Warnschuss

Zum Sachverhalt: In einer Nacht des Jahres 1971 wurde P, Ehemann der Kläger zu 1 und Vater der Kläger zu 2 und 3, nach dem Besuch eines Frühlingsfestes bei einer Auseinandersetzung mit anderen Festbesuchern durch einen Schuss aus einer Pistole des Beklagten tödlich verletzt. Die Kläger nehmen den Beklagten auf Ersatz ihres Unterhaltsschadens in Anspruch. Sie haben geltend gemacht: Vor dem Festzelt sei der mit P befreundete Marokkaner Mo angespuckt worden. Nach dessen Beschreibung sei der Beklagten als Täter in Betracht gekommen; dieser habe mit seinen Begleitern L und ebenfalls das Fest gerade verlassen gehabt. Zur Klärung des Vorfalls habe P zusammen mit seinen Freunden W und G diese drei Personen eingeholt und sie zur Rede gestellt. Ohne begründeten Anlass habe die Beklagte daraufhin die Pistole gezogen und den tödlichen Schuss auf P abgegeben.

Der Beklagten hat sich auf Notwehr berufen und vorgetragen: P, G und W, wiederholt wegen Gewaltdelikten vorbestraft, hätten ihn und seine Begleiter ohne Grund angegriffen. Er sei durch Schläge auf den Kopf ebenso wie sein Begleiter L zu Boden geschlagen worden. Erst als er auf dem Boden gelegen habe, habe er einen im Winkel von 45 Grad nach oben gerichteten Warnschuss abgegeben. G und W hätten ihm dann die Pistole aus der Hand gerissen, wobei sich weitere Schüsse gelöst hätten. Er selbst habe lebensgefährliche Schädelverletzungen erlitten.

LG und KG haben der Klage stattgegeben. Die Revision des Beklagten führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen: Nach Ansicht des Berufsgericht muss der Beklagten für den Unterhaltsschaden der Hinterbliebenen des getöteten P nach §§ 823 V, II, 844 II BGB i. V. mit § 222 StGB aufkommen, weil er den Tod des P zu verantworten habe. Dabei legt das Berufsgericht als unstreitig zugrunde, dass der tödliche Schuss vom Beklagten abgegeben worden ist; zu dessen Gunsten geht es davon aus, dass er diesen Schuf nicht auf P gezielt, sondern als Warnschuss abgegeben habe. Dass ein solcher Warnschuss durch Notwehr gerechtfertigt war, hat er aber nach Auffassung des Berufsgerichts nicht nachzuweisen vermocht. Hierzu erwägt das Berufsgericht:

Die Behauptung des Beklagten, er sei von der Gruppe um P so heftig tätlich angegriffen worden, dass er schwer verletzt zu Boden gegangen sei und erst dann seine Waffe gezogen und einen Warnschuss abgegeben habe, sei durch die Beweisaufnahme widerlegt. Danach habe er bereits geschossen, als die Auseinandersetzung noch verhältnismäßig harmlos gewesen sei und eine Steigerung der Gefährlichkeit nicht habe erwarten lassen; zu gefährlichen Handgreiflichkeiten sei es erst nach dem Schuss gekommen. Soweit deshalb zur Zeit der Abgabe des Schusses überhaupt schon von einem Angriff gesprochen werden könne, habe es zur Abwehr ausgereicht, um Hilfe zu rufen; andere Besucher des Festzeltes hätten dann für Hilfe sorgen oder selbst zu Hilfe herbeieilen können. Der Beklagten habe jedoch als erstes Mittel der Gegenwehr zur Waffe gegriffen und damit die erforderliche Verteidigung auf jeden Fall und zumindest fahrlässig überschritten. Für einen entschuldbaren Irrtum über das Vorliegen einer Notwehrlage habe er nichts angeführt, zumal er sich nicht ausdrücklich auf Putativnotwehr berufen, vielmehr eine echte Notwehrlage geltend gemacht habe.

Mit diesen Ausführungen kann das Berufungsurteil gegenüber den Angriffen der Revision keinen Bestand haben.

Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufsgericht, dass dem Beklagten der Rechtfertigungsgrund des § 227 BGB nur dann zur Seite stand, wenn das Ziehen der Pistole und ihr Gebrauch selbst bei Würdigung der damit verbundenen, auch für ihn erkennbaren Lebensgefahren zur Abwehr eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs erforderlich war. Dem Berufsgericht ist auch darin zu folgen, dass der Gebrauch einer Schusswaffe - sei es auch nur zur Warnung - nur in ernsten Gefahrensituationen und nur als äußerstes Mittel gerechtfertigt ist; auch wer sich gegen Tätlichkeiten verteidigen muss, die er - wovon für den Streitfall auszugehen ist - nicht herausgefordert hat, steht unter dem Gebot, menschliches Leben und menschliche Gesundheit soweit wie nur irgend möglich au erhalten. Andererseits ist die Verteidigung mit der Schusswaffe nicht nur dann gerechtfertigt, wenn das Leben des Angegriffenen bedroht ist, etwa der Angreifer eine ähnlich gefährliche Waffe einsetzt; grundsätzlich verlangt § 227 BGB -vom Missbrauch des Notwehrrechts durch völlig maßloses Verhalten abgesehen - nicht die Verhältnismäßigkeit der dem Verteidiger drohenden Gefahr zu dem von ihm mit der Verteidigung angerichteten Schaden. Grundsätzlich darf ein rechtswidrig Angegriffener - jedenfalls wenn er den Angriff nicht provoziert hat- dasjenige für ihn erreichbare Abwehrmittel wählen, das eine sofortige und endgültige Beseitigung der Gefahr mit Sicherheit erwarten lässt; er braucht sich nicht auf ein weniger gefährliches Verteidigungsmittel verweisen zu lassen, dessen Wirkung für die Abwehr zweifelhaft ist. Das gilt nicht nur im Strafrecht für § 53 StGB, sondern ebenso für § 227 BGB.

Soweit dem Vorwurf des Berufsgericht, dass der Beklagten als erstes Mittel der Gegenwehr zur Waffe gegriffen und nicht um Hilfe gerufen hat, die Auffassung zugrunde liegen sollte, dem Waffengebrauch müsse immer zunächst der Versuch vorausgehen, einer drohenden tätlichen Auseinandersetzung durch die Bitte an Dritte um Beistand auszuweichen, könnte dem nicht gefolgt werden. Es widerspricht im Übrigen der Lebenserfahrung, dass sich - zumal an einem solchen Ort zur Nachtzeit- unbeteiligte Dritte in Unkenntnis des Anlasses der Auseinandersetzung in die Feindseligkeit zweier Gruppen schlichtend einmischen. War der Beklagten, als der tödliche Schuss fiel, einem tätlichen Angriff von P und seinen beiden Freunden bereits ausgesetzt oder stand dieser unmittelbar bevor, so brauchte er sich auf eine so unsichere Abwehr durch Hilfe Dritter nicht verweisen zu lassen. Ob dem Angegriffenen die Inanspruchnahme fremder Hilfe bei missbräuchlicher Ausübung des Notwehrrechts oder bei einem von ihm provozierten Angriff zugemutet werden kann, kann im Streitfall dahinstehen eine solche Fallgestaltung liegt nicht vor.

Gleichwohl wären die rechtlichen Erwägungen, mit denen das Berufsgericht dem Schusswaffengebrauch durch den Beklagten jede Rechtfertigung nach § 227 BGB abgesprochen hat, im Ergebnis nicht zu beanstanden, wenn mit ihm davon auszugehen wäre, dass es vor Abgabe des Warnschusses weder zu gefährlichen Handgreiflichkeiten gekommen ist, noch solche zu erwarten waren. Dann kann mit ihm dahingestellt bleiben, ob der Beklagten dadurch, dass sich ihm und seinen Freunden P und seine Freunde ohne rechtfertigenden Anlass in den Weg gestellt hatten, um ihn wegen seines angeblich ungebührlichen Benehmens gegenüber Mo zur Rede zu stellen, einem gefahrdrohenden Angriff ausgesetzt war, sich also in einer Notwehrlage befand, was er beweisen müsste. Denn in diesem Fall hätte jedenfalls eine Überschreitung der erforderlichen Verteidigung vorgelegen. Insoweit will auch die Revision nichts erinnern. Jedoch zeigt, wie die Revision mit Recht rügt, die Begründung, die der Tatrichter für seine Überzeugungsbildung gegeben hat, dass er seinen Feststellungen zu den Vorgängen, die zu dem tödlichen Schuss geführt haben, nicht den gesamten Inhalt der Verhandlung zugrunde gelegt hat..

Da das Berufungsurteil mit einer anderen Begründung nicht gehalten werden kann, muss die Sache vom Tatrichter erneut gewürdigt werden. Sollte das Berufsgericht aufgrund erneuter Prüfung zu der Auffassung gelangen, dass sich der Beklagten durch das Auftreten des P und seiner Freunde ernstlich bedroht fühlen musste, dann hat er den ihm obliegenden Nachweis einer Notwehrlage geführt. Es ist dann, wie ausgeführt, Sache der Kläger, nachzuweisen, dass der Beklagten durch den Schuss nach Maßgabe der eingangs angestellten Erörterungen die erforderliche Verteidigung überschritten hat. In diesem Fall kann es darauf ankommen, ob er P nur versehentlich getroffen, etwa nur einen Warnschuss abgeben wollte, oder auf P gezielt geschossen hat. Kommt das Berufsgericht aufgrund erneuter Überprüfung zu dem Ergebnis, dass objektiv eine Notwehrlage für den Beklagten nicht festgestellt werden kann oder dass ihm ein Notwehrexzess nachgewiesen ist, so hat es sich auch damit auseinanderzusetzen, ob er nicht entschuldbar über seine Notwehrlage geirrt bzw. in der Wahl der Verteidigungsmittel sich ohne Verschulden vergriffen hat. Auch dann würde seine Haftung für den Unterhaltsschaden zwar nicht wegen fehlender Rechtswidrigkeit seines Vorgehens, wohl aber mangels Verschulden entfallen. Dem würde der vom Berufsgericht angesprochene Gesichtspunkt, dass der Beklagten die Waffe unerlaubt mit sich führte, nicht entgegenstehen; dieser Umstand könnte jedenfalls dem Angreifer bzw. seinen Hinterbliebenen nicht zugute kommen.