Wohnrecht auf Lebenszeit

Zur Wirksamkeit eines vom Erblasser formlos eingeräumten Wohnrechts auf Lebenszeit.

Zum Sachverhalt: Die Kläger ist die Tochter des am 19. 1. 1980 im Alter von fast 97 Jahren verstorbenen B. Erben des Verstorbenen auf Grund notarieller Testamente sind die Beklagte. Die Kläger hatte bis zu seinem Tode mit dem Erblasser in häuslicher Gemeinschaft in dessen Einfamilienhaus gelebt und ihn gepflegt und versorgt. Sie war nur halbtägig berufstätig. Mit der Klage verlangte sie als gemäß den §§ 2316, 2057a BGB erhöhten Pflichtteil zuletzt über einen anerkannten Betrag von 21666,67 DM hinaus weitere 50942,33 DM. Die Beklagte erhoben Widerklage auf Räumung und Herausgabe der von der Kläger bewohnten Räume.

Diesem Begehren entsprach das Landgericht durch - rechtskräftig gewordenes - Teilurteil. Die Kläger hatte das Haus bereits am 24. 9. 1981 geräumt. Der Klage gab das Landgericht durch Schlussurteil in Höhe von 24128,42 DM statt und wies sie im übrigen ab. Dabei rechnete es der Kläger auf den erhöhten Pflichtteil für die Nutzung des Hauses vom Erbfall bis zur Räumung eine Nutzungsentschädigung von 5402,20 DM an (6000 DM für 20 Monate abzüglich Aufwendungen für notwendige Reparaturen in Höhe von 597,80 DM).

Die auf Zuerkennung auch dieses Betrages gerichtete Berufung der Kläger und die Anschlussberufung der Beklagte blieben ohne Erfolg. Die Revision der Kläger führte zur teilweisen Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen: Die Parteien streiten nur noch darum, ob sich die Kläger für die Zeit vom Tod des Erblassers bis zu ihrem Auszug eine Nutzungsentschädigung für die Benutzung der Räume im Einfamilienhaus des Verstorbenen anrechnen lassen muss. Die Kläger beruft sich darauf; ihr Vater habe ihr ein unentgeltliches lebenslängliches Wohnrecht eingeräumt. Das bestreiten die Beklagte

Das Berufungsgericht meint, ein Wohnrecht bestehe schon deshalb nicht, weil es formlos nicht wirksam hätte bestellt werden können. Zwar möge die Einräumung einer Wohnung zum unentgeltlichen Gebrauch auf Lebenszeit als Leihe formlos wirksam sein (BGHZ 82, 354 = LM vorstehend Nr. 3 [L] = NJW 1982, 820). Hier habe der Erblasser der Kläger nach ihrer Darstellung ein lebenslanges unentgeltliches Wohnrecht für die Zeit nach seinem Tode eingeräumt. Es handele sich damit zwar um ein Rechtsgeschäft unter Lebenden, das sich aber entscheidend erst nach dem Tode des Versprechenden habe auswirken sollen. Auf einen derartigen Vertrag seien die Formvorschriften für Verfügungen von Todes wegen entsprechend anzuwenden, damit nicht der Nachlass in seinem Wert durch bloß mündliche Abreden weitgehend ausgehöhlt werden könne. Für die unberechtigte Nutzung der Räume schulde die Kläger deshalb die vom Landgericht festgesetzte Nutzungsentschädigung von 300 DM monatlich, die die Kläger der Höhe nach nicht angegriffen habe.

