die Berufung wieder zurück. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Beklagten habe prüfen müssen, ob ein Tarifvertrag mit Ausschlussfristen auf sein Arbeitsverhältnis Anwendung finde; außerdem habe er ihn über die Folgen einer solchen Anwendbarkeit belehren und ihn auch darauf hinweisen müssen, dass unter Umständen über diese Frage Beweis zu erheben und der Ausgang der Beweisaufnahme ungewiß sei. Bei ordnungsgemäßer Prüfung und Belehrung hätte er rechtzeitig und erfolgreich Klage erheben können.

Das Landgericht hat der Klage auf Zahlung von 15000 DM stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen.

Die - zugelassene - Revision des Klägers führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen: Das Berufsgericht unterstellt, dass der Beklagten den Sachverhalt nicht - wie geboten - vollständig und sachkundig mit Blick auf alle rechtserheblichen Umstände aufgeklärt hat. Dennoch hält es die Klage für unbegründet, weil der Kläger die Ursächlichkeit der unterstellten Pflichtverletzung des Beklagten für den eingetretenen Schaden nicht hinreichend dargelegt habe. Nach dessen Vorbringen sei nämlich davon auszugehen, dass dem Beklagten auch bei sorgfältiger Aufklärung kein anderer oder vollständiger Sachverhalt zur Verfügung gestanden hätte, als ihm ohne sein Befragen bereits mitgeteilt worden sei. Aufgrund des ihm bekannten Sachverhalts sei er zu einem Hinweis auf die rechtlichen Auswirkungen etwa zu beachtender Ausschlussfristen und zu dem Rat, vorsichtshalber doch sofort schon eine Zahlungs- oder Feststellungsklage zu erheben, nicht verpflichtet gewesen.

Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Zutreffend geht das Berufsgericht davon aus, dass der Beklagten zumindest objektiv seine durch den Anwaltsvertrag begründeten Pflichten dem Kläger gegenüber verletzt hat.

Das Berufsgericht weist mit Recht darauf hin, der Beklagten habe bei der Übernahme des Mandats für die schon anhängige Kündigungsschutz- klage erkennen oder durch Befragung ermitteln müssen, dass der Kläger auch ein finanzielles Interesse, gerichtet auf Ausgleich eines ihm zwischenzeitlich entstandenen und künftig entstehenden Lohnausfalles, verfolgte. Diese Erkenntnis verpflichtet ihn, den Kläger auch insoweit zu beraten und für die Sicherung seiner auf Ersatz des Lohnausfalls gerichteten Ansprüche zu sorgen.

In diesem Zusammenhang war der Beklagten, worauf das Berufsgericht ferner rechtlich einwandfrei hinweist, auch zur Prüfung verpflichtet, ob für die Geltendmachung der Lohnansprüche des Klägers etwa tarifvertragliche oder auf andere Weise vereinbarte Ausschlussfristen galten.

Dabei musste der Beklagten beachten, dass die Erhebung einer Kündigungsschutzklage nicht immer eine solche Ausschlussfrist wahren kann und zwar jedenfalls dann nicht, wenn die tarifliche Ausschlussklausel, wie der im Streitfall bedeutsame § 14 RTV, bestimmt, dass Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis gerichtlich geltend gemacht werden müssen, sofern die Gegenpartei sich nicht innerhalb einer bestimmten Frist erklärt. Das hatte das BAG bereits lange Zeit vor der Beratung des Kläger durch den Beklagten entschieden und diese Ansicht trotz der kritischen Auffassung von Zöllner im Urteil vom 8. 1. 1970 aufrechterhalten.