Zusatzversicherung

Für die Feststellung des Zeitpunktes der Berufsunfähigkeit im Sinne der Berufsunfähigkeitszusatzbedingungen ist die rückschauende Feststellung des Zeitpunktes maßgebend, zu dem erstmals ein Zustand gegeben war, der nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft keine Erwartungen mehr auf eine Besserung rechtfertigte.

Zum Sachverhalt: Der Kläger begehrt Leistungen aus einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Er beantragte bei der Beklagten am 4. 10. 1977 den Abschluss eines Lebensversicherungsvertrages mit zusätzlichem Schutz gegen das Berufsunfähigkeitsrisiko bei einer monatlichen Rente von 500 DM. Auf Veranlassung der Beklagten gab er am 17. 1. 1978 eine Änderungserklärung ab, wonach die BUZ Versicherung bis zu seinem 65. Lebensjahr selten sollte. Mit Schreiben vom B. 2. 1978 nahm die Beklagten Antrag und Anderungserklärung an und übersandte den Versicherungsschein. Am 19. 12. 1977 hatte der Kläger einen Herzinfarkt erlitten, aufgrund dessen er berufsunfähig wurde. Seinen Antrag auf Rentenzahlung lehnte die Beklagten mit Schreiben vom 26. 9. 1979 unter Berufung darauf ab, der Kläger habe die durch den Herzinfarkt eingetretene Gefahrerhöhung zwischen Antragstellung und Vertragsabschluss nicht mitgeteilt. Der Kläger vertritt die Auffassung, der Herzinfarkt sei der Beklagten bekannt gewesen, denn deren Generalagent S habe vor Entgegennahme der Änderungserklärung davon Kenntnis erhalten. Berufsunfähigkeit habe erst im Herbst 1978 vorgelegen, als ihm in einem Bericht der AOK zu einem Rentenantrag geraten worden sei. Bis zu diesem Zeitpunkt seien die Ärzte von einer nur vorübergehenden Einschränkung seiner beruflichen Leistungsfähigkeit ausgegangen. Die Beklagten ist der Ansicht, in ihrem Schreiben vom 26. 9. 1979 liege ein wirksamer Rücktritt vom Versicherungsvertrag, den sie zudem wegen arglistiger Täuschung angefochten habe. Der Kläger sei im Übrigen schon am 1. 1. 1978 berufsunfähig gewesen.

Das Landgericht hat dem Kläger die begehrte Berufsunfähigkeitsrente zugesprochen; das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Aus den Gründen: Nach Ansicht des Berufsgericht stellt der Herzinfarkt des Kläger keine zwischen Antragstellung und Annahme des Antrags eingetretene Gefahrerhöhung dar, weil der erste Antrag der Kläger vom 4. 10. 1977 nicht angenommen worden sei und erst in der Änderungserklärung vom 17. 1. 1978 der für das Versicherungsverhältnis maßgebliche Antrag gesehen werden könne. Diese Ansicht ist rechtsfehlerfrei.

Das Berufsgericht hält die Beklagten jedoch deshalb für leistungsfrei, weil sie vom Kläger durch arglistige Täuschung zum Abschluss des Versicherungsvertrages veranlasst worden sei. Dieser habe in der Änderungserklärung wahrheitswidrig erklärt, seine Gesundheitsangaben im ursprünglichen Antrag träfen unverändert zu und bedürften keiner Ergänzung. Die falschen Angaben habe er in dem Bewusstsein gemacht, damit auf die Entschließung der Beklagten einzuwirken. Die Kenntnis des Versicherungsvertreters entlaste den Kläger wegen § 44 VVG nicht. Angesichts der augenscheinlichen Bedeutung seines Gesundheitszustandes und im Hinblick auf die zum Versicherungsvertreter bestehende Duzfreundschaft habe der Kläger nicht damit rechnen dürfen, dass der Agent die anzeigepflichtigen Tatsachen weiterleite. Die Leistungsfreiheit bestehe unabhängig von einer rechtzeitigen Anfechtung. Die Täuschung gebe der Beklagten unter dem Gesichtspunkt eines Schadensersatzanspruches aus der Anbahnung eines Vertragsverhältnisses das Recht, die beanspruchte Leistung zu verweigern.

Diese Erwägungen halten den Angriffen der Revision nicht stand.

Nicht uneingeschränkt kann dem Berufsgericht darin gefolgt werden, dass der Beklagten aus dem Tatbestand einer arglistigen Täuschung auch ein Leistungsverweigerungsrecht erwachsen sei. Allerdings ist dem Berufsgericht darin zuzustimmen, dass § 124 BGB mit seiner Regelungzum Ablauf der Anfechtungsfrist einem Anspruch des getäuschten Vertragspartners auf Schadensersatz wegen Verhandlungsverschuldens und einem daraus abgeleiteten Recht zur Erfüllungsverweigerung nicht entgegensteht. Hier kommen Ansprüche aus Verhandlungsverschulden aber aus einem anderen Grund nicht in Betracht. Die angebliche Täuschung bezieht sich auf einen gefahrerheblichen Umstand i. S. von §§ 16, 17 VVG. Insoweit sind die im Schuldrecht durch das Institut des Verhandlungsverschuldens geschützten Interessen in den §§ 20 ff. VVG eigenständig geregelt. Die Vorschriften sanktionieren die Verletzung der Anzeigepflicht abschließend. Soweit die Nicht- oder Falschanzeige gefahrerhebliche Umstände betrifft, kommen daneben Rechte aus culpa in contrahendo nicht in Betracht. Mit Recht weist Röhr darauf hin, dass nach dem Gesetz als Rechtsfolgen einer Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten nur Prämienerhöhung, Kündigung oder Rücktritt in Betracht kommen und diese ausgewogene Entscheidung des Gesetzgebers durch die Zubilligung eines Anspruchs auf Schadensersatz aus culpa in contrahendo verfälscht und unterlaufen würde.

§ 22 VVG macht von dem Ausschluss eines Schadensersatzanspruchs wegen Verhandlungsverschuldens auch für den Fall einer arglistigen Täuschung keine Ausnahme. Die Bestimmung lässt ausdrücklich nur das Anfechtungsrecht unberührt. Bei einer Anzeigepflichtverletzung bleibt daher dem Versicherer die Wahl, sich vom bisherigen Vertrag zu lösen oder ihn mit allen Folgen zu akzeptieren. Bis zum Ablauf der Rücktritts- bzw. Anfechtungsfrist erhält er seine Dispositionsfreiheit zurück. Damit wird seinen Belangen ausreichend Rechnung getragen. Es besteht kein Anlass, dem Versicherer darüber hinaus ohne das Hinzutreten besonderer Umstände eine allgemeine Arglisteinrede zuzubilligen, die auch noch nach Ablauf der Anfechtungsfrist geltend gemacht werden könnte. Eine solche Einrede würde sich auf den Grundsatz von Treu und Glauben stützen. Gerade dieser Grundsatz verwehrt es dem Versicherer angesichts des notwendigen Vertrauensschutzes und des Vorsorgecharakters des Versicherungsvertrages, sich auf seine Leistungsfreiheit zu berufen, wenn er die geräumige Anfechtungsfrist ungenutzt hat verstreichen lassen.

Ein von den Fristen des § 124 BGB unberührtes Leistungsverweigerungsrecht kommt nur dort in Betracht, wo die Regelung der §§ 16ff. VVG nicht eingreift, z. B. bei Täuschungen über andere als gefahrerhebliche Umstände, oder wo sie andere geschützte Interessen des Versicherers nicht abschließend behandelt. Letzteres ist der Fall bei Ansprüchen aus unerlaubten Handlungen, insbesondere bei den Tatbeständen der §§ 826, 823 11 BGB, welche neben §§ 16ff. VVG anzuwenden sind.

Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig. Die Beklagten vertritt die Auffassung, die Berufsunfähigkeit des Klägers sei vor Beginn ihrer Haftung eingetreten; Versicherungsschutz komme daher nicht in Betracht. Ob diese Ansicht zutrifft, vermag der Senat aufgrund der bislang getroffenen Feststellungen nicht zu entscheiden.