Die hiergegen gerichtete Revision hat teilweise Erfolg. Allerdings wendet sich das Rechtsmittel vergeblich gegen die Anerkennung einer Nutzungsentschädigung für die Zeit ab der Zustellung der Widerklage auf Räumung und Herausgabe. Auf Grund des rechtskräftigen, auf § 985 BGB gestützten Räumungsurteils steht zwischen den Parteien fest, dass die Kläger zur Herausgabe der von ihr bewohnten Räume verpflichtet war. Ein Anspruch der Beklagte aus § 987 BGB auf Herausgabe der nach Rechtshängigkeit gezogenen Nutzungen kann danach nicht mehr deshalb verneint werden, weil der Kläger doch ein Recht zum Besitz zugestanden habe. Damit würde sich ein späteres Urteil in Widerspruch zu dem zwischen den Parteien rechtskräftig Festgestellten setzen. Die Rechtskraft des Räumungsurteils nach § 322 I ZPO hat gemäß § 987 BGB auch materiell rechtlich Wirkung für den Anspruch auf Vergütung der nach Rechtshängigkeit gezogenen Nutzungen (BGH, LM § 987 BGB Nr. 3; BGH, NJW 1981, 1517; BGH, NJW 1983, 164 = LM § 322 ZPO Nr. 95). Andere Einwendungen, insbesondere zu der vom Berufungsgericht bestätigten Höhe der Nutzungsentschädigung erhebt die Kläger nicht. Danach ist die Revision zurückzuweisen, soweit sie die Anrechnung von Nutzungsentschädigung für die Zeit ab der Zustellung der Widerklage (20. 6. 1980) angreift.

Für die Zeit zwischen dem Erbfall und der Zustellung der Widerklage (betrifft 1500 DM für 5 Monate) steht die Rechtskraft des Räumungsurteils der Verneinung eines Anspruchs auf Nutzungsvergütung mangels eines Rechts zum Besitz nicht entgegen. Zwar ist der unentgeltliche Besitzer dem Eigentümer nach § 988 BGB auch für die Zeit vor der Rechtshängigkeit der auf Herausgabe der Sache gerichteten Klage zur Nutzungsentschädigung verpflichtet. Die Haftung setzt aber voraus, dass kein Recht zum Besitz besteht. Für einen etwa daneben sich unmittelbar aus § 812 BGB ergebenden Anspruch würde das gleiche gelten. Ob die Kläger von Anfang an kein Recht zum Besitz hatte, ist nach wie vor zwischen den Parteien streitig. Für die Zeit vor der Rechtshängigkeit der Räumungsklage ist durch das Räumungsurteil ein Herausgabeanspruch der Beklagte nicht bindend festgestellt und damit eine diese Vindikationslage voraussetzende Verpflichtung der Kläger zur Nutzungsentschädigung nach § 988 BGB nicht präjudiziert. Ob die Kläger von vornherein nicht zum Besitz berechtigt war, war für das Räumungsurteil nur eine Vorfrage, auf die sich seine materielle Rechtskraft nicht erstreckt (BGH, NJW 1983, 164 = LM § 322 ZPO Nr. 95). Bezüglich der Anrechnung einer Nutzungsentschädigung für diesen Zeitraum hat die Revision Erfolg. Die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils erwecken zumindest den Anschein, dass der Berufungsrichter davon ausgeht, die Kläger habe vorgetragen, der Erblasser habe ihr ein Wohnrecht für die Zeit nach seinem Tode eingeräumt, und dass er daraus den Schluss zieht, das Rechtsgeschäft habe sich entscheidend nach seinem Tode auswirken sollen. Damit würde sich das Berufungsgericht mit dem Tatbestand seines Urteils in Widerspruch setzen. Dort heißt es, die Kläger behaupte, ihr sei vom Erblasser mündlich ein lebenslanges Wohnrecht im Hause eingeräumt worden. Wegen aller Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf das Schlussurteil des Landgerichts Bezug genommen. In diesem Urteil wird als Vortrag der Kläger wiedergegeben, der Erblasser habe wiederholt mündlich erklärt, sie - die Kläger - könne die von ihr bisher benutzten Räume des Hauses auch im Falle seines Todes weiterbenutzen, solange sie lebe. Diese Darstellung deckt sich mit dem Schriftsatz der Kläger, auf den sich das Landgericht im Tatbestand seines Schlussurteils ergänzend bezieht; sie wird in der Berufungsbegründung der Klägerwiederholt, auf die der Tatbestand des Berufungsurteils ergänzend verweist. Danach sollte ein zu Lebzeiten des Erblassers schon bestehendes Wohnrecht über seinen Tod hinaus bestehen bleiben und nicht erst mit dem Tode zur Entstehung kommen. Schon dieser nicht auszuschließende Widerspruch zwischen den Gründen und dem Tatbestand führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, weil eine eindeutige Entscheidungsgrundlage für die Revisionsentscheidung fehlt (BGHZ 40, 84 [87] = NJW 1963, 2070 = LM § 161 ZPO Nr. 10).

Bei den folgenden Hinweisen für das weitere Verfahren geht der Senat von dem oben wiedergegebenen Vortrag der Kläger aus, den auch beide Parteien bei ihren Erörterungen in der Revisionsinstanz zugrundelegen. Diesen Vortrag wird das Berufungsgericht nicht als unschlüssig behandeln dürfen. Hat der Vater der Kläger ihr Räume in seinem Hause überlassen und mit ihr vereinbart, ihr solle auch über seinen Tod hinaus ein Wohnrecht zustehen, solange sie lebe, so liegt darin ein Vertrag, der die Verpflichtung zur unentgeltlichen Gebrauchsüberlassung einer Wohnung auf Lebenszeit zum Inhalt hat. Ein solcher Vertrag ist - wie der Berufungsrichter nicht verkennt - in der Regel ein Leihvertrag. Als Leihvertrag bedarf er keiner besonderen Form. Das hat der BGH in BGHZ 82, 354 = LM vorstehend Nr. 3 (L) = NJW 1982, 820 entschieden. Dem schließt sich der erkennende Senat für Fälle der vorliegenden Art an. Ein entscheidender Unterschied im Sachverhalt gegenüber dem vorentschiedenen Fall liegt nicht vor. Dass dieses eingeschränkte Wohnrecht über den Tod des Erblassers hinaus bestehen bleiben sollte, ergibt keine wesentliche Abweichung im Sachverhalt. Wird ein solches Wohnrecht auf Lebenszeit des Begünstigten eingeräumt, so folgt daraus zwingend, dass es auf die Lebensdauer des zur Überlassung der Räume Verpflichteten nicht ankommt. Auf das jeweilige Alter der Vertragsschließenden und die Wahrscheinlichkeit, dass der eine den anderen überlebt, kann für die rechtliche Behandlung, insbesondere die Formbedürftigkeit derartiger Abreden nicht abgehoben werden. Ob auch dann eine Leihe angenommen werden kann, wenn die langfristige unentgeltliche Überlassung zum Gebrauch wirtschaftlich einer Weggabe von Substanz nahekommt, oder ob dann von einer Zuwendung im Sinne der Schenkung gesprochen werden muss, was erbrechtliche Auswirkungen, etwa für die Berechnung des Pflichtteils, haben kann, bedarf hier keiner Entscheidung. Eine entsprechende Anwendung des § 2301 I BGB scheitert im übrigen schon daran, dass der angebliche Leihvertrag nach der Darstellung der Kläger nicht unter der Bedingung stand, dass die Kläger ihren Vater überlebe. Selbst bei einer Schenkung finden nur unter dieser Voraussetzung die Vorschriften über Verfügungen von Todes wegen Anwendung. Ein unbedingtes Schenkungsversprechen fällt nicht unter § 2301 I BGB, selbst wenn seine Erfüllung auf die Zeit des Todes des Schenkers oder später hinausgeschoben wird (BGHZ 8, 23 [31] = NJW 1953, 182 = LM § 305 BGB Nr. 2).

Ebenso wenig kann hier auf das Formerfordernis des § 566 BGB für einen über eine längere Zeit als ein Jahr geschlossenen Grundstücksmietvertrag zurückgegriffen werden. Hauptzweck dieser Vorschrift ist es, einem Erwerber des Grundstücks die Gelegenheit zu verschaffen, sich zuverlässig über bestehende Mietverhältnisse zu unterrichten, in die er nach § 571 BGB eintreten muss (vgl. Staudinger-Emmerich, BGB, 12. Aufl. [2. Bearb. 1981], § 566 Rdnr. 2 mit Nachw.). Eine § 571 BGB vergleichbare Vorschrift fehlt bei der Leihe.

Das Berufungsurteil wird danach, soweit die Klage auf weitere 1500 DM abgewiesen ist, aufgehoben und der Rechtsstreit insoweit an das Berufungsgericht zurückverwiesen, damit es den Sachverhalt widerspruchsfrei aufklären und über die bestrittene Darstellung der Kläger Beweis erheben kann.