Verschulden

Zur Frage des Verschuldens beim Vertragsschluss bei einem Bürgschaftsvertrag.

Eine einseitige, wenn auch für den Gläubiger erkennbare Erwartung des Bürgen über die Weiterentwicklung eines Kreditverhältnisses kann nicht Geschäftsgrundlage der Bürgschaft sein mit dem Ergebnis, dass der Bürge bei Nichteintritt seiner Erwartung frei wird.

Zum Sachverhalt: Der Schwiegersohn des Klägers war früher Geschäftsführer der Firma S. Er hatte von der Beklagte ein persönliches Darlehen in Höhe von 40000 DM erhalten, das von der S durch eine auf einem Firmengrundstück eingetragene Briefgrundschuld in gleicher Höhe abgesichert worden war. Im Zuge einer geplanten Umschuldung wollte die S zur Erlangung eines größeren Kredits bei einem neuen Geldgeber auch diese Grundschuld einsetzen. Sie schlug daher dem Kläger vor, eine selbstschuldnerische Bürgschaft für den Kredit seines Schwiegersohnes gegenüber der Beklagte abzugeben, so dass die dann frei werdende Grundschuld für die Umschuldung zur Verfügung stehen würde. Das verbürgte Darlehen sollte sodann teils vom Schwiegersohn des Klägers selbst, teils von der S nach Erlangung des angestrebten größeren Kredits abgelöst werden. Nach entsprechenden Verhandlungen zwischen der S, dem von ihr in Aussicht genommenen neuen Geldgeber und der Beklagte unterzeichnete der Kläger am 7. 4. 1978 eine Bürgschaftsurkunde, mit der das Darlehen seines Schwiegersohnes bei der Beklagte abgesichert wurde. Die Beizt erhöhte hierauf auf Verlangen der S, das diese schon vor der Unterzeichnung der Bürgschaftsurkunde durch den Kläger wegen dringender, kurzfristiger Verbindlichkeiten der Beklagte angekündigt hatte, deren Kreditrahmen unter Heranziehung der Grundschuld als zusätzlicher Sicherheit. Die geplante Umschuldung der S kam nicht zustande. Der Kläger hat im ersten Rechtszug beantragt, festzustellen, dass seine der Beklagte gegebene Bürgschaft vom 7. 4. 1978 unwirksam ist.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Beklagte zur Einwilligung in die Rückgängigmachung des Bürgschaftsvertrages und zur Herausgabe der Bürgschaftsurkunde verurteilt. Die Revision der Beklagte hatte Erfolg.

Aus den Gründen: I. 1. Das Berufungsgericht bejaht den Anspruch des Klägers auf Befreiung von seiner Bürgschaftsverpflichtung aus dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluss und wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage.

a) Das Berufungsgericht meint, die Beklagte habe ihre hier ausnahmsweise bestehende Aufklärungs- und Hinweispflicht gegenüber dem Kläger verletzt. Ihr sei bekannt gewesen, dass die infolge der Bürgschaft des Klägers frei werdende Grundschuld für eine allgemeine Umschuldung im Sinne einer Sanierung der S eingesetzt werden sollte. Wenn sie die Grundschuld auf Verlangen der S, das ihr schon vor Abgabe der Bürgschaftserklärung des Klägers angekündigt worden war, neu valutierte, habe dieses Kreditsicherungsmittel nicht mehr frei werden können. Hiervon hätte sie den Kläger verständigen müssen, um es ihm zu ermöglichen, seinen Entschluss zur Bürgschaftsübernahme zu überdenken. Sie hätte die Erweiterung des Kreditrahmens der S gegenüber von einer Befreiung vom Bankgeheimnis abhängig machen können, um den Kläger auf deren Absichten hinweisen zu können. Dass die Umschuldung der S nicht an der Neuvalutierung der Grundschuld gescheitert sei, sei ohne Bedeutung. Der Schaden des Klägers bestehe in der Übernahme der Bürgschaftsverpflichtung. Aus dieser müsse ihn der Beklagte entlassen.

b) Das Berufungsgericht ist weiter der Ansicht, Grundlage der Bürgschaftsübernahme durch den Kläger sei es gewesen, die Umschuldung der S zu ermöglichen. Dies sei der Beklagte auch bekannt gewesen. Nachdem die Erwartung des Klägers fehlgeschlagen sei, müsse die Beklagte jetzt nach Treu und Glauben in die Befreiung des Klägers von seiner Bürgschaftsverpflichtung einwilligen.

2. a) Die Revision verweist darauf, dass dem Bürgschaftsgläubiger grundsätzlich keine Sorgfaltspflichten gegenüber dem Bürgen obliegen. Hier habe der Kläger seine Bürgschaft übernommen, um die Grundschuld für die S als Kreditsicherungsmittel freizumachen. Die Neuvalutierung der Grundschuld seitens der Beklagte auf Wunsch der S habe der von dieser geplanten Umschuldung auch nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht im Wege gestanden. Die Beklagte sei über Einzelheiten der von der S geplanten Umschuldung nicht unterrichtet gewesen und habe daher auch den Kläger hierüber nicht orientieren können. Von ihr sei der Vorschlag, die Grundschuld der S als Sicherheit für den seinem Schwiegersohn gewährten Kredit durch eine Bürgschaft des Klägers abzulösen, nicht ausgegangen. Durch die Neuvalutierung der Grundschuld sei das Bürgschaftsrisiko des Klägers nicht verändert worden.

b) Die Erwartungen des Klägers als Bürge seien nicht von der Beklagte, sondern von der S enttäuscht worden. Von einem Wegfall der Geschäftsgrundlage könne daher hier nicht die Rede sein.

II. 1. Nach ständiger Rechtsprechung obliegen dem Gläubiger einer Bürgschaft gegenüber dem Bürgen grundsätzlich keine Sorgfaltspflichten (Senat, WM 1978, 924 = LM vorstehend Nr. 24; WM 1974, 1129 = LM vorstehend Nr. 20; WM 1967, 366; 1963, 24). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist allerdings für den Fall anerkannt worden, dass der Bürgschaftsgläubiger selbst durch sein Verhalten und für ihn erkennbar einen Irrtum des Bürgen über dessen Risiko veranlasst hatte (Senat, WM 1978, 924 = LM vorstehend Nr. 24; NJW 1968, 986 = LM § 276 [Fa.] BGB Nr. 26 = WM 1968, 398; WM 1966, 944). Hier hatte der Kläger seine Bürgschaft übernommen, damit die bisher als Sicherheit für das von der Beklagte seinem Schwiegersohn gegebene persönliche Darlehen dienende Grundschuldader S für diese zur Absicherung eines im Wege der Umschuldung angestrebten, größeren Kredits frei werden sollte. Kreditgeber bei der beabsichtigten Umschuldung der S sollte, das wusste der Kläger, nicht die Beklagte sein. Tatsächlich ist die Grundschuld auch entsprechend der Erwartung des Klägers aufgrund seiner Bürgschaft für die S als Kreditsicherungsmittel frei geworden. Dass die Beklagte entsprechend einem schon früher von der S geäußerten Wunsch auf deren Verlangen dann - nach Erhalt der Bürgschaft - einen durch diese Grundschuld gesicherten weiteren Kredit gewährte und den Kläger vor dessen Bürgschaftsübernahme nicht auf den Kreditwunsch der S hingewiesen hat, kann ihr, abweichend von der Meinung des Berufungsgerichts, nicht als Verschulden beim Abschluss des Bürgschaftsvertrags mit dem Kläger angelastet werden. Die Beklagte wußte von den Verhandlungen der S über eine Umschuldung unter gleichzeitiger Kreditausweitung, die auch der Kläger durch den Austausch der Grundschuld der S gegen seine Bürgschaft für den persönlichen Kredit seines Schwiegersohns unterstützen wollte. Hätte die Beklagte nach dem Freiwerden der Grundschuld der S eine weitere Kreditgewährung für sofort fällige Zahlungen verweigert, dann hätte deren Zahlungsunfähigkeit eintreten und die Umschuldung hieran scheitern können. Selbst wenn die Beklagte gewusst hätte, was das Berufungsgericht offengelassen hat, dass aus dem angestrebten erweiterten Kredit nach der Umschuldung von der S ein Teil der vom Kläger verbürgten Hauptschuld hätte zurückbezahlt und damit das Risiko des Klägers hätte vermindert werden sollen, so brauchte die Beklagte nicht anzunehmen, dass die S diese Abrede mit dem Kläger nicht mehr einhalten wollte oder konnte, zumal der Schwiegersohn des Klägers damals noch einer der beiden Geschäftsführer der S war. Angesichts der persönlichen engen Beziehungen des Klägers zu dem einen Geschäftsführer der S und seiner Unterstützung der Umschuldungspläne dieses Unternehmens, die das Berufungsgericht als persönliche und wirtschaftliche Verknüpfung des Klägers mit den Geschicken der S bezeichnet, konnte die Beklagte auch davon ausgehen, dass dem Kläger die Liquiditätslage der S bekannt war. Der Kläger hatte mit seiner Bürgschaft angestrebt, der S als weitere Kreditbasis die fragliche Grundschuld zur Verfügung zu stellen. Dieser angestrebte Erfolg ist eingetreten. Dass die beabsichtigte Umschuldung der S nicht zustande kam, lag, wie auch das Berufungsgericht nicht verkennt, nicht an der Beklagte Dass die S einen weiteren Kreditbedarf hatte, war dem Kläger ebenfalls bekannt; denn es war gerade der Zweck seiner Bürgschaftsübernahme, freie Sicherheiten für die S zur weiteren Kreditaufnahme zu schaffen. Die Beklagte konnte unter den gegebenen besonderen Umständen davon ausgehen, dass der ihr gegenüber seitens der S geäußerte Kreditwunsch auch dem Kläger bekannt war und es eines besonderen Hinweises hierzu von ihrer Seite nicht mehr bedurfte. Das Risiko des Klägers als Bürgen wurde nämlich nicht dadurch vergrößert, dass die S sofort den erweiterten Kredit bei der Beklagte und nicht, wie geplant, nach vollzogener Umschuldung bei dem in Aussicht genommenen neuen Kreditgeber aufnahm, zumal auch der Kläger einräumt, dass die in Aussicht genommene Umschuldung hieran nicht gescheitert ist. Mit Recht weist die Revision darauf hin, dass der Kläger sich gegenüber der S hätte sichern müssen, dass diese den erweiterten Kredit mindestens teilweise zur Ablösung der mit seiner Bürgschaft gesicherten Hauptschuld entsprechend ihren Zusagen einsetzte. Auch beim Zustandekommen einer Umschuldung der S lag dieses Risiko aber beim Kläger Aus Verschulden bei Vertragsschluss lässt sich bei dieser Sachlage der Anspruch des Klägers nicht herleiten.

2. Auch einen Wegfall der Geschäftsgrundlage für die Bürgschaft des Klägers hat das Berufungsgericht zu Unrecht bejaht. Für dessen Bejahung ist bei einem Rechtsgeschäft, das eine Haftungsübernahme für fremde Schulden zum Gegenstand hat, ein strenger Maßstab anzulegen; denn bei solchen Geschäften übernimmt der eine Teil schlechthin und uneingeschränkt das Risiko, dass der Schuldner bei Fälligkeit der Schuld leistungsfähig ist (Senat, WM 1974, 1127 - insoweit in BGHZ 63, 87 = LM § 23 KO Nr. 3 = NJW 1974, 2285, nicht abgedruckt; BGH, WM 1973, 752). Das Bürgenrisiko des Klägers war es, dass der Hauptschuldner seine Schuld bei Fälligkeit nicht bezahlen konnte. Übernommen hatte der Klägerdieses Risiko zum Zwecke, der S, die bis dahin den Kredit des Hauptschuldners gesichert hatte, den anderweitigen Einsatz ihrer Grundschuld zur Sicherung eigener Kredite zu ermöglichen. Dieser Zweck ist auch erreicht worden. Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts kann die Vorstellung des Klägers, seine Bürgschaft werde die geplante Umschuldung ermöglichen, nicht Geschäftsgrundlage geworden sein. Die Umschuldung konnte aus allen möglichen Gründen scheitern, wie auch das Berufungsgericht offenbar davon ausgeht, dass die Valutierung der Grundschuld durch die Beklagte der Umschuldung nicht entgegenstand. Die Beklagte hätte sich auf ein etwaiges Ansinnen des Klägers, die Wirksamkeit der Bürgschaft vom Gelingen der Umschuldung abhängig zu machen, redlicher weise nicht einzulassen brachen. Ist das aber so, dann kann die einseitige, wenn auch erkennbare Erwartung des Klägers, es werde nach der Übernahme seiner Bürgschaft zur Umschuldung der S kommen, nicht Geschäftsgrundlage sein mit dem Ergebnis, dass der Kläger beim Nichteintritt seiner Erwartung von seiner Verpflichtung als Bürge frei wird. Die Beklagte sollte durch die Bürgschaft des Klägers einen Ausgleich dafür erhalten, dass sie das bisher in ihrem Besitz befindliche Sicherungsmittel für den Kredit des Schwiegersohns des Klägers, die Grundschuld der S nämlich, für die S frei gab, um dieser überhaupt erst die geplante Kreditausweitung und Umschuldung zu ermöglichen. Wollte man, wie das Berufungsgericht, das Zustandekommen der Umschuldung zur Geschäftsgrundlage der Bürgschaft machen, dann hätte die Beklagte das in ihrem Besitz befindliche Sicherungsmittel für die Hauptschuld freigegeben, aber im Falle des Scheiterns der geplanten Umschuldung keinerlei Sicherung für den dem Schwiegersohn des Klägers gewährten persönlichen Kredit mehr gehabt